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Galt im Ausland als Kennedy Kanadas. Mondän, liberal, jung - nun muss Justin Trudeau zeigen, dass er auch hart sein kann.

© dpa

G-7-Gipfel in Kanada: Für Justin Trudeau wird es ernst

Freundlich war Justin Trudeau lange genug. Als Gastgeber des G-7-Gipfels muss Kanadas Premier nun zeigen, dass er hart sein kann. Gegenüber den Nachbarn - den USA unter Donald Trump.

Ein Fluss, so breit, so tief wie ein Meer. Im Sonnenlicht tummeln sich Weißwale im St.-Lorenz-Strom, der weiter im Nordosten in den Atlantik mündet. Am Ufer erhebt sich das Massif de Charlevoix. Vom Plateau, 770 Meter über dem Fluss, bietet sich ein erhabener Blick.

Bekanntlich kann Idylle trügerisch sein. An diesem Fluss, in der kleinen französischsprachigen Stadt La Malbaie, könnte sich Justin Trudeaus politische Zukunft entscheiden – und damit die Kanadas. Letztlich haben die Ereignisse der kommenden Tage hier sogar Einfluss auf Trudeaus Verbündete in Europa. Denn in La Malbaie, in einem Luxushotel, tagen ab Freitag die Regierungschefs Deutschlands, Frankreichs, Italiens, Japans, Kanadas, Großbritanniens, der USA und die Spitzen der Europäischen Union.

90 Prozent der Kanadier leben an der Grenze mit den USA

Als Gastgeber des 44. G-7-Gipfels kann sich Kanadas Premierminister weltweit, vor allem aber den Kanadiern, als die Führungskraft präsentieren, die viele in ihm bereits sahen. Oder: sehen wollten. Justin Trudeau kann nun beweisen, dass er in der Lage ist, zwischen den unterschiedlichen Gesprächspartnern zu vermitteln, vielleicht Verbindendes zu finden. Vor allem aber: sich dem US-Präsidenten Donald Trump zu widersetzen, den in Kanada, Deutschland, Frankreich viele nur als rüpelhaften Gegner betrachten.

Im Eifer, die Handelsbeziehungen der USA zu reformieren, hat Trump auch Stahl und Aluminium aus Kanada mit Strafzöllen belegt. Aus dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen Nafta will er aussteigen. Für Trudeau ist dies ein Drama, 90 Prozent der 35 Millionen Kanadier leben in der Nähe der 5000 Kilometer langen Grenze mit den USA, von keinem Markt ist Kanada so abhängig wie vom US-amerikanischen. „Wir werden höflich sein“, sagte Trudeau vor einigen Tagen. „Aber wir werden uns nicht herumschieben lassen.“ Diese Botschaft soll in den USA, vielleicht aber noch mehr in Kanada gehört werden.

Frankreichs Präsident Macron kam schon zwei Tage vor dem G-7-Gipfel zu Trudeau.
Frankreichs Präsident Macron kam schon zwei Tage vor dem G-7-Gipfel zu Trudeau.

© Doyle/dpa

Trudeau jedenfalls sucht die Nähe zu Europa, als Erster war Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schon am Mittwoch in der kanadischen Hauptstadt Ottawa eingetroffen. Beide sprachen sich vor dem Gipfel für „einen starken, verantwortlichen, transparenten Multilateralismus“ aus, „um die globalen Herausforderungen anzugehen“.

Den Wirtschaftsberater von Donald Trump lässt das kalt, die USA seien zu Recht „mehr an nationale Interessen gebunden als an alles andere“. Streit droht auch bei den Gesprächen über den Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran, das die Europäer aufrechterhalten wollen. Zudem hatte Trump angekündigt, sich auch aus dem Pariser Klimaschutzabkommen verabschieden zu wollen. Selten gab es unmittelbar vor einem G-7-Gipfel so viel Dissens.

Noch im vergangenen Jahr war Justin Trudeau, 1971 geboren, öffentlich fast immer lächelnd gesehen worden. Er galt, da waren sich Kommentatoren in Kanada, Deutschland und selbst den USA einig, als Hoffnungsträger, als Anti-Trump. Jünger als die meisten Spitzenpolitiker, dazu liberaler, mondäner, ökologischer und Minderheiten – generell Neuem gegenüber – aufgeschlossen. Und sportlich! Justin Trudeau boxt und fährt Ski.

Nicht nur in Kanada, dessen Premierminister Trudeau seit November 2015 ist, steht er für einen neuen Typ Politiker. Nun soll er ganz klassisch, hart und machtvoll sein?

Ein Treffen in Trudeaus Büro in Ottawa. Sein Schreibtisch ist aufgeräumt, dahinter stehen zwei Ständer mit kanadischen Flaggen, das Jackett hängt am Kleiderhaken. Justin Trudeau wirkt gelassen, ruhig und freundlich. Er setze auf Angela Merkel und „ihre Führung“, sagt er an diesem Tag nur wenige Wochen vor Beginn des G-7-Gipfels. Auch mit den anderen G-7-Ländern sehe er „unglaubliches Potenzial“. Und er arbeite hart daran, sich noch mit Trump zu einigen. Dass dies nicht mehr auf die ganz freundliche Art geht, wie Trudeau es über Monate versucht hatte, scheint nun klar zu sein. Trudeau müsse härter kämpfen, hieß es kürzlich beim kanadischen Sender CBC. Wobei Trump leider „ein Sparring-Partner besonderer Art“ sei.

Trudeaus Image ist angekratzt: Nähe zur Ölindustrie, mangelnder Reformwille, eine Luxusreise

Kurz vor dem Gipfel wurde bekannt, dass Trump in einem Telefongespräch mit Trudeau vor ein paar Tagen darauf hingewiesen habe, dass die Kanadier 1812 das Weiße Haus niedergebrannt hätten – was er meint, sind die britischen Einheiten, die im Zweiten Unabhängigkeitskrieg in Washington kämpften. Kanada gehört zum Commonwealth, Staatsoberhaupt ist die Queen.

In Kanada, das werden auch die erwarteten Anti-G-7-Demonstranten zeigen wollen, ist der Premierminister seit Monaten nicht mehr derjenige, der im Ausland gern „Kanadas Kennedy“ genannt wurde. In den Umfragen verliert Trudeau seit einiger Zeit an Zustimmung. Was seine Wähler gern alten Konservativen vorwerfen, kreiden sie jetzt auch ihm an: seine Nähe zur Ölindustrie, deren umstrittene Pläne, massenhaft Wälder zu roden, die er unterstützt. Dann der mangelnde Reformwille, eine Luxusreise.

Trudeau und US-Präsident Trump
Trudeau und US-Präsident Trump

© Reuters

Vom Ethikbeauftragten seiner eigenen Regierung musste sich Trudeau bescheinigen lassen, dass er mit einem Urlaub auf einer Insel der Bahamas, die Aga Khan gehört, dem reichen Oberhaupt der Ismaeliten, den Ethikcode Ottawas verletzt habe. Eine Indienreise, bei der er und seine Familie laufend in neuen Gewändern vor die Fotografen traten, sorgte für Spott. Trudeau hat zudem sein Versprechen, das Wahlrecht zu reformieren, nicht eingelöst. Noch gilt das auch in den USA übliche Mehrheitswahlrecht.

Schlimmer dürften viele Kanadier bewerten, dass Trudeau den Bau einer Pipeline unterstützt, die Öl aus den Teersandfeldern im zentralkanadischen Alberta an die ferne Pazifikküste leiten soll. Umweltschützer und indigene Gemeinden sind wütend, zumal viele Ureinwohner für Trudeau gestimmt hatten.

Trotzdem ist der Premierminister kurz vor dem Gipfel in seinem Büro der souveräne, herzliche Gastgeber. Auch das hat Tradition, hier saß schon sein Vater. Pierre Trudeau war – mit einer Unterbrechung – zwischen 1968 und 1984 Premierminister, eine Legende in der internationalen Politikwissenschaft. Damals bekam Kanada seine progressive Verfassung samt Multikulturalismus und Mehrsprachigkeit, Trudeau Senior überstand im Jahr 1970 den Aufstand in der französischsprachigen Provinz Québec, band schließlich viele Separatisten ein.

Justin Trudeau spricht beide Sprachen Kanadas

Die Trudeaus stammen aus Montreal, wo viele die beiden großen Sprachen des Landes sprechen, Französisch und Englisch. Bevor Justin Trudeau wie sein Vater in der Liberalen Partei aufstieg, war er Französisch- und Mathematiklehrer. Mit seiner Frau Sophie Grégoire hat er drei Kinder. Noch als oppositioneller Wahlkämpfer absolvierte er einen Boxkampf gegen einen deutlich massiveren Konservativen. Justin Trudeau gewann.

Wenn er nun in La Malbaie mit den Spitzen der Weltpolitik auftritt, dann sind die Erwartungen an ihn vielleicht schon zu hoch. Jedenfalls so hoch, dass er viel dafür tun muss, seinen immer noch zahlreichen, aber weniger werdenden Bewunderern so zu gefallen, wie das vor nicht allzu langer Zeit üblich war.

In einem Jahr ist Wahlkampf. Die Liberalen müssen im Oktober 2019 ihre Mandate verteidigen. Trudeau braucht Erfolge, sein Image muss zügig auch das eines aufrechten Interessenvertreters werden. Zwar fühlen sich die meisten Kanadier trotz vieler Differenzen – sogar trotz Trump – mit den US-Amerikanern verbunden. Hunderttausende überqueren regelmäßig die Grenze, massenhaft ziehen Kanadier ins warme Florida, vor allem linke US-Bürger studieren und arbeiten gern an kanadischen Hochschulen. Doch natürlich ist Kanada nicht die USA. Schon gar nicht die unter Donald Trump!

In Quebec demonstrieren Kritiker in Politikermasken vor dem G-7-Gipfel
In Quebec demonstrieren Kritiker in Politikermasken vor dem G-7-Gipfel

© dpa/Michael Kappeler

Die Kanadier sehen es nicht gerne, wenn ihr Regierungschef allzu vertraut mit dem US-Präsidenten umgeht. Nun werden sie genau beobachten, wie sich Trudeau gegenüber Trump verhält. Es geht beim Gipfel also auch um Atmosphäre, Stil, Auftreten.

Die konkreten politischen Erwartungen, die detailreichen Resultate, so scheint es, sind dann gar nicht mehr so wichtig. Nachdem der Versuch scheiterte, Trump im Vorfeld des G-7-Gipfels im Gespräch zu überzeugen, keine Strafzölle zu verhängen, schlagen Justin Trudeau und seine Außenministerin Chrystia Freeland nun mit Gegen-Zöllen zurück. Immerhin, es ist eine wohlüberlegte Liste von Gütern, die vor allem auf Produkte zielt, die aus US-Bundesstaaten mit bedeutenden Senatoren und Gouverneuren aus Trumps Republikanischer Partei kommen. Die Hoffnung der Kanadier ist, dass diese Politiker nun Druck auf Donald Trump machen.

Im Ausland wissen davon wenige, allerdings ist Trudeaus positives Image dort auch noch kaum erschüttert. Als Premier kam er erstmals im Februar 2017 nach Berlin. Er trat mit Angela Merkel vor die Presse, es mache ihn stolz, Deutschland einen „ehrlichen Freund“ nennen zu können. Merkel wiederum dankte Kanada für den Einsatz beim kanadisch-europäischen Freihandelsabkommen Ceta.

In Berlin sahen in Trudeau viele einen politischen Heiler

Am Holocaust-Mahnmal schritt Trudeau ohne Merkel durch die Stelen und legte einen Kranz nieder. Nach dem Anschlag am Breitscheidplatz, nach den Debatten um Messerattacken, den AfD-Wahlerfolgen und dem neuen US-Präsidenten, wirkte Justin Trudeau fast wie ein politischer Heiler. Wie jemand, der ein besseres Amerika und ein besseres Europa gleichermaßen repräsentierte. Am Breitscheidplatz legte er in Gedenken an die Opfer des Anschlags eine weiße Rose nieder.

Nun aber steht für Kanada viel auf dem Spiel. Unerfüllbare Bedingungen hätten die USA gestellt, sagte Trudeau, so möchte Trump eine „sunset clause“, eine Auslaufklausel für das Freihandelsabkommen Nafta. Nach fünf Jahren solle das Abkommen enden, es sei denn, man einige sich auf eine Verlängerung. Doch welche Firma investiert in Kanada, wenn fünf Jahre später vielleicht kein zollfreier Handel mit dem einzigen Nachbarland mehr möglich ist?

Absurd, inakzeptabel, beleidigend – das sind die Vokabeln, die Trudeau inzwischen benutzt, wenn er die die Politik Trumps beschreibt, wenn er von den US-Strafzöllen auf Stahl und Aluminium redet. Selten sieht man ihn so ernst.

Justin Trudeau hat sich im Griff, aber die Enttäuschung über die Nachbarregierung ist ihm anzumerken. Hätte er sich so wenig unter Kontrolle wie der Mann in Washington, wäre er wohl ausgerastet, hätte wilde Nachrichten über Twitter verbreitet. Doch Trudeau gibt durchaus zu verstehen, dass er sich von Trump getäuscht fühlt. Vergangenes Jahr habe der ihm noch gesagt, es sei falsch, Kanada mit einem „Sicherheitsstrafzoll“ zu belegen.

Am Freitag gegen Mittag wird Trudeau in La Malbaie alle seine Gäste empfangen. Bereits am Nachmittag werden sich die Staats- und Regierungschefs zum traditionellen Foto aufstellen. Ihre Körpersprache wird aufmerksam beobachtet werden – ob es am Samstag zum Abschluss des Gipfels diesmal überhaupt ein von allen unterzeichnetes Communiqué geben wird, bezweifeln einige schon jetzt. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach von einem tiefen Dissens im Verhältnis zu den USA  und ließ offen, ob eine gemeinsame Abschlusserklärung möglich sein wird.

Justin Trudeau will nicht zulassen, dass seine Themen durch den Streit mit Trump untergehen. Der Liebling europäischer Linksliberaler hat viele Fragen auf die Tagesordnung setzen lassen: zum Klimaschutz, zu sauberen Ozeanen und besserer Frauenförderung.

Schon jetzt belebt der kommende Gipfel im Tagungsort das Geschäft. Jedenfalls im Saint-Pub, wo ein junger Mann eifrig hinterm Tresen Bier zapft. Jemand bestellt ein „G-7-Bier“, diese Idee der kleinen hauseigenen Brauerei scheint sich längst auszuzahlen. Das Bier wird mit Bestandteilen aus allen am Gipfel teilnehmenden Ländern gebraut: Malz aus Kanada, Großbritannien und Italien, Hopfen aus den USA, Frankreich und Japan, die Hefe kommt aus Deutschland. Der Alkoholgehalt liegt bei sieben Prozent. Es schmeckt ein bisschen bitter.

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