zum Hauptinhalt
In den Schlecker-Filialen, die geschlossen werden, gibt es ab sofort 30 Prozent Rabatt auf alle Produkte.

© dpa

Insolvenz: Ausverkauf bei Schlecker

Die Drogeriekette benennt die mehr als 2000 Märkte, die schließen. In Berlin sind 77 von 195 Filialen betroffen. Die Gewerkschaft Verdi verhandelt weiter um Sozialplan.

Am Fenster der Schlecker-Filiale in der Ritterstraße in Berlin-Kreuzberg kleben schon die roten Rabatt-Schilder, die „30 % auf alles“ versprechen. Der Markt ist einer von 77 in der Stadt, der bald schließen muss. Die Schnäppchen haben etliche Kunden in die Filiale gelockt, die direkt neben einem Supermarkt liegt. „Ich komme nur wegen der Angebote her“, sagt eine Kundin. „Schlecker ist mir eigentlich zu teuer.“ Eine junge Mutter stimmt zu. „Normalerweise gehe ich zu dm, da ist es günstiger.“ Brigitte Zander aber kommt häufig in die Schlecker-Filiale. „Eine andere Drogerie ist nicht in der Nähe, der Laden wird mir schon fehlen“, sagt die 79-Jährige. Wohin sie künftig gehen wird? „Nebenan ist ja Kaiser’s, dann geht das schon“, sagt sie. Die beiden Mitarbeiterinnen im Laden wollen lieber nichts sagen, sie haben die Anweisung, keine Auskunft zu geben. Wie es für sie weitergeht, ist noch offen. Denn die Schließung der Märkte bedeutet nicht gleichzeitig die Kündigung der dort beschäftigten Mitarbeiter.

Der Laden in der Ritterstraße ist einer von 2010 Schlecker-Märkten, die bis zum 24. März geschlossen werden sollen. Am gestrigen Mittwoch veröffentlichte die Drogeriemarktkette die vorläufige Schließliste. Betroffen sind neben zahlreichen Märkten auf dem Land vor allem Läden in den Ballungsräumen Berlin, Hamburg, Köln, München und Stuttgart sowie im Ruhrgebiet. Für die Schließlisten hatte die Unternehmensberatung McKinsey das gesamte Filialnetz durchleuchtet und Umsätze sowie Deckungsbeträge der Märkte in den vergangenen fünf Jahren angeschaut. Auch die Lage sowie die Konkurrenz am Standort seien berücksichtigt worden.

Ursprünglich wollte Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz 2400 Märkte schließen. Die Gewerkschaft Verdi konnte in den Verhandlungen um die restlichen rund 400 Märkte aber einen Erfolg erzielen. „3120 Filialen bleiben erhalten“, sagte Geiwitz am Rande der Gespräche im thüringischen Oberhof am Mittwoch. Bei weiteren 282 Verkaufsstellen würde noch einmal überprüft, ob sie geschlossen werden oder erhalten bleiben.

In Berlin stehen mehr als ein Drittel der 195 Märkte auf der Schließliste, darunter auch der am Kottbusser Damm 93. Er liegt nur ein paar hundert Meter von einer anderen Schlecker-Filiale entfernt, die bleiben soll. „Ich dachte, dass ich bis zur Rente hier bleiben kann“, sagt ein 52-Jähriger Mitarbeiter. Am Dienstag wurde er telefonisch und per Fax über die Schließung informiert. Einen neuen Job hat er noch nicht in Aussicht. „Herr Roßmann hat doch Stellen für uns, Leiharbeit oder 400-Euro-Jobs“, sagt er sarkastisch. Auch am Kottbusser Damm hängen schon die Rabattschilder für den Räumungsverkauf vor der Tür.

Wie geht es für die Mitarbeiter weiter?

Die 25 000 Mitarbeiter der Kette müssen nun weiter bangen. Denn die Verhandlungen zwischen den Betriebsräten, Verdi und Insolvenzverwalter Geiwitz um einen Sozialplan und eine Transfergesellschaft dauern noch an. Am Mittwoch wurden den Betriebsräten erste Listen mit tausenden von Namen übergeben, frühestens Ende der Woche soll Klarheit herrschen. Die Liste werde nun von den Betriebsräten daraufhin überprüft, ob sie entsprechend der geltenden Sozialkriterien zustande gekommen sei, teilte Verdi mit. Dazu gehören etwa die Betriebszugehörigkeit, das Alter und der Familienstand. Sowohl Geiwitz als auch der Verdi-Verhandlungsführer Bernhard Franke bezeichneten die Gespräche als schwierig, aber konstruktiv. „Wir sind auf einem gutem Weg“, sagte Geiwitz. Der Insolvenzverwalter will 11 750 Mitarbeiter entlassen, um das Unternehmen ab dem 1. April mit schwarzen Zahlen weiterzuführen. Verdi-Sprecher Andreas Splanemann sagte dem RBB, dass in Berlin und Brandenburg bis zu 600 Beschäftigte ihren Job verlieren könnten.

Die Verhandlungen in Oberhof werden auch dadurch erschwert, dass noch immer keine Finanzierung für eine Transfergesellschaft steht. Sie soll entlassenen Mitarbeitern bei der Jobsuche helfen, zudem bekämen sie ein Jahr lang Kurzarbeitergeld. Weil Schlecker die dafür nötigen rund 70 Millionen Euro selbst nicht aufbringen kann, brachten die baden-württembergische Landesregierung und Insolvenzverwalter Geiwitz einen außerordentlichen Überbrückungskredit der staatlichen Förderbank KfW ins Spiel, wie er etwa im Fall Opel gezahlt wurde. Doch das Bundeswirtschaftsministerium erteilte dem am Mittwoch erneut eine Absage. Stuttgart, das seither mit dem Bund hitzig um Formalitäten und Zuständigkeiten streitet, reagierte empört: „Die Bundesregierung hat die Möglichkeit, schnell Abhilfe zu schaffen. Aber sie lässt die Frauen einfach im Regen stehen“, sagte Baden-Württembergs Wirtschafts- und Finanzminister Nils Schmid (SPD).

Die Transfergesellschaft ist auch für die Zukunft des Unternehmens wichtig. Denn Schlecker wäre für Investoren weniger interessant, sollten entlassene Mitarbeiter gegen die Kündigung klagen. Geiwitz zufolge gibt es bereits eine zweistellige Zahl von Interessenten für die Kette.

In der Filiale am Kottbusser Damm 75 in Berlin soll es zunächst weitergehen. Doch die Ungewissheit für die Kollegen bleibt. „Das geht uns ganz schön an die Nieren“, sagt eine Mitarbeiterin. „Es geht uns beschissen.“ (mit dapd)

Zur Startseite