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Grund zum Feiern: Im Doktorandenprogramm PharMetrX wird seit zehn Jahren die Brücke geschlagen zwischen Pharmazie und Mathematik.

© Andreas Kämper

Interdisziplinär forschen: Pharmazie + Mathematik = berechenbare Wirkung nach Maß

Das Doktoranden-Programm „PharMetrX“ feierte zehnjähriges Bestehen.

Was nützt die beste Chemotherapie, wenn der Tumor auf den verabreichten Wirkstoff oder die verabreichte Dosis nicht reagiert? „Eine Behandlung macht dann keinen Sinn und belastet den Patienten nur unnötig“, sagt Charlotte Kloft, Leiterin der Abteilung Klinische Pharmazie und Biochemie am Institut für Pharmazie der Freien Universität Berlin. Dies ist nur ein Beispiel von vielen, das zeigt: Was bei vielen Menschen wirkt, muss nicht zwangsläufig gut für alle sein.

Medikamente werden zwar getestet – erst in Zellkulturen, dann im Tierversuch, später an gesunden Freiwilligen und zuletzt an Patienten. Aber was passiert eigentlich genau im Körper jedes Einzelnen nach der Einnahme? Wie stark ist der Effekt des Wirkstoffs, und wie lange hält er an? Erreicht das Medikament überhaupt den Wirkort? Und wie oft, in welcher Menge und in welcher Form sollte es eingesetzt werden?

Die Pharmakometrie – ein noch junges, interdisziplinäres Gebiet der Pharmazie, in dem Charlotte Kloft forscht – sucht Antworten auf diese Fragen. Und zwar mithilfe der Mathematik. Ihr Team entwickelt mathematische Modelle, in die unter anderem pharmakologische Daten über den Wirkstoff, Ergebnisse klinischer Studien sowie Angaben über Alter, Geschlecht, Körpergewicht, individuelle Organfunktionen, Krankheitsstatus und Genetik der Patienten einfließen, um treffende Vorhersagen über Wirkung und optimale Dosierung machen zu können. „Insbesondere sehen wir uns die Nierenfunktion der Patienten genau an, denn der individuelle Stoffwechsel ist ganz entscheidend“, sagt Charlotte Kloft.

Es geht um Forschung, Training und Netzwerken

Um Forschung und Ausbildung auf diesem Gebiet voranzutreiben, stellte die Wissenschaftlerin gemeinsam mit dem Mathematiker Wilhelm Huisinga von der Universität Potsdam 2008 das interdisziplinäre Doktorandenprogramm „PharMetrX – Pharmacometris & Computational Disease Modeling“ auf die Beine. Es ruht auf drei Säulen: Forschung, Training und Networking. Inzwischen ist daraus ein reges Netzwerk entstanden, zu dem Forschergruppen rund um den Globus und eine Reihe forschender Pharmaunternehmen gehören – von Boehringer-Ingelheim bis Roche. Die Firmen unterstützen PharMetrX nicht nur finanziell, sondern tragen auch mit Ausbildungs-Modulen und Mentoring zu dem auf dreieinhalb Jahre angelegten Curriculum bei. Zum zehnjährigen Bestehen des Doktorandenprogramms waren im Frühjahr dieses Jahres knapp 100 Absolventen und aktuell Promovierende sowie die Forschungs-, Ausbildungs- und Industriepartner zu einem Symposium zusammengekommen.

Warum ist Pharmakometrie so wichtig? Arzneimittel werden üblicherweise für Erwachsene mit einem konkreten Krankheitsbild entwickelt. Bestimmte Patientengruppen – wie etwa Säuglinge, Schwangere oder Intensivpatienten – sind aus ethischen Gründen von klinischen Studien meist ausgeschlossen. Auswahl und Dosierung von Medikamenten ist bei ihnen dementsprechend heikel. Drei Mal täglich eine Tablette ist nach wie vor der „Klassiker“ im Beipackzettel. Doch diese Dosierungs-Anweisung orientiere sich an Menschen von durchschnittlicher Größe und Gewicht, sagt Charlotte Kloft: „Es gibt aber auch Patienten mit einem Body-Mass-Index von 80 – Normalgewicht endet bei 30. Wenn derart übergewichtige Patienten etwa ein Antibiotikum brauchen: Wie viel soll man ihnen dann geben?“

Gut dosierbare Kügelchen statt großer bitterer Pillen

Was Pharmakometrie leisten kann, zeigt ein europäisches Projekt, an dem Klofts Team und die Charité sowie weitere EU-Partner beteiligt waren. Durch einen Gendefekt fehlt einem von 5000 bis 10000 Neugeborenen ein Enzym, welches das Stresshormon Kortisol herstellt, das lebenswichtige Stoffwechselvorgänge im Körper aktiviert. Darum muss ihnen die sehr bittere Substanz von Geburt an lebenslang zugeführt werden. Anhand von Studienergebnissen und Daten zur altersabhängigen Stoffwechselleistung wurden die Dosierungen für Kleinkinder und Säuglinge mathematisch extrapoliert. Dann entwickelten die Wissenschaftlerteams anstelle der großen bitteren Pillen winzige, gut dosierbare und geschmacksneutral-ummantelte Kügelchen.

Nach einer Dosierungsstudie der Charité (mit Erwachsenen) wurde das mathematische Modell weiter verfeinert und das neue Arzneimittel erstmals an wenigen jungen Patienten getestet. Der Test bestätigte die Vorhersage exakt, was wesentlich dazu beitrug, dass das Medikament im März 2018 europaweit für die Behandlung von Neugeborenen, Säuglingen und Kleinkindern zugelassen wurde. „Es ist das erste Arzneimittel für diese angeborene Krankheit, das in Europa für Kinder unter sechs Jahren zugelassen wurde“, sagt Kloft nicht ohne Stolz.

Catarina Pietschmann

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