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Ein Piks, der Leben retten kann. Schon Babys werden gegen ansteckende Krankheiten geimpft.

© Voisin/Phanie/picture alliance

Impfforschung: Alarm am Checkpoint

Welche Impfstoffe stärken das menschliche Immunsystem? An der Charité und der Freien Universität suchen Expertenteams nach Antworten.

Herbst ist Impfzeit. Für viele ist es selbstverständlich, den Grippeschutz jährlich aufzufrischen. Andere lehnen aus Prinzip jegliche Schutzimpfung ab, weil sie mögliche Risiken höher einschätzen als den Nutzen. Die Argumente sind meist irrational, die Folgen eines Impfverzichts allerdings höchst real – und allzu oft sogar tödlich: 2017 fielen der Grippewelle allein in Deutschland fast 1000 Menschen zum Opfer. Und an Masern, einer Krankheit, die zu eliminieren sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum Ziel gemacht hat, sterben laut WHO weltweit 400 Kinder – pro Tag! Es ist nachgewiesen, dass man durch eine Impfung nicht nur sich selbst schützt, sondern auch andere (Nichtgeimpfte), weil Geimpfte die Erreger nicht weitergeben können.

Die sogenannte aktive Immunisierung geht auf den englischen Mediziner Edward Jenner zurück. 1796 hatte er entdeckt, dass Landarbeiter, die sich mit harmlosen Kuhpocken infiziert hatten, von der oftmals tödlich verlaufenden Infektion mit Menschenpocken verschont blieben. Daraufhin wurden zahlreiche erfolgreiche Impfstoffe entwickelt, etwa gegen Diphterie, Wundstarrkrampf und Kinderlähmung.

Lebendimpfstoffe, wie sie etwa gegen die seit 1980 weltweit als besiegt geltende Pockenerkrankung verabreicht werden, basieren auf ähnlichen, stark abgeschwächten Viren oder Bakterien. Ihre Alternativen, durch Hitze oder anderweitig inaktivierte Totimpfstoffe, oder sogenannte Spaltvakzine, die nur Bruchstücke der Erreger enthalten, gelten zwar als noch risikoärmer, müssen häufig jedoch aufgefrischt werden. „Meist wird eine zufriedenstellende Immunisierung überhaupt erst nach dreimaliger Impfung erreicht - etwa beim Hepatitis-Impfstoff“, sagt Professor Leif Erik Sander, Infektionsmediziner und Pneumologe an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, dem gemeinsamen medizinischen Fachbereich von Freier Universität und Humboldt-Universität. Erst Zusatzstoffe, sogenannte Adjuvantien, wie die von Impfgegnern oft geschmähten Aluminiumsalze, sorgten für eine akzeptable Impfwirkung von Totimpfstoffen. Eine einzige Lebendimpfung gegen Masern oder Röteln jedoch schützt mehr als 95 Prozent der Geimpften. Und das zumeist ein Leben lang.

Um langlebige Antikörper auszubilden bedarf es Helferzellen

Warum aber lösen Lebendimpfstoffe wesentlich stärkere und nachhaltigere Immunantworten aus? „Erkennt die Immunabwehr Eindringlinge als tot, aktiviert sie lediglich ein Sparprogramm. Pathogene, die noch RNA-Moleküle enthalten, nimmt das Immunsystem dagegen wesentlich ernster.“ Das hat Leif Erik Sander vor einigen Jahren an Mäusen nachweisen können. Kürzlich gelang es seinem Team, diesen Unterschied auch molekular zu erklären. Dazu infizierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler menschliche Zellen im Reagenzglas und suchten nach Rezeptoren, die RNA erkennen können.

In den Phagosomen von Fresszellen wurden sie fündig. „In diesen Zellorganellen werden körperfremde Substanzen wie Krankheitserreger üblicherweise zerlegt und inaktiviert, außerdem werden bestimmte Bestandteile von Erregern als Antigene an der Zelloberfläche präsentiert, und stoßen damit die sogenannte adaptive Immunabwehr an, die letztendlich für den Impfschutz verantwortlich ist.“ Um langlebige Antikörper auszubilden bedarf es bestimmter Helferzellen. Diese treten aber erst auf den Plan, wenn ein bestimmter „Checkpoint“ im Phagosom der Fresszellen – der Toll-like receptor 8 (TLR8) – Alarm schlägt. Und der wird nur durch lebende Erreger beziehungsweise deren RNA aktiviert. Über Botenstoffe bilden sich daraufhin sogenannte follikuläre Helferzellen, die die Bildung effektiver Antikörper unterstützen und so dem Eindringling den Garaus machen.

Leif Erik Sanders Team forschte daraufhin gemeinsam mit Veterinärmedizinern der Freien Universität an Schweinen aus Zuchtbetrieben weiter, die routinemäßig geimpft werden. Eine Gruppe erhielt einen Lebendimpfstoff gegen Salmonellen, die andere einen durch Hitze inaktivierten. Tierpathologieprofessor Achim Gruber und die promovierte Veterinärin Kristina Dietert untersuchten mittels mikroskopischer Gewebsanalyse den Effekt verschiedener Impfstoffvarianten und sahen sich die TLR8-vermittelten Immunantworten an. Die Immunologinnen Professorin Suanne Hartmann und Friederike Ebner, promovierte Tiermedizinerin, isolierten bestimmte Abwehrzellen aus dem Blut und der Milz der Tiere und etablierten gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Charité – Universitätsmedizin Berlin den ersten entsprechenden In-vitro-Test zum Nachweis der follikulären Helferzellen in Schweinen.

Ein starkes Immunsystem bei Nutztieren könnte Antibiotika einsparen helfen

Die Ergebnisse aus Sanders Labor an menschlichen Zellen bestätigten sich beim Schwein eindrucksvoll. Das Wissen nutzen die Infektionsmediziner nun, um Totimpfstoffen mehr Power zu geben. Sie wollen neuartige Zusatzstoffe entwickeln, die am Checkpoint TLR8 den gleichen Alarm auslösen wie die RNA lebendiger Pathogene. „RNA selbst wäre für diesen Zweck möglicherweise zu instabil. Wir suchen deshalb nach kleinen Molekülen, die ähnlich aussehen wie Nukleinsäure-Bausteine.“ Aussichtsreiche Kandidaten gibt es bereits.

Nach der Entschlüsselung des Wirkprinzips stellt sich vor dem Hintergrund steigender Antibiotikaresistenzen auch die Frage, ob sich der Aktivierungslevel des menschlichen Immunsystems nicht generell hochfahren ließe. Etwa vor dem Winter, um gleich gegen eine ganze Reihe schädlicher Erreger gewappnet zu sein.

Als Pneumologe hat Leif Erik Sander hier vor allem bakterielle Infektionen im Auge: „Patienten mit Lungenerkrankungen wie Asthma oder Mukoviszidose leiden immer wieder an Infektionen.“ Auch in der Veterinärmedizin wäre ein solcher Immunpower-Kick wünschenswert. Er könnte den Antibiotikaverbrauch in der Tierzucht und damit auch beim Menschen drastisch verringern.

Ein weiteres Thema, mit dem sich Sander beschäftigt, sind adjuvante Immuntherapien. „Wir fragen uns: Gibt es Immunstimulantien, die wir Patientinnen und Patienten verabreichen können, um ihr Immunsystem bei Infektionen zusätzlich hochzufahren? Auch prophylaktisch?“ Erste Tests, bei denen Kranken nach schweren Operationen Immunstimulanzien über die Atemwege verabreicht werden, um so eine Lungenentzündung zu verhindern, gibt es bereits.

Das Wissen darüber, wie die effektivsten Impfstoffe funktionieren, werde in vielen Bereichen ganz neue Türen öffnen, davon ist Leif Erik Sander überzeugt. „Lebendimpfstoffe sind zwar beispielsweise bei Epidemien wie Ebola nach wie vor der am besten geeignete Weg, schnell einen effektiven Impfstoff zu entwickeln, aber langfristig wollen wir von ihnen wegkommen.“ Gemeinsam mit dem Robert-Koch-Institut und weiteren Partnern arbeiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Charité deshalb auch daran, den gängigen Masernimpfstoff besser zu verstehen.

In Zukunft stehen so hoffentlich noch effektivere und sichere Impfstoffe zur Verfügung. Bleibt nur zu hoffen, dass Impfskeptiker ihre Haltung dann noch einmal überdenken.

Catharina Pietschmann

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