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Gipfeltreffen. Zur "Chef Stage" treffen sich Köche der Region zum kulinarischen Think Tank.

© Nino Stojic

Gastro-Szene auf dem Balkan: Kroatien hebt seine kulinarischen Schätze

Kroatien bietet alle Genüsse, die eine Urlaubsregion braucht. Doch noch fehlen die Gäste außerhalb der Saison. Das soll sich jetzt ändern.

Von Kai Röger

Riesige Drachen umkreisen die Festung in Dubrovnik, sie speien Feuer und verbreiten Angst und Schrecken. Hinter den Burgmauern werden Könige gekrönt und heimtückisch gemeuchelt. Köpfe rollen in der Fantasy-TV-Serie „Game of Thrones“ im Minutentakt. Seit Dubrovnik als pittoreske Kulisse dieser Metzeleien diente, boomen Führungen zu den Schauplätzen.

Zieht man weiter entlang der zerklüfteten Adriaküsten gen Norden, raunen die Einheimischen dem Reisenden zu, dass Brad Pitt hier mit sehr viel Geld und dem kroatischen Stararchitekten Nikola Bašic ein Luxusresort an den malerischen Steinstrand setzen will. Dann ist man auch schon in Šibenik, wo es selbst in „Game of Thrones“ etwas beschaulicher zugeht. Hier steht die „Eiserne Bank“, eigentlich die Kathedrale des Heiligen Jakob, der hier „St. James“ genannt wird. Gleich daneben befindet sich das „Pelegrini“, eines der besten Restaurants in Kroatien, und mit seiner in historisches Gemäuer gefassten Terrasse und dem in Fels gehauenen Gastraum bestimmt eines der schönsten in Europa.

Mit Vielfalt gesegnet

Im „Pelegrini“ kocht einer, der verstanden hat, dass eine Reportage aus einem fernen Land und die feine Küche Kroatiens etwas gemeinsam haben: Sie brauchen am Anfang etwas, das die Aufmerksamkeit auf sie lenkt – seien es nun feuerspeiende Drachen, ein Hollywoodstar oder ein Feinschmeckerfestival wie die „Chef Stage“, erfunden und veranstaltet von Rudolf Štefan, Wirt und Küchenchef des Pelegrini. Seit 2008 gibt es das Restaurant, 2018 wurde es mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet.

Das Restaurant "Pelegrini an der Kathedrale des St. Jakob.
Das Restaurant "Pelegrini an der Kathedrale des St. Jakob.

© promo

Rudolf Štefan hat in Italien die feine produktbasierte mediterrane Küche erlernt. Er weiß genau, mit welcher Vielfalt Kroatien gesegnet ist: Aus dem stahlblauen Meer, durch das man bis tief auf den steinigen Grund blicken kann, stammen die legendären Garnelen der Kvarner Bucht, aber auch Seeigel, Wolfsbarsche, Adlerfische, Jakobsmuscheln, Austern und andere Schalentiere, von denen man außerhalb Kroatiens noch selten gehört hat. Aus dem nördlich gelegenen Istrien kommen Trüffel und Olivenöl in einer Qualität, das der Halbinsel wiederholt die Auszeichnung in der Olivenölbibel „Flos Olei“ als beste Anbauregion der Welt einbrachte. Überall im Land eröffnen kleine Manufakturen, die traditionelle Käse- und Wurstsorten mit neuem Qualitätsbewusstsein produzieren, und eine junge Winzergeneration keltert selbstbewusst aus den autochthonen Trauben Kroatiens charakterstarke Weine.

Rudolf Štefan. Chef des „Pelegrini“ und Initiator der „Chef Stage“.
Rudolf Štefan. Chef des „Pelegrini“ und Initiator der „Chef Stage“.

© promo

Kroatien hat alles, was eine Genussregion braucht, um das ganze Jahr eine Reise wert zu sein. Und dazu Restaurants, die gerade international Furore machen: in Istrien zum Beispiel. Hier dominiert mediterrane Leichtigkeit nach italienischem Vorbild, herausragendes Beispiel das „Monte“ in Rovinj, das als erstes kroatisches Restaurant einen Michelin-Stern erhielt. Küchenchef Danijel Ðekic nutzt moderne Techniken und Trends, um die herausragenden Produkte der Region einem internationalen Publikum zu präsentieren: Auf Ceviche und Sashimi folgen extralang gegartes Spanferkel mit aufwendig verarbeitetem gelben Kohl, Linsen und gekonnt ausbalanciertem Einsatz lokaler Wurstsorten.

Ein Spiel mit Tabus

Oder das „Johnson“. In einem Fischerdorf in der Kvarner Bucht eröffnete vor fast sechs Jahrzehnten der ehemalige Seefahrer Ed Salomon ein Fischrestaurant, der Name ist eine Reminiszenz an den amerikanischen Präsidenten Lyndon B. Johnson. Aber erst mit der Übernahme durch die Brüder Dean und Dragan Jurdana entwickelte sich eine Fischküche, die auch im internationalen Vergleich außergewöhnlich ist: Fast alles wird roh serviert, die Garnelen sogar noch lebend – ein Spiel mit Tabus, das polarisiert, ähnlich einem Gang, der auch im „Noma“ in Kopenhagen serviert wird. Allerdings sind die Garnelen aus der Kvarner Bucht den nordischen geschmacklich überlegen: Sie sind süßer und feiner in ihrer Textur.

Im "Konoba Batelina". Muräne mit Seetang und Radicchio.
Im "Konoba Batelina". Muräne mit Seetang und Radicchio.

© Kai Röger

Noch extremer ist die Küche von David Skoko. Er verwendet in seiner „Konoba Batelina“ kaum noch klassische Edelprodukte, sondern verarbeitet alles, was sein Fischer täglich frisch liefert, darunter vieles, was sonst als Beifang wieder ins Meer geworfen wird. Und er verwertet die Fische ganz, so sind auch mal Fischinnereien wie Seeteufelkutteln Teil seines Menüs. Seit Anthony Bourdain ihn mit einem TV-Team besucht hat, ist bei ihm kaum mehr ein Tisch zu bekommen – und das unabhängig von der Jahreszeit. Aber für die meisten traditionellen Gasthäuser, die „Konobas“, dauert die Saison gerade mal drei Monate. Von Juni bis August boomt der Tourismus. Hotels, Pensionen und Campingplätze an den Küsten und auf den Inseln sind ausgebucht. In Städten wie Rovinj, Porec, Split und besonders in Dubrovnik stöhnt man längst über den „Overtourism“, zu dem die vielen Kreuzfahrtschiffe ein Übriges tun. Außerhalb der Saison bleiben viele Plätze unbesetzt, wenn die Restaurants nicht ohnehin geschlossen haben.

David Skoko, Küchenchef der "Konoba Batelina".
David Skoko, Küchenchef der "Konoba Batelina".

© promo

Alles auf Gastro

Für die Einheimischen gibt es kaum eine Alternative. Sie müssen in diesen drei Monaten ihr Jahreseinkommen erwirtschaften. Neben dem Gastgewerbe besitzt Kroatien kaum Wirtschaftskraft. Deshalb serviert man Touristen in dieser Zeit, was sie wollen: Cevapcici, Pizza, Tintenfisch und Wolfsbarsch vom Grill mit einfachen Beilagen. Eine selbstbewusste Küche, die Region und Tradition vereint, und Personal, das gut ausgebildet ein stetiges Auskommen hat, entwickelt sich so nur selten.

Rudolf Štefan will das ändern. Er hat sich vorgenommen, die Saison zu verlängern, auf Qualität statt auf Massentourismus zu setzen und alle Spielarten der Regionalküchen Kroatiens als Anziehungspunkt für internationale Feinschmecker zu etablieren. Er hat bewiesen, dass man auch außerhalb der Hauptsaison Gäste gewinnen kann, sein Restaurant hat lediglich im Januar geschlossen. Was seinem Personal und den Erzeugern, mit denen er eng zusammenarbeitet, ein kontinuierliches Auskommen ermöglicht. Und er weiß, wie man die lokalen Produkte in Szene setzen muss: Die seines Menüs folgen der Saison, sie bilden die Basis seiner Gerichte.

Die Rezepte sind nicht in Stein gemeißelt, sie können sich sogar täglich ändern: „Der Bura (ein kühler Fallwind aus dem Norden) trocknet die Lippen aus, da passt kräftiger Rotwein einfach nicht, Weißwein ist dann besser“, sagt Štefan. „Dazu serviere ich zwar das gleiche Grundprodukt, dann aber eher roh mit mehr Säure. Bei Südwind verträgt man mehr Aroma und Fett, sodass ich mehr Olivenöl verwenden kann.“ In der kühleren Jahreszeit, wenn die Qualität der Jakobsmuscheln am höchsten ist, serviert er sie gegrillt, auf einem Bett aus Rote-Bete-Schaum. Steigen die Temperaturen, „erfrischt“ er den Gast am Anfang des Menüs mit einem Sashimi vom Bonito mit Kapern, säuerlich eingelegtem Seefenchel und sehr gutem Olivenöl.

Die Herausforderung Dalmatien

Gipfeltreffen. Zur "Chef Stage" treffen sich Köche der Region zum kulinarischen Think Tank.
Gipfeltreffen. Zur "Chef Stage" treffen sich Köche der Region zum kulinarischen Think Tank.

© Nino Stojic

„Pelegrini“ gefeiert, alles kommt von lokalen Erzeugern, das Geschirr fertigt ein befreundeter Töpfer exklusiv für sein Restaurant an, bei den Weinen hat er neben dem unvermeidlichen internationalen Angebot auch eine eigene Linie, die er zusammen mit dem befreundeten Weingut Bibich in der Nähe von Šibenik keltern lässt. Er ist ein Vordenker, der verstanden hat, wie wichtig eine attraktive Gastronomie ist, die die unverwechselbare kulinarische Identität einer Region präsentiert.

Und er kennt die Köche, die es wie er geschafft haben, dass ihre Restaurants auch außerhalb der Saison eine Reise nach Kroatien reizvoll machen. Zum zweiten Mal hat er sie kürzlich bei der „Chef Stage“ um sich geschart, erfolgreiche und inspirierte Köche, die ihren Stil gefunden haben und die sich bei dem dreitägigen Genussfestival in Šibenik über die Zukunft Kroatiens austauschen. Als Vorbild dient ihnen Istrien, wo es jetzt schon gelingt, Touristen mit Wein-, Trüffel-, Film- und anderen Kulturfestivals das ganze Jahr über ins Land zu locken.

Die größte Herausforderung stellt sich ihm in Dalmatien. Das Hinterland besitzt wenige Attraktionen, die Landschaft ist karstig, Wandern wenig reizvoll. Aber es gibt Köche, die einen Stil entwickelt haben, der einzigartig ist, weil er die Traditionen der Region mit moderner Produktphilosophie verbindet. In Zagreb zum Beispiel kombiniert der in Frankreich ausgebildete Robert Hromalic in seinem „Le Kolac Pastry Shop“ höchste Patisseriekunst mit dalmatischer Tradition. Während der „Chef Stage“ serviert er ein köstliches, in salziger Ziegenbutter ausgebackenes Brioche mit Karamell, Ziegencreme und Ziegenkäseeis.

Aus dem eigenen Garten

Oder Vjeko Bašic von der „Konoba Boba“ auf der Halbinsel Murter in Dalmatien. Er war „Koch des Jahres“, als der „Gault & Millau“ 2018 zum ersten Mal diesen Titel in Kroatien vergab. Bašic hat eine traditionelle Taverne in ein Spitzenrestaurant verwandelt, das übers ganze Jahr geöffnet ist.

Ante Božikov und Vjeko Bašic, zwei ausgewiesene Fischexperten.
Ante Božikov und Vjeko Bašic, zwei ausgewiesene Fischexperten.

© Kai Röger

Seine Gerichte spiegeln die osmanischen Einflüsse der dalmatinischen Küche wieder: Sepia mit Kichererbsencreme und schwarzen Polentachips – geradlinig, perfekt austariert, ein Genuss. Aber er ist auch Entertainer, schafft aufreizende Kreationen mit Weitblick wie Tuna Tataki, in Whisky sautierte Garnelen mit ausgefeilter Senfsauce und seine berühmte Meeresfrüchteplatte „Boba“. Basis all dieser Gerichte ist herausragende Produktqualität. Dass das Gemüse im eigenen Garten angebaut wird, ist in Kroatien eine Selbstverständlichkeit, damit geht niemand hausieren. Bašic beschäftigt aber einen eigenen Fischer, wie auch sein Freund, Ante Božikov, der die „Konoba Opat“ betreibt.

Ein traditionelles Gericht aus Sardinen.
Ein traditionelles Gericht aus Sardinen.

© : promo/ Nino Stojic

Beide Küchen erschließen sich aus dem, was die Fischer fangen, der „Fang des Tages“ ist hier keine Phrase. Was der Fischer nicht fängt, muss von der Speisekarte gestrichen werden. Die Köche schaffen mit ihren verbindlichen Abnahmen für andere Betriebe ein kontinuierliches und verlässliches Einkommen, sie sind Wirtschaftsmotoren für ihre Region.

Und sie werden selbst zu Produktexperten. „Ab dem Winter schmecken Garnelen, Austern und andere Muscheln, aber auch die Seeigel am besten. Sepia und Kalmare sind ab dem Frühjahr am fettesten und dann ganz zart“, sagt Božikov. Ganz im Gegensatz zum Sommer, da erwärmt sich das Meer, die Fische wandern in tiefere Gewässer, die Fischer haben große Mühe, sie zu fangen. „In der Hauptsaison gibt es am wenigsten Fisch, aber genau dann wollen ihn am meisten Leute essen“, sagt Božikov. „Alle denken, wir hätten Fisch im Überfluss, dabei kommt das meiste, was in der Hauptsaison in den Touristenrestaurants gegrillt wird, von überall aus der Welt. Es gibt zwar noch heimische Fische, aber die kosten dann das Drei- bis Vierfache.“

Kroatien hat alles, was es für eine Zukunft jenseits des sommerlichen Massentourismus braucht. Man muss es nur wissen und jemanden haben wie Rudolf Štefan, der die verteilt liegenden Schätze seines Landes der Öffentlichkeit präsentiert. Und mit dieser beeindruckenden Leistungsschau Menschen erreicht, die verstehen, dass sich das Beste jenen offenbart, die zur rechten Zeit am rechten Ort sind.

Empfehlenswerte Adressen:

1. "Monte" - Spitzenlage auf dem Hügel: Istriens Aushängeschild, was Aussicht, Ambiente und Raffinement betrifft, Rovinj. Ul. Montalbano 75, monte.hr

2. "Johnson" - Höchste Produktqualität, sensibel zubereitet oder ganz roh serviert. Gastfreundliche Preisgestaltung, Mošcenicka Draga. Majcevo 29 b, johnson.hr

3. "Konoba Batelina" - Ausdrucksstarke Aromen und der Mut, alles zu verwerten, machen die Küche David Skokos einzigartig in Kroatien, Banjole. Cimulje

4. "Le Kolac. Pastry Shop" - Seine Erfahrung aus der französischen Top-Gastronomie verbindet Robert Hromalic mit panonischer Tradition. Seine Edeltörtchen gibt’s auch to go, Zagreb. Petreticev trg 3, siehe Facebook „Le Kolac“

5. "Konoba Boba" - Seine ausgefeilte und zeitgemäße Produktküche präsentiert Vjeko Bašic in kunstaffin-elegantem Ambiente, Murter, Ul. Butina 22, konobaboba.hr

6. "Konoba Opat" - Schickes Restaurant mit kleiner Marina und gemütlicher Bar – das Reich des Fischexperten Ante Božikov, Kornati. opat-kornati.com

7. "Bibich Winery" - Alen Bibichs Weine sind hochindividuell, neben Verkostungen kann man hier auch sehr gut essen, Plastovo. Zapadna Ulica 63

8. "Pelegrini" - In der Region verwurzelte Spitzenküche in einmaligem Ambiente – unbedingt auf der Terrasse reservieren, Šibenik, Ul. Jurja Dalmatinca 1, pelegrini.hr

Empfehlenswerte Adressen. Zur Vergrößerung auf die Grafik klicken.
Empfehlenswerte Adressen. Zur Vergrößerung auf die Grafik klicken.

© tsp

Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.

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