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Charles Bahr als Gast bei Maybelline. Er sagt: "Wir verraten niemanden, wir nehmen Einfluss darauf, was Werbung macht."

© Maybelline

Generationenkonflikt: Greta, Rezo und ein Verräter?

Die Generation Z ist die erste komplett digitale Generation. Charles Bahr, 17 Jahre, Unternehmer, verkauft Erwachsenen, wie Junge ticken.

Minutenlang hat Charles Bahr, 17 Jahre alt und von Beruf Unternehmer, still in einer Industriehalle in Köln-Kalk sitzend auf sein Smartphone getippt. Er ist Gast des Kosmetikherstellers Maybelline, die er mit seiner Firma berät; um ihn herum sitzen 30 junge Influencerinnen, die für die Marke arbeiten. Vorne beginnt eine Trainerin ihren Workshop zum Thema „Booste deine Attraktivität“. Die Influencer stehen unter Druck, die Konkurrenz ist groß, in den USA gibt es längst Psychotherapeuten, die sich auf Influencer-Burn-out spezialisiert haben. Die Frauen hier sollen lernen, dass das Unperfekte das neue Perfekte sein kann.

Bahr murmelt: „Wie soll das denn gehen.“ Er ist nicht an Gefühlen, sondern am Business interessiert. Sein Geschäft ist simpel: Er verdient Geld, indem er für die Alten übersetzt, was die Jungen wollen. Dann hebt er doch mal den Kopf, die Instagram-Story, die er gerade baut, muss warten; die Trainerin fragt das Publikum nach Erfahrungen mit schlechten Gefühlen. Viele Hände gehen hoch, auch Bahr hebt den Arm, flüstert: „Hab ich, überfordert mich aber nicht.“ Die Coachin will wissen, „wer Schulstreber war“ und „wer die Schule versaut hat“, Bahr meldet sich bei Frage zwei, sagt leise: „Und darauf bin ich auch stolz.“

Bisher ist Charles Bahr eher der PR- und Marketingszene bekannt, einer Branche, die mit Influencer-Marketing international Milliardenumsätze generiert. Und nun auch die jüngste Generation erreichen will, die Zehn- bis 23-Jährigen. Das einflussreiche Wirtschaftsmagazin „Forbes“ geht davon aus, dass die „Generation Z“ 2020 weltweit bis zu 143 Billionen US- Dollar ausgibt. Sie gilt im Umgang mit Geld als bedenkenloser als die Generation Y vor ihr und hat kaum Sorgen, einen Job zu finden. Allerdings: Wer sie erreichen will, muss vor allem in den sozialen Medien werben – wo acht Sekunden Aufmerksamkeit, das haben Wirtschaftsexperten herausgefunden, die Zeitspanne umfassen, in der die GenZ entscheidet, ob sie etwas gut findet.

Die Alten ertragen die Selbstermächtigung der Jungen nicht

Charles Bahr ist, das zum Selbstbewusstsein der Branche, schon als „Greta des Marketings“ bezeichnet worden. Mit 13 die erste Firma, mit 17 die zweite – und ein Lifestyle, der eher Luxus als Nachhaltigkeit verkörpert. Dass er mit seiner Jugend, mit seinen Botschaften, in die Welt der Erwachsenen einbricht, finden viele mindestens so empörend wie die Botschaften der Klimaaktivistin Greta Thunberg. Charles sei ein „Kapitalistenschwein“, sagen Leute, die in der Marketingbranche selbst ihr Geld verdienen.

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Die Alten können nicht ertragen, dass diese Jugend Selbstverwirklichung im Sinne von Selbstermächtigung betreibt. Ein Beispiel war die hitzige Debatte um das Video des Youtubers Rezo, der vor allem die CDU heftig kritisierte. Ein anderes der Streit über Uploadfilter, Teil der EU-Urheberrechtsreform, bei der den Jüngeren, die sich auf Youtube oder anderen Kanälen dagegen einsetzten, in Medien unterstellt wurde, sie seien von der Industrie gekauft worden.

Bei Maybelline, am Rande des Workshops, spricht Charles Bahr von seiner Generation als einer, in der viele eine „Subkultur“ leben, „wie es sie früher gab“, in der die Jungen „zeigen, dass sie da sind“. Es geht ihm und womöglich vielen in der Generation Z nicht mehr darum, das Leben und Lernen linear zu betrachten, nicht um Qualifizierung, die sich in klassischen Abschlüssen und Etiketten manifestiert, nicht darum, zu warten, bis man als ausreichend „kompetent“ und „an der Reihe“ gilt, sondern ums Tun an sich.

Charles Bahr dient sich den Alten als Blindenhund an

Die Wut und Verständnislosigkeit zwischen Alt und Jung zeigt sich deutlich beim Thema Klimawandel. Die „Alten“, die 68er, die Baby-Boomer, und eben nicht nur die rechten Klima-Leugner, sind sauer, dass ihr Lebensentwurf, ihr Lebensstil, ihre Lebensleistung heute von den Jungen so wenig Anerkennung findet. Das führt zu den teils heftigen verbalen Angriffen auf Greta. Die Jungen sind wütend, weil zu wenig und zu langsam gehandelt wird.

Charles Bahr steht zwischen den Linien als kluge Spürnase für das eigene Geschäft, der sich den Alten als Blindenhund andient, um sie durch die digitale Welt der Jungen zu lotsen. Seine Mission ist Selbstverwirklichung. Er lebt das, was er überall predigt, „Follower sind die wichtigste Währung im digitalen Zeitalter“. Das gilt fürs Business wie fürs Private.

Die undatierte Aufnahme zeigt den Youtuber Rezo.
Die undatierte Aufnahme zeigt den Youtuber Rezo.

© picture alliance/dpa

Zwanzig Bahnminuten von Köln entfernt, im Kongresscenter von Düsseldorf auf der Spobis, einer Sport-Eventmesse mit mehr als 3500 Teilnehmern, wartet Charles Bahr in der VIP-Lounge auf seinen Auftritt. Er soll vor 200 Leuten mit Vertretern vom IOC, Eurosport und einer Marketingprofessorin diskutieren, wie die Generation Z für die Olympischen Spiele zu begeistern wäre. Im Nebensaal soll eigentlich Christian Lindner und Karl-Heinz Rummenigge vom FC Bayern über Druck diskutieren, aber der FDP-Chef hat abgesagt.

In ein paar Tagen erst wird er volljährig

Charles Bahr ist auf dem Podium der Einzige, der 45 Minuten lang mit gerader Haltung und ruhig aufs Pult gestützten Händen spricht und nicht gestikuliert. Er macht keinen Hehl daraus, dass er nicht glaubt, die Generation Z könne dazu gelockt werden, „fernzuschauen“.

Bahr wird erst in ein paar Tagen volljährig, trotzdem kann er eloquent reden, doziert nie und vermeidet Konfrontationen. Ist er ein Menschenfänger, vielleicht Erwachsenenfänger.

Er ist 2019 mehr als 150 Tage unterwegs gewesen, als Redner auf zig Veranstaltungen aufgetreten, bei der Allianz, der re:publica, Handwerks- und Industriekammern oder auch dem deutschen Papierverband. Immer sagt er nur das, was ist. Er gibt keine Handlungsanleitung, er dolmetscht. Und so sagt er auf dem Podium: Niemand in seiner Generation gucke noch ein Spiel 90 Minuten lang an, sondern wolle dabei auch interagieren, sich austauschen; er sagt, dass es für die großen Sportanbieter nicht darum gehen könne, mit Angeboten zu protzen, sondern darum, auf allen Kanälen präsent zu sein.

Nur einmal wirkt er belustigt, als er gefragt wird, ob E-Sport Sport sei. Die anderen drucksen herum, er antwortet: „Klar, allein schon, weil die Industrie dahinter riesig ist.“

Charles Bahr und Moderator Kai Pflaume
Charles Bahr und Moderator Kai Pflaume

© privat

Man muss sich Bahr als Handlungsreisenden in Sachen Generation Z denken. Er erzählt Unternehmen, wie und wo sie die Jungen erreichen. Das wichtigste „Produkt“, seine Firma „Project Z“, soll eine Art Marktforschungstool sein, das über Instagram funktioniert. Firmen können Produkte dort direkt bewerten lassen, Project Z stellt den Instagram-Nutzern verschiedene Bewertungstools zur Auswahl, die Bewertung kann sofort als Story gepostet werden. Über Instagram, glaubt Bahr, können sehr viel mehr Teilnehmer als bei klassischen Meinungsforschungsinstituten rekrutiert werden. Und die, die mitmachen, seien glaubwürdig, weil sie direktes Feedback geben.

Beim Neujahrsempfang einer Handwerkskammer in Baden-Württemberg ist seine wichtigste Botschaft vor 600 Zuhörern: „Wenn ihr selbst nicht wisst, wie ihr die Jüngeren erreichen könnt, dann lasst das doch Eure Azubis machen!“ Am Telefon sagt einer der Gäste. „Wir binden jetzt tatsächlich mehr Auszubildende ein.“ Ein Sprecher der Kammer sagt, Bahr mache schon deutlich, dass man sich nicht über die Kompetenz seiner Generation täuschen solle.

Finanzinvestor Carsten Maschmeyer und Charles Bahr
Finanzinvestor Carsten Maschmeyer und Charles Bahr

© privat

Neben Maybelline gehören Levis, McDonalds, Allianz, Ferrero, Pizza Hut zu den Kunden. Levis hat Bahr geholfen, in Rotterdam einen „GenZ Innovation Store“ zu kreieren, in der es große helle Umkleiden gibt, damit Jugendliche Selfies machen können. Kostenloses Wlan gehört zum Store wie Aufladestationen fürs Handy, über der Kasse können Kunden auf einem Bildschirm Fotos von sich veröffentlichen. McDonalds hat das Bahr-Team bei der Kampagne mitberaten, plastikfreie Verpackungen anzubieten. Auf die Frage, ob er der Verräter seiner Generation sei, antwortet er ohne rot zu werden: „Wir haben die Macht, im Sinne unserer Generation Einfluss auf Werbung zu nehmen.“

Charles Bahr wächst mit einer Schwester in Hamburg-Eppendorf auf. Die Mutter ist Lehrerin, der Vater Vertriebstrainer, die Eltern trennen sich. Er sagt: „Mich hat das selbständiger gemacht, vielleicht früher erwachsen.“ Die Schule sei eher eine Qual gewesen, die Lehrer fanden ihn arrogant, sein Leben spielte sich früh im Netz ab, mit elf Jahren fotografiert er seinen Hund und dreht erste Videos, auf Youtube sind Filme zu sehen, wie er noch ohne Pubertätspickel und mit runder Brille aus seinem Alltag erzählt. Andere parodieren ihn oder finden ihn toll.

Die Mutter fungiert zunächst als Geschäftsführerin

Während manche Leistungssport betreiben oder jeden Tag Klavier üben, träumt Bahr von einer eigenen Firma. Im ICE von Düsseldorf nach Köln, 2. Klasse, erzählt er von seinen Anfängen. In der 9. Klasse macht er sein Betriebspraktikum in einer Agentur für Influencer-Marketing. Im Kopf hat er die Idee einer Plattform, auf der man Ausrüstung für Filmdrehs leihen kann und auf der Youtuber mit Kameraleuten zusammenkommen. TubeConnect soll sie heißen. Er bleibt länger bei dem Startup.

Aus der ursprünglichen Idee wird die Mini-Beratungsfirma für Erwachsene in Sachen Generation Z. Die Mutter fungiert als Geschäftsführerin. Dann schmeißt er die Schule und macht eine Ausbildung zum Marketingkaufmann in einer Agentur, die zurzeit seine Firma als Inkubator betreut, so lange er noch nicht volljährig ist.

Thomas Sattelberger, Ex-Manager der Telekom und Lufthansa, heute FDP-Bundestagsabgeordneter.
Thomas Sattelberger, Ex-Manager der Telekom und Lufthansa, heute FDP-Bundestagsabgeordneter.

© Doris Spiekermann-Klaas

Schnell wird Charles Bahr in der Szene bekannt, sein junges Alter macht ihn interessant, einige versprechen sich von ihm Einfluss, aber es gibt auch Vorwürfe, die jedoch niemand öffentlich benennen will. Einer aus der Szene sagt, Bahr habe sein Vertrauen missbraucht, weil er Kontakte vorgegaukelt habe, die es nicht gab. Beteiligte einer anderen Firma, die finanziell geschädigt worden sein soll, wollen nicht sagen, ob Vorwürfe, die kursieren, stimmen. Einmal, erzählt Bahr, habe ein Brancheninsider bei seiner Mutter angerufen, um sie zu warnen: Sie solle den Größenwahn ihres Sohnes stoppen.

Knapp eine Milliarde Umsatz erwarten Experten 2020 allein in Deutschland, der Schweiz und Österreich mit Influencer-Marketing.

Es regnet. Es ist nicht einfach, Rollkoffer, Ledertasche und Lederrucksack über Kölner Pflasterstein zu bugsieren und dabei den Weg zum nächsten Treffpunkt auf der App zu verfolgen. Bahr versteht es, sich zu inszenieren: Er zeigt beim Gehen noch schnell ein Video von Carsten Maschmeyer, Finanzunternehmer und Investor, der im Video sagt, er werde Bahr, wenn der 18 sei, kontaktieren. Auch ein Bild beim Essen mit Moderator Kai Pflaume ist ihm wichtig.

Grischkat sagt: Charles Lifestyle ist schon speziell

Hinterm Kölner Dom begrüßt ihn einer seiner Teamkollegen vor dem veganen Café „Sattgrün“. Fabian Grischkat ist schon optisch das Gegenteil von Bahr. Der hat sein blondes Haar meist streng zurückgekämmt und gegelt, was ihn älter erscheinen lässt; Grischkat, der mit 14 Jahren als Youtuber begann und mit 16 alleine nach Köln zog, hat die Haare gefärbt, meist blau wie Rezo. Auch in Haltungsfragen gibt es Unterschiede: Grischkat ist vegan, Punk und Klimaaktivist, Bahr lässt es sich gern gutgehen.

Grischkat, mittlerweile 19 Jahre alt, sagt: „Charles Lifestyle ist schon speziell. Aber wir verurteilen uns nicht.“ Sie streiten, sie finden Kompromisse: Manchmal fliegt Grischkat, weil es Termine nicht anders zulassen, Bahr fährt mehr Bahn als sonst. Grischkat hält Bahr für „den zielstrebigsten Menschen, den ich kenne, immer mit einem Plan“. Bahrs Idee war es etwa, Grischkat an die Seite eines FDP-Politikers zu stellen. Seit Anfang des Jahres macht Grischkat nun mit dem Bundestagsabgeordneten Thomas Sattelberger den Podcast „Schräg im Stall“.

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Jung und Alt streiten hier über aktuelle Themen wie das Fliegen. Bahr hat nicht nur in der Sprachlosigkeit zwischen den Generationen eine Marktlücke entdeckt, sondern festgestellt, dass die Politikbranche dabei noch ein weitestgehend unbeackertes Feld ist, voller neuer Kunden.

Sattelberger, 71 Jahre alt, ist nicht irgendein Hinterbänkler. Einst war er Apo, später Vorstand bei der Telekom und der Lufthansa mit dem Faible für Innovation und Freigeistigkeit. Er glaubt, dass im Übergang von der Industriegesellschaft zur Wissens- und Kreativökonomie Unternehmen und Parteien erstarrt seien. Parteien müssten „Plattformen für Debatten“ sein – der Podcast ist ein Beitrag. Am Handy erzählt Sattelberger, dass er sich 20 Anbieter angeschaut und mit sieben Gespräche geführt habe. Charles Bahr sei der einzige gewesen, der direkt loslegen wollte, Vorschläge gemacht habe.

Charles Bahr und Fabian Grischkat im Café "Sattgrün" in Köln.
Charles Bahr und Fabian Grischkat im Café "Sattgrün" in Köln.

© ale

Im „Sattgrün“ sind sich die beiden Jungunternehmer einig, dass es darum geht, ernstgenommen zu werden. Als die Erwachsenen-Wutwelle über Rezos Video anschwoll, habe man „sehr darauf gehofft“, dass die CDU auch mit einem Video reagiere. Am Ende veröffentlichte die Union ein PDF. Danach wird Bahr von Markus Söder (CSU), Bayerns Ministerpräsident eingeladen und diskutiert unter anderen mit der Staatsministerin für Digitalisierung Dorothee Bär und der Influencerin Cathy Hummels. Söder, sagt Bahr, habe ein bisschen gebraucht, bis er kapiert habe, warum die Jüngeren ein gut gemachtes Video als Antwort respektiert hätten.

Dann muss er wieder los. Mit dem Zug. Nur eine Sache belastet ihn. Bis zum Abendevent in der Frankfurter Oper bekommt er seinen Anzug nicht mehr gebügelt. Fabian Grischkat verdreht die Augen. Dann müssen beide lachen.

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