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Schön war's. Im Juli ist Schluss für den Edeka an der Winsstraße in Prenzlauer Berg.

© Thilo Rückeis

Berliner Stadtgeschichte: Die letzten DDR-Kaufhallen werden abgerissen

Werbefreie Zone mit stabilen Preisen, solange es was zu kaufen gab – und nach der Wende Westware. Ein persönlicher Abgesang auf ein besonderes Einkaufserlebnis.

Die ältere Dame mit ihrem roten Wuschelkopf und den lustig blinkernden Augen schiebt ihren Einkaufswagen an die Edeka-Supermarkt-Kasse. „Hallo!“, sagt die Kassiererin. „Hallöchen!“, ruft die Kundin, „heute is’ mal wieder Hitze anjesaacht.“ „Wie immer“, pflichtet ihr die Kassiererin bei und scannt dabei flink eine Tüte Milch, Käse, Brot und ein kleines Fläschchen Rotkäppchen-Sekt in ihr Gerät. Die Frau schiebt den Warenkorb aus dem Stau an der Kasse. „Nicht mehr lange“, sagt sie. „Ende Juli machen die diese Kaufhalle für immer dicht.“ „Stimmt das?“ „Ja, hier werden 300 Eigentumswohnungen gebaut“, kommentiert eine andere Kassiererin das Ende ihres Berufslebens in dieser Edeka-Kaufhalle in der Winsstraße, „aber wir werden auf andere Filialen verteilt, keiner wird entlassen.“ „Na, det is’ jut!“, sagt die Kundin. „Mir wird wat fehlen. Solange ick denken kann, geh’ ich hierher, treffe alte Nachbarn und neue Bekannte, kleener Plausch zwischen den Regalen, det is denn vorbei.“ Die Alten, Bekannten werden immer rarer – „dit is nicht mehr mein Prenzlauer Berg. Den hat jetzt die Jugend fest in der Hand. Lauter unbekannte Jesichter.“

Es ist Zeit für einen Abgesang auf die guten alten DDR-Kaufhallen, die peu à peu vom Einkaufsnetz gehen und zumeist Neubauten weichen – so am Teutoburger Platz, in der Pasteurstraße und anderswo. In Berlin-Ost gab es die praktischen Einkaufsstätten vor allem in den großen Neubaugebieten am Rande der Stadt, aber auch inmitten der Altbauten von Prenzlauer Berg und Friedrichshain, in Pankow oder Johannisthal.

Man bebaute freie Lücken, die durch den Bombenhagel im letzten Weltkrieg entstanden waren. Mitte der achtziger Jahre gab es in der DDR über tausend genormte Kaufhallen, diese Zweckbauten standen plötzlich wie Kartons in der Landschaft. Coole Moderne. „Die Kaufhalle entsprach im Wesentlichen dem westlichen Supermarkt. Allerdings war dieser Begriff verpönt, die Bezeichnung Kaufhalle trug in ihrer betonten Sachlichkeit mehr dem Wesen der DDR Rechnung“, steht im Lexikon des DDR-Alltags.

Die Kunst der Kaufhalle. Der kanadische Künstler David Antonides hat den Supermarkt an der Schwedter Straße Ecke Fürstenberger Straße gemalt.
Die Kunst der Kaufhalle. Der kanadische Künstler David Antonides hat den Supermarkt an der Schwedter Straße Ecke Fürstenberger Straße gemalt.

© Illustration: Antonides

Quadratisch, praktisch, gut

Quadratisch, praktisch, gut. Es war eine werbefreie Zone mit stabilen Preisen. Ohne Musikbeschallung, ohne Sonderangebote, Tiefstpreise und Super-Knüller. In den Regalen standen WTB („Waren des täglichen Bedarfs“), hin und wieder hatte sich eine Dose Ananas zwischen Bautzener Senf und Spreewälder Gurken, Hallorenkugeln und Rotstern-Schokolade verirrt. Das Angebot war ziemlich überschaubar und übersichtlich, und die Schrippe kostete einen Sechser.

Mitte der achtziger Jahre gab es in der DDR-Hauptstadt 150 Kaufhallen. Beim Einkauf kam einem die Assoziation zu Udo Jürgens’ Tante-Emma-Lied von 1976 in den Sinn: „Im endlos großen Supermarkt, da droht mir gleich der Herzinfarkt. Da liegen die Regale voll, ich weiß nicht, was ich nehmen soll. Da wird das Kaufen zur Tortur, ich geh zu Tante Emma nur.“

Abriss. Reste einer ehemaligen Kaufhalle in Prenzlauer Berg 2014.
Abriss. Reste einer ehemaligen Kaufhalle in Prenzlauer Berg 2014.

© imago/Rolf Zöllner

Mittlerweile wurden die Tante-Emma-Läden auch hierzulande rar und die übervollen Kaufhallensupermärkte sind seit der Wende eine gesamtdeutsche Erscheinung. Vielleicht kommt Tante Emma sogar wieder, je mehr Ex-Kaufhallen unter dem Abrissbagger verschwinden? Oder der bewusste Kunde fragt sich beim Discounter: Wozu 80 Sorten Käse oder 50 Sorten Bier? Was wird am Abend, wenn die Halle schließt, aus all dem Brot? Geht’s nicht auch mal wieder eine Nummer kleiner?

Und wenn es die gute alte Kaufhalle – einst Konsum und HO, dann Kaiser’s, Tengelmann und Reichelt, schließlich Edeka und Rewe – gar nicht mehr geben sollte: Im Internet lebt sie weiter. „Die Kaufhalle des Ostens führt über 3500 Ostprodukte“, verrät der Computer, „vom Wurzener Waffelblättchen über Carnito Hackfleisch bis zu Zetti-Bambina, Vollmilchbutter mit Karamel, 100 Gramm zu 1,20 Euro.“ Jens H. aus Grönland hat ein DDR-Nostalgie-Paket bestellt und ist sehr zufrieden. „Lieferzeit eine Woche. Verpackung: unschlagbar. Da hätt’ ich glattweg rohe Eier bestellen können“, schreibt er im Internet.

Möglich ist heutzutage alles. Halberstädter Würstchen fliegen durch die Luft nach Amerika. Und: Den Kapitalismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf.

Neuer Anstrich. Manche Kaufhalle überstand sogar die Kaiser’s-Pleite.
Neuer Anstrich. Manche Kaufhalle überstand sogar die Kaiser’s-Pleite.

© Imago

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