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Gemeinsam erinnern: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der französische Präsident Emmanuel Macron eröffnen am 10. November 2017 auf dem Hartmannsweilerkopf die erste deutsch-französische Museums- und Gedenkstätte zum Ersten Weltkrieg.

© picture alliance / Bernd von Jut

100 Jahre Erster Weltkrieg: Für den Frieden lernen

100 Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs widmet sich eine internationale Konferenz den bis heute spürbaren Folgen.

Er gilt als „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts. Und als erster globaler Konflikt: Rund 60 Millionen Soldaten aus fast allen Kontinenten haben zwischen 1914 und 1918 in Europa, in Teilen Asiens und Afrikas gekämpft; mindestens neun Millionen Soldaten und fast sechs Millionen Zivilisten haben mit ihrem Leben bezahlt. Als erster industrialisierter Krieg hatte der Erste Weltkrieg nicht nur Auswirkungen auf alle folgenden bewaffneten Konflikte. Er prägt auch das politische Denken und Handeln bis in die Gegenwart.

Dem „langen Schatten“ des Krieges widmet sich am 11. und 12. Oktober die internationale, von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Freien Universität organisierte Konferenz „Frieden gewinnen – Das Ende des Ersten Weltkriegs zwischen Geschichte, Erinnerung und gegenwärtigen Herausforderungen“. Sie findet in Kooperation mit dem Auswärtigen Amt im dortigen Weltsaal statt. Die Organisatoren wollen anlässlich des 100. Jahrestags des Kriegsendes eine Brücke in die Gegenwart schlagen und formulieren ganz explizit die Hoffnung, dass es möglich sei, aus der Geschichte zu lernen.

Eingeladen sind Expertinnen und Experten aus den Geschichts- und Politikwissenschaften, der Diplomatie, der Politik und den Medien zahlreicher Staaten und Regionen, die vor 100 Jahren im Krieg miteinander standen. Sie wollen einen kritischen Blick auf die Konflikte des 20. und 21. Jahrhunderts werfen, aber auch auf die Versuche, Frieden zu stiften. Welche Strategien waren erfolgreich, welche Fehler wurden begangen? Welche Lehren lassen sich aus der Geschichte ziehen, um Konflikte zu lösen oder sie gar vermeiden zu können? Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden ihre zum Teil sehr aktuellen und praktischen Erfahrungen einbringen, etwa aus den Friedensverhandlungen in der Ukraine. Oliver Janz, Professor für Neuere Geschichte am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität, organisiert die Tagung gemeinsam mit der promovierten Historikerin Margit Wunsch Gaarmann. Er sagt: „Die Konferenz wird ein Gespräch zwischen den Epochen und zwischen Wissenschaft und Praxis.“

„Die Kultur des Krieges wirkte fort“

Der 11. November 1918 gilt offiziell als Kriegsende. Doch in vielen Regionen der Welt brach auch nach diesem Datum immer wieder Gewalt aus. „Zwischen Krieg und Frieden gab es keine klare Zäsur“, erläutert Oliver Janz. Die offiziellen Heere seien zwar demobilisiert worden, dafür seien kleinere, regionale Konflikte geringerer Intensität entstanden, beispielsweise durch deutsche Freikorps in Schlesien und im Baltikum, durch italienische Faschisten gegen linke Gegner oder durch britische Paramilitärs gegen irische Aufständische. „Die Kultur des Krieges wirkte fort“, sagt Janz. „Gewalt herrschte sowohl in Gewinnergesellschaften wie in Verlierernationen.“

Mit der Friedensordnung von 1919 sei versucht worden, die Gewalt langfristig einzudämmen. Vor allem US-Präsident Woodrow Wilson habe mit seinem „14-Punkte-Programm“ Ideale für die Friedensstiftung formuliert. Ideale, die bis heute nachwirkten: „Die Idee, dass man Frieden durch Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, nationale Selbstbestimmung und Freihandel gewinnen kann, ist bis heute aktuell“, sagt Oliver Janz. „Aber daneben setzte sich damals auch der französische Ministerpräsident Clemenceau durch mit seiner Überzeugung einer traditionellen Friedenssicherung durch militärische Macht und Abschreckung. Auch solche Methoden sind nach wie vor zu diskutieren.“

Auf dem Weg an die Front: deutsche Soldaten während des Ersten Weltkriegs.
Auf dem Weg an die Front: deutsche Soldaten während des Ersten Weltkriegs.

© picture-alliance / Mary Evans/Ro

Die Wurzeln vieler gegenwärtiger Konflikte reichen Janz zufolge bis in die Zeit des Ersten Weltkriegs zurück, als das österreichisch-ungarische, das russische und das osmanische Vielvölkerreich zusammenbrachen. Der Krieg in Syrien oder in der Ukraine sind nur zwei Beispiele, die Margit Wunsch Gaarmann nennt: „Bei der Tagung werden Expertinnen und Experten, die zu diesen Regionen arbeiten, darüber diskutieren, wie grundlegende Friedenskonzepte entwickelt werden können.“

In der gegenwärtigen politischen Weltlage sieht Oliver Janz zahlreiche Analogien zur Zwischenkriegszeit: zum Beispiel die Störungen im amerikanisch-europäischen Verhältnis oder die Tendenzen zu Populismus und Demokratiefeindschaft in großen Teilen der Welt. „Die Frage, wie sich verhindern lässt, dass die Entwicklung heute einen ähnlichen Gang nimmt wie nach dem Ersten Weltkrieg, soll auf der Konferenz behandelt werden“, sagt der Historiker. „Schließlich wollen wir nicht erneut bei 1933 oder 1939 landen.“

Wie sich Nationen erinnern, sagt viel über ihr Selbstverständnis aus

Auch unterschiedliche Erinnerungskulturen sind Thema der Konferenz: So sei die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 und der deutsche Angriffskrieg auf die europäischen Nachbarn von 1939 an vor allem im kollektiven Gedächtnis der Deutschen eng mit den Folgen des Ersten Weltkriegs verknüpft. Andere Nationen erinnerten sich mitunter völlig anders, sagt Oliver Janz. In Großbritannien etwa werde der Erste Weltkrieg von vielen, wenn auch nicht von allen, als gerechter Krieg für die Freiheit betrachtet.

Auch für Länder wie Polen oder Tschechien, die nach 1918 ihre staatliche Unabhängigkeit erlangt haben, sei das Kriegsende ein Anlass zu positiver Erinnerung, durch die die nationale Einheit gestärkt werden solle. Und für Australien sei ausgerechnet die verlustreiche Landung auf der türkischen Halbinsel Gallipoli am 25. April 1915 zu einem nationalen Gründungsmythos geworden: Es war die erste Militärkampagne, an der das Land nicht mehr als Kolonie, sondern als weitgehend selbstständiger Staat teilgenommen hat. So habe Australien in die Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag im Verhältnis zu seiner Einwohnerzahl finanziell rund 92 Mal mehr investiert als zum Beispiel Deutschland.

In Deutschland sei die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg schon lange keine nationale Angelegenheit mehr, sagt Oliver Janz. Die Gedenkveranstaltungen rund um die Hundertjahrfeier – etwa im vergangenen November die Eröffnung des Erinnerungszentrums auf dem Hartmannsweilerkopf in den Vogesen – hätten besonders eindrücklich gezeigt, wie eng die deutsche Erinnerungskultur mittlerweile mit dem Gedenken der französischen Nachbarn verbunden sei. Es sei deshalb nur folgerichtig, so der Historiker, dass die Initiative zur Konferenz „Frieden gewinnen“ auf den deutsch-französischen Ministerrat zurückgehe, dass die Veranstaltung in Kooperation mit Institutionen in Deutschland und Frankreich organisiert werde und unter der Schirmherrschaft der Außenministerien beider Länder stehe.

Im Internet: win-peace-conference.berlin

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