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Drachentöter: Das mittelalterliche Nibelungenlied ist von Hass durchzogen. Der Holzschnitt von Julius Schnorr von Carolsfeld (1843) zeigt, wie Siegfried den Drachen Fafnir erschlägt und in dessen Blut badet.

© picture alliance/ullstein bild/Archiv Gerstenberg

Literaturwissenschaften: Hass und Literatur – ein explosives Verhältnis

Ein Wissenschaftler-Team der Freien Universität untersucht Ausdrucksformen der verletzenden Rede.

Schmähgedichte, Shitstorms im Internet, öffentliche Hasstiraden bei Demonstrationen oder ein amerikanischer Präsident, der seine Kritiker mittels Tweets niedermacht. Es scheint so, als würde die Gesellschaft von hasserfüllten Gefühlsausbrüchen derzeit regelrecht überflutet. Warum ist das so? Und warum gerade jetzt? „Zum einen leben wir in einer Zeit, die von starken gesellschaftlichen Aufwallungen geprägt ist: Pegida, der Aufstieg der AfD, Trumps Politik mit Motiven der Hassrede“, sagt Robert Walter-Jochum, Literaturwissenschaftler an der Freien Universität Berlin. „Zum anderen begünstigen das Internet und soziale Medien, dass Hasskommentare ungefiltert und anonym ein breites Publikum erreichen.“

Schon in der Antike brach sich Hass verbal Bahn – und wurde Teil der Literatur, etwa in der Bibel: Kain erschlug aus Hass seinen Bruder Abel. Hass öffentlich zu äußern, ist also kein neues Phänomen. Einzig die medialen Mittel hätten sich im Laufe der vergangenen 2000 Jahre geändert, sagt Jürgen Brokoff, Professor für Literaturwissenschaft an der Freien Universität. Gemeinsam mit Walter-Jochum erforscht und analysiert er im Rahmen des Sonderforschungsbereichs Affective Societies die Ausdrucksformen der verletzenden Rede. Ende Mai haben beide die Tagung „Hass/Literatur“ organisiert, um die Verflechtungen von Hass, Sprache und Literatur vom Mittelalter bis in die Gegenwart zu beleuchten: Wie wird Hass thematisiert? Ist Literatur selbst Ausdruck von Hass? Oder stachelt sie zu Hass an und befördert entsprechende Verhaltensweisen? Den Begriff Literatur fassten die Philologen dabei weit, sie verstehen literarische Sprache als nur ein Artikulationselement unter vielen: Neben Roman, Erzählung und Gedicht zählen sie auch Tweets, Blogs und Netzkommentare dazu. Ein Blick zurück zeigt, warum.

Hagens Hass auf Siegfried durchzieht schon das Nibelungenlied, ebenso wie sich Martin Luthers hasserfüllte Kritik gegen Papstkirche, Juden und Muslime in den Schriften des Reformators findet. So bezeichnet er in „Wider das Papsttum zu Rom, vom Teufel gestiftet“ (1545) die katholische Kirche als „Teufelssynagoge“ oder den Papst als „Blutsäufer“ und „Endchrist“. Um 1800 schrieb Heinrich von Kleist das Drama „Die Hermannsschlacht“ über das Aufeinandertreffen der römischen und germanischen Heere im 9. Jahrhundert nach Christus im Teutoburger Wald. „Hermann der Cherusker wiegelt darin seine Stammesgenossen gegen die Römer auf und schürt den Hass“, sagt Brokoff. „Aber der konkrete Hintergrund des Werkes von Kleist war die Besatzung Preußens durch Napoleons Truppen.“

Hass auf einen gemeinsamen Gegner kann zusammenschweißen

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs entstehen regelrechte Hassgesänge auf Soldaten und Vertreter anderer Nationen, darunter das berühmt-berüchtigte Gedicht „Hassgesang gegen England“ des Schriftstellers Ernst Lissauer, in dem es unter anderem heißt: „Dich werden wir hassen mit langem Haß, / Wir werden nicht lassen von unserem Haß.“ Zur selben Zeit und schon zuvor in der Epoche um 1900 schlägt sich auch im Antisemitismus Hass literarisch nieder.

„Literatur diente in Krisen- und Kriegszeiten immer wieder der Feindbildproduktion und der Emotionalisierung der eigenen Anhängerschaft“, sagt Brokoff. Hass auf einen gemeinsamen Gegner könne dabei auch zusammenschweißen – eine Gruppe, eine bedrängte oder sich bedroht fühlende Nation. Die Krisen von heute bestehen nicht nur aus Kriegen oder wieder aufkeimendem Antisemitismus. Sie heißen Globalisierung, Klimawandel, Angst vor Überfremdung und Digitalisierung – und finden ihren Ausdruck in Beiträgen, die im Internet publiziert werden. „Je komplexer die Zusammenhänge, umso reizvoller wird der Hassausdruck“, sagt Robert Walter-Jochum. „Denn Hass ist ein großer Vereinfacher. Er verzichtet auf die Nuance, auf das Argument und ist auch gar nicht daran interessiert, ein konkretes Problem zu lösen.“ In postfaktischen Zeiten spielten Tatsachen immer weniger eine Rolle. Emotionen würden über die Realität gestellt.

Über hasserfüllte Sprache in der Rede und in Texten wird momentan politisch, juristisch und gesellschaftlich diskutiert. Inwiefern kann die Literaturwissenschaft diese Diskussion bereichern? „In unserem Projekt analysieren wir alle Formen degradierender, entwürdigender und missachtender Rede“, betont Brokoff. „Dadurch können wir keine gesellschaftlichen Veränderungen herbeiführen oder Defizite heilen. Aber wir können ein Bewusstsein dafür schaffen, wie stark emotionalisiert Gesellschaften und deren Redeweisen sind.“

Ein zentraler Aspekt des Sonderforschungsbereiches, speziell aber dieses Teilprojektes, sei es herauszuarbeiten, dass in allen politischen Diskursen affektive, emotionale Anteile steckten. Wer mit jemandem diskutiert, der auf rationaler Ebene nicht ansprechbar sei, könne demjenigen unzählige Male sagen, wie es rational laufen müsse – der andere werde dem trotzdem nicht folgen, meint Walter-Jochum. Die Politik brauche deshalb ein Bewusstsein dafür, über welche affektiven Kanäle eine Kommunikation ablaufen müsse, um die Aufsplitterung der Gesellschaft in emotionale Blasen zu verhindern: „Es ist eine Fiktion zu glauben, dass immer das bessere Argument, nüchtern vorgetragen, in der gesellschaftlichen Debatte gewinnt.“

"Hate Poetry" als neue, kreative Ausdrucksform

Literatur biete eine große Bandbreite an Möglichkeiten, auf Hass zu reagieren, sagt Jürgen Brokoff. Vom grundsätzlichen Thematisieren und „Nachdenken über“ bis hin zu eigenen aktiven Formen des Widerstandes wie der Gegenrede.

Wenn der Affekt Hass etwas Gutes, sogar sozial Produktives habe, dann die Tatsache, dass er stets eine Reaktion provoziere, sagt Jürgen Brokoff. Eine Hassrede bewirke, dass die angefeindete Person sich positioniere, sich andere mit ihr solidarisierten und so eine Gegenbewegung in Gang komme. Dabei entstünden neue, kreative Ausdrucksformen – wie etwa „Hate Poetry“: Angelehnt an Poetry Slams haben in der jüngsten Vergangenheit verbal attackierte Journalistinnen und Journalisten zu Abendveranstaltungen eingeladen, bei denen sie die Hassbotschaften, die sie erreicht haben, mit Leidenschaft vortrugen.

Einem ähnlichen Muster der Rekontextualisierung von Hassrede folgt das jüngst erschienene Buch „Post von Karlheinz: Wütende Mails von richtigen Deutschen – und was ich ihnen antworte“, in dem der Spiegel-Journalist Hasnain Kazim seine Mailwechsel mit Leserinnen und Lesern öffentlich macht, die ihm Hass-Mails schreiben. Kazim war auch am Konzept „Hate Poetry“ beteiligt. „Das sind kreative Formen, auf gesellschaftliche Unwuchten oder Beleidigungen zu antworten“, sagt Jürgen Brokoff.

Bei den Veranstaltungen der „Hate Poetry“ sei im Übrigen viel gelacht worden. Denn Hass habe eine seltsame Eigenschaft: Er sage weit weniger über das Hassobjekt als über den Hassenden selbst aus. Was ungewollt komisch sein könne – und das wiederum sehr befreiend.

Catarina Pietschmann

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