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Charlotte von Mahlsdorf im Gründerzeitmuseum.

© Hubert Link/dpa

Zum 90. Geburtstag: Mit Charlotte von Mahlsdorf durch Berlins alte Mitte

Ein Zufallsfund im Antiquariat: Berlins bekannteste Transperson erkundet in den 90er Jahren die Stadt. Am Sonntag hätte Charlotte von Mahlsdorf einen runden Geburtstag gefeiert.

Wer sich die ständigen Häutungen vor Augen führen will, denen Berlin unterworfen ist, muss nur die Mulackstraße 15 besuchen. Dort, auf der Ecke zur Gormannstraße, macht sich über zwei Parzellen ein typisches Mitte-Nachwendehaus breit, strahlend weiß und eingekleidet von grauem Metall. Im Erdgeschoss verkauft ein Einrichtungsgeschäft Handwerkskunst aus Afrika, ein Lunchladen serviert pochierte Eier in Joghurt und Paprikabutter.

Keine hundert Jahre ist es her, dass an dieser Stelle die Unterwelt genauso verkehrte wie Gründgens und die Dietrich. Das Scheunenviertel war ein Kiez der einfachen Leute, eine „Stiefelhure“ patrouillierte auf und ab, doch es zog auch Künstler an. Aus dem Haus Nr. 15 drangen Nikotinschwaden und der Klang des Grammophons, zu dem die Leute tanzten. Hier stand die Mulackritze, eine legendäre Milljöh-Kneipe.

Ein Zufallsfund im Antiquariat erinnert an diese Zeit. „Ab durch die Mitte“, ein Spaziergang durch Berlin nach dem Mauerfall mit Charlotte von Mahlsdorf, von der Autorin handsigniert, in Omaschrift. Charlotte, 1928 als Lothar Berfelde geboren, war damals die vielleicht bekannteste Transperson der Republik. Sie rettete einst unzählige Wohnungseinrichtungen vor der Müllhalde und das Gutshaus Mahlsdorf vor dem Abriss, baute dort ab 1960 das Gründerzeitmuseum auf. Rosa von Praunheim verfilmte ihr Leben, am Broadway in New York lief ab 2003 das vielfach ausgezeichnete Stück „I Am My Own Wife“ von Doug Wright. An diesem Sonntag, 18. März, wäre sie 90 Jahre alt geworden.

Ein Fest war dieses Leben nicht: eine bedrohte Kindheit, vom Nazi-Vater geschlagen, auch in der DDR nur eine randständige Existenz, erst im wiedervereinigten Deutschland eine späte Anerkennung, besonders durch das Bundesverdienstkreuz 1992, ohne jedoch wirklich sorgenfrei zu sein. Der Umzug nach Schweden 1997 war auch eine Flucht vor den Neonazis, die ihr die Tage schwer machten. Bei einem Besuch in der Heimat versagte 2002 das Herz, die letzte Ruhe fand sie auf dem Mahlsdorfer Waldfriedhof.

Die Heckmann-Höfe fand sie verfallen vor

Der schmale Band, 1994 in der Edition diá erschienen, die auch die Autobiografie „Ich bin meine eigene Frau“ verlegte, wirkt bisweilen wie eine Brücke zwischen dem alten und dem neuen Berlin. In der Neuen Schönhauser Straße 13 beschreibt Charlotte eine Armenküche aus der Kaiserzeit, heute ist dort ein Designerstore. Die Heckmann-Höfe fand sie verfallen vor, in vielen Straßenzügen bröckelten die Fassaden. Als herrschaftlichen Sitz einer Brauereifamilie kannte sie noch die Rosenthaler Straße 51, in der das Café Paz nun die Kultur gedeihen ließ. Doch auch das ist längst verschwunden: „Einstein Kaffee coming soon“. Viel hat sich geändert, manches ist inzwischen unauffindbar, aber einiges regt doch zu einer Entdeckungsreise zu vergessenen Orten an, die ein herkömmlicher Stadtführer kaum erwähnt.

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Eine Runde ums Märkische Museum, neben dem Bärenzwinger fällt der Blick auf einen Flachbau: In der Kaiserzeit beherbergte er ein Schwulen-Badehaus, heute: Bezirksamt Mitte. Manches Fries, manche Fassade erzählt, entschlüsselt durch kundige Beschreibung, die Geschichte alter Mauern. Wo die Häuschen auf der Fischerinsel durch sozialistische Betonklötze ersetzt wurden, „kein menschenfreundlicher Zug weit und breit, alles maßlos, grau, staubig, garstig“, kommentiert Charlotte bissig: „Ruinen schaffen ohne Waffen“. Und auch ein Bekenntnis fürs Stadtschloss legt sie ab: Wenn jeder eine Mark im Jahr gibt und das über zwanzig Jahre, dann sollte es doch möglich sein – mit Ballsälen, aber bitte für alle: „Das Schloß als Haus für die Allgemeinheit, das wär doch was!“

Die Mulackritze ist in Mahlsdorf wieder auferstanden

Fast wie Forrest Gump war Charlotte immer zur Stelle. In den 50er Jahren half sie einer Mahlsdorfer Glasmalerin, neue Bleiglasfenster fürs Rote Rathaus herzustellen. Anfang der 80er lieferte sie aus ihrer Sammlung eine Türklinke, um die alten Beschläge am Bahnhof Hackescher Markt zu rekonstruieren. Und wer heute die Apotheke an der Neuen Schönhauser Straße, Ecke Rosenthaler aufsucht, kann sich bei Charlotte für das Neorenaissance-Interieur bedanken. Sie verständigte den Denkmalpfleger, als es in den 60ern Einheitsmöbeln weichen sollte.

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In der Mulackstraße 15 stand Charlotte Mitte der 90er nur vor einer überwucherten Brache. Die alte Zille-Kneipe hatte sie da schon längst gerettet. Als das Haus 1963 vor dem Abriss stand, erwarb sie die gesamte Einrichtung und baute sie im Keller des Gutshauses Mahlsdorf wieder auf. Das hütet bis heute eine einzigartige Sammlung von Gründerzeitmöbeln, getragen von einem Förderverein und geleitet von Monika Schulz-Pusch, die 1997 die Schlüssel von Charlotte übernahm.

Seit dem Broadway-Erfolg kommen regelmäßig Busladungen von Touristen vorbei, während das Museum bei Berlinern kaum bekannt ist. Das kann sich an diesem Sonntag ändern: Zum 90. Geburtstag ist der Eintritt frei. Am Sonnabend um 14 Uhr benennt der Bezirk Marzahn-Hellersdorf bereits im Neubaugebiet gegenüber den Charlotte-von-Mahlsdorf-Ring nach der Museumsgründerin. Dann ist sie auch ihre eigene Straße.

Weitere Informationen gibt es auf der Website des Gründerzeitmuseums.

Ingo Salmen ist Autor des Bezirksnewsletters Tagesspiegel Leute Marzahn-Hellersdorf, den Sie hier kostenlos abonnieren können: https://leute.tagesspiegel.de

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