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Auf diesem Fischerboot starben 2015 Hunderte von Flüchtlingen. Christoph Büchel hat im Arsenale ein Mahnmal daraus gemacht.

© Tiziana Fabi/AFP

Biennale in Venedig: Ein Mahnmal stiehlt die Schau

In Venedig gibt sich der deutsche Pavillon ernst, der französische poetisch. Doch der größte Hingucker ist ein gesunkenes Flüchtlingsboot.

Die Sonne scheint, ein paar Wolken ziehen vorüber, als Natascha Süder Happelmann, die Künstlerin des Deutschen Pavillons auf der Biennale di Venezia, durch eine Sprecherin ihre Ausstellung für eröffnet erklären lässt. Erst am Abend wird es Sturzbäche regnen, wie es in Venedig immer mal passieren kann. Wasser von oben und unten.

Das erwartungsvolle Publikum, das sich an diesem schönen Morgen vor den Stufen des protzigen, einst von den Nationalsozialisten umgebauten Musentempels versammelt hat, wundert sich schon nicht mehr darüber, dass die Künstlerin einen aus Pappmaché geformten Stein über ihrem Kopf trägt, einer Schauspielerin das Reden überlässt und in Wirklichkeit Natascha Sadr Haghighian heißt.

Dem Kunstbetrieb mit seinen Eitelkeiten, der nach neuen Künstlermarken giert, hat Süder Happelmann so schon im Voraus eine Abfuhr erteilt. Journalistenfragen beantwortete sie mit abstrakten Zeichnungen. Ihre Herkunft gab die Künstlerin, die an der Kunsthochschule Bremen lehrt, mit wechselnden Geburtsorten und -jahren an. Nicht auf die Botin, auf die Botschaft kommt es, gab sie zu verstehen. Diese Botschaft wird zur Pavilloneröffnung durch ihre Sprecherin verlesen: ein längeres Zitat von Rosa Luxemburg und das Manifest einer Geflüchteten-Initiative aus Osnabrück. Das ist so ernst, so politisch korrekt, wie man es im lichten, luftigen Venedig nur beim deutschen Pavillon erwarten kann.

Wer die künstlerischen Strategien Natascha Süder Happelmanns bisher humorig fand, wird nun eines Besseren belehrt. In einem Video tappte die Künstlerin mit ihrem Steinkopf auf einer Straße in Italien entlang, wo Migranten, die bei der Tomatenernte für einen Hungerlohn arbeiten, in einem Lastwagen tragisch ums Leben kamen. Auf der Ladefläche sollten sie zur nächsten Plantage gefahren werden. Komisch war das ohnehin nicht.

Die künstliche Staudamm-Mauer, die bis unter der Decke quer im Pavillon eingebaut wurde, macht dem Besucher noch deutlicher, wie ernst die Lage ist: Die Ressourcen werden knapp – für alle Menschen. Ein melodramatisches Szenario. Erstaunlich, wie sich diese monumentale Architektur immer wieder neu bespielen lässt. Hinter einer hohen Wand sind am Stützgestänge Lautsprecher angebracht, aus denen mitreißende, rhythmische Musik erklingt. Es sind Kompositionen für Trillerpfeife, mit denen sich Geflüchtete verständigen und vor polizeilichen Übergriffen warnen.

Die von Franciska Zólyom, der Kommissarin des Deutschen Pavillons, ansonsten Direktorin der Leipziger Galerie für zeitgenössische Kunst, ausgewählte Position ist stark. Mit ihrem Statement zum Schicksal der Geflüchteten macht sie einen wichtigen Punkt in der Welt der Happy Few, die hier an der Lagune zur Kunst flanieren. Aber ist es gute Kunst, sich einen Stein über den Kopf zu ziehen und einen Pseudo-Staudamm zu bauen, aus dem nur noch ein Rinnsal dringt?

Da liegt das Problem des deutschen Biennale-Beitrags: Denn es zählt eben nicht nur die Botschaft, sondern auch die Botin, die Kunst selbst. Dass die auf eine Website gestellten Videos, die zu den authentischen Orten führen, elementar zum Kunstwerk gehören, macht die Sache nur noch komplizierter und wirft die Frage auf, wer hier eigentlich erreicht werden soll.

Die Schau bei diesem Thema stiehlt Süder Happelmann ohnehin der Schweizer Christoph Büchel, der auf dem Gelände des Arsenales jenes Boot aufstellen ließ, das im April 2015 mit Hunderten Geflüchteten im Mittelmeer versank. „Barca Nostra“ nennt er sein Mahnmal. Der Titel nimmt Bezug auf die EU-Rettungsmaßnahme „Mare Nostrum“, die damals zeitgleich endete. Bis dahin eilten die offiziellen Helfer noch außerhalb der 30-Meilen-Zone zum Einsatz. Jetzt bleiben die Geflüchteten in Not ihrem Schicksal überlassen: euer Meer, euer Seegrab.

Während der Deutsche Pavillon im Vergleich zu Anne Imhofs furiosem Auftritt vor zwei Jahren eher enttäuscht, befindet sich eine Favoritin für den Goldenen Löwen gleich gegenüber, bei den Franzosen. Dort dampft feuchter Nebel vom Dach, der Pavillon diffundiert. Der Weg hinein führt nicht durch den Haupteingang, sondern seitlich durchs Gebüsch. Aus dem Dunkel steigt der Besucher auf in Laure Prouvosts Wunderwelt, bei der man nie genau weiß, ob man sich gerade oben, unten, zu Lande oder Wasser befindet.

Die Französin hat im blau bemalten, mit Gussharz versiegelten Boden allerlei Objekte versenkt: Handys, Perlen, gläserne Tintenfische, Salatköpfe. Darauf liegen Eierschalen, Algen und Brüste aus Murano-Glas. Dazwischen hüpft eine weiße Taube, die auch im gezeigten Film eine Rolle spielt. Auch die Protagonisten in Prouvosts Roadmovie, der von Paris nach Venedig führt, können fliegen.

Zumindest scheint es so, wenn sie sich vom Dach des Pavillons fallen lassen. In diesem Traum tirilieren sie außerdem wie Opernsänger, sobald sie im gleißenden Licht durch die Pavillontüren treten. Prouvosts poetische Fluchtfantasien bilden den wohl größten Gegensatz zu Süder Happelmanns steinharter Lektion in Sachen Flüchtlingspolitik.

Die Schweizer zeigen queere Tänzer auf dem Dancefloor

Auf diesem Fischerboot starben 2015 Hunderte von Flüchtlingen. Christoph Büchel hat im Arsenale ein Mahnmal daraus gemacht.
Auf diesem Fischerboot starben 2015 Hunderte von Flüchtlingen. Christoph Büchel hat im Arsenale ein Mahnmal daraus gemacht.

© Tiziana Fabi/AFP

Einen gemeinsamen Nenner gibt es ohnehin nicht auf dieser Biennale, aber das gab es hier eigentlich noch nie, auch wenn das vom Kurator der Hauptausstellung gestellte Thema eine Orientierung bieten soll. Nur hat Ralph Rugoff mit seinem vagen Titel „May You Live In Interesting Times“ sowieso allen freie Hand gegeben, vor allem sich selbst mit seiner Schau im zentralen Pavillon der Giardini und dem Arsenale. Wer dieses Jahr in Venedig nach einer durchgehenden Linie sucht, wird immerhin feststellen, dass besonders viele Frauen ihre Nationen repräsentieren.

Cathy Wilkes hat im britischen Pavillon ein wunderbar melancholisches Environment geschaffen aus alten Möbeln, Porzellantellern, geisterhaften Puppen, die sie mit ihren hauchzarten Gemälden da und dort in den Räumen verteilt.

Bei den Schweizern laden Pauline Boudry und Renate Lorenz in einen Nachtclub ein. Das Duo filmte drei queere Tänzer auf dem zum Dancefloor gewandelten Ausstellungshaus, ein silbriger Vorhang taktet ihre Auftritte. Architektur wie Geschlecht sind eine Frage der Definition, das nimmt der Besucher aus diesem Pavillon als Botschaft mit. „Moving backwards“ nennen Boudry und Lorenz ihren Beitrag, der doch eigentlich nach vorne führt.

Ihr Titel passt sehr viel besser auf den österreichischen Pavillon, der Renate Bertlmann gewidmet ist, einer Pionierin feministischer Kunst. Wie kühn und frech sie ihr Werk in den sechziger Jahren begann, zeigen reproduzierte Zeichnungen und Fotografien an der Wand, auf denen sie sich über Finger und Kopf Kondome stülpt. Dagegen wirkt ihr einziges aktuelles Werk, ein Feld von über 300 Rosenköpfen aus rotem Murano-Glas, aus deren Blütenkelchen eiserne Spitzen staken, formalistisch erstarrt.

Es plätschert aus überdimensionalen Vulven

Die gleiche Uniformität des Materials findet sich bei der der Isländerin Hrafnhildur Arnardóttir. Sie nennt sich Shoplifter, weil in New York, wo sie lebt, ohnehin niemand ihren Namen richtig aussprechen kann. Auf der Giudecca hat sie eine Bootswerkstadt mit ihrem Lieblingsmaterial, farbiges Kunsthaar aus China, ausgefüllt. Das Ergebnis ist eine bunte und flusige Höhle, eine krude Mischung aus haarigem Bällebad und psychedelischer Wohnlandschaft der siebziger Jahre, die eher albern wirkt. Auf der wilden Eröffnungsparty der Isländer belebte sich dann aber die Szenerie.

Nur wenige Meter Luftlinie entfernt frönt die Estin Kris Lemsalu ihrer bizarren Leidenschaft für Porzellan. Rund um einen zentralen Stützpfeiler hat sie einen Brunnen mit vier Becken arrangiert, der die Weiblichkeit, das Leben feiert. Es plätschert aus überdimensionalen Vulven, die merkwürdige Figuren bilden. In ihren Händen balancieren sie Basketbälle, Weinflaschen, Trauben. Gäbe es in Venedig einen Löwen für Lustbarkeit, Kris Lemsalu würde ihn gewinnen.

Gäbe es die Trophäe außerdem für bitterbösen Humor, ginge sie an die Belgier. Jos de Gruyter und Harald Thys schufen ein „Mondo Cane“ genanntes Figurenkabinett mit Bäcker, Künstler, Schleifer, Töpferin, die sich alle 15 Minuten ruckelnd bewegen. Darunter befindet sich auch ein Stasi-Mann, der an Bushaltestellen und Bahnhöfen der DDR Passanten belauschend seiner Profession nachging. Was auf den ersten Blick belustigt, ist auch Kommentar aktueller Politik – wider die Reduzierung der Kultur auf traditionelle Gewerke, wie sie in nationalistisch abdriftenden Ländern zu beobachten ist.

Leicht hat es die Jury nicht unter dem Vorsitz von Stefanie Rosenthal, der Direktorin des Berliner Gropius Baus, zuvor Chefkuratorin bei Ralph Rugoff in der Londoner Hayward Gallery. Die Löwen-Preise der Biennale werden am Samstag vergeben. Eine lobende Erwähnung sollte dabei sicher sein – für Ghana, das erstmals auf der Biennale vertreten ist. Die eindrucksvolle Präsentation mit Werken von Felicia Abban, El Anatsui, Ibrahim Mahama, Lynette Yiadom-Boakye, John Akomfrah – längst große Namen im internationalen Ausstellungsbetrieb – ist zugleich das Vermächtnis von Okwui Enwezor, des früheren Direktors des Hauses der Kunst in Mänchen, der vor wenigen Wochen verstarb. Er traf noch die Auswahl. Es bleibt die Kunst.
Biennale di Venezia, 11. Mai bis 24. November; www.labiennale.org

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