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Zum Abheben: Beim CSD 2019 waren wieder viele bunte Aufmachungen zu sehen, aber auch viele politische Botschaften.

© AFP

Update

Berliner CSD 2019: Bunte Party mit politischer Botschaft

Auch eine politische Botschaft kann man feiern: Hunderttausende Teilnehmer zeigten es bei der CSD-Demo – fröhlich und zärtlich.

Um halb zwölf wummern die Bässe bereits ungeduldig am Kurfürstendamm. Große Wagen stehen bunt geschmückt in Reihe vom Kranzlereck bis zum U-Bahnhof Uhlandstraße. Von überall her strahlen die Regenbogenfarben in der Sonne. Menschen in üppigen Kostümen oder knappen Kleidchen, flanieren erwartungsvoll über den gesperrten Ku’damm: Noch gut eine Stunde, dann startet die große Christopher-Street-Day-Parade.

Anselmo, 73, sitzt auf seinem Rollator, mitten auf dem gesperrten Boulevard, seinen Kopf ziert ein Sonnenhut mit Regenbogenschärpe. „Ich habe den ersten CSD in Berlin mitorganisiert“, erzählt er. „Wir wurden damals mit Steinen beworfen und als ,schwule Säue‘ beschimpft. Zum Glück ist das heute anders!“

Die Polizei schätzt die Teilnehmerzahl an dem Aufzug zur Spitzenzeit auf rund 250.000 Menschen. Genauere Angaben seien jedoch schwierig, teilt ein Sprecher auf Anfrage mit. Der Veranstalter spricht von rund einer Million Teilnehmern.

Nicht überall lebt es sich als Schwuler so gut wie inzwischen in Berlin: Ein junger Mann mit türkis gefärbtem Haar und einem stacheligen Lederband um den Hals ist mit seinem Freund extra aus Zwickau angereist: „Ich bin interessehalber hier, um zu sehen, wie die Leute hier ihre Kultur leben. Es ist schon schön, auch mal unter Gleichgesinnten zu sein!“

Motto in diesem Jahr ist „50 Jahre Stonewall – Jeder Aufstand beginnt mit deiner Stimme“. Zum fünfzigsten Mal jährt sich ein wichtiger Wendepunkt auf dem Weg zur Entkriminalisierung nicht-heterosexueller Lebensweisen: Am 28. Juni 1969 widersetzte eine Gruppe Schwuler sich ihrer Verhaftung im Stonewall Inn in der New Yorker Christopher Street. Sie löste damit einen mehrtägigen Aufstand Homo- und Transsexueller gegen die täglich erfahrene Repression aus.

Daran erinnern jedes Jahr die Christopher Street Days – dieses Jahr, zum Jubiläum, erst Recht. Mit dem CSD feiert die LSBTTIQ*-Community in Berlin in einer riesigen, bunten Party die Rechte und Freiheiten, die inzwischen erkämpft wurden. Es ist aber eben auch eine politische Demonstration: Volle Gleichberechtigung gibt es noch nicht. Und die jüngste gesellschaftliche Polarisierung begünstigt Parolen und Taten, die sich gegen Menschen richten, deren Geschlecht oder Sexualität nicht der heterosexuellen Norm entsprechen. „Ich bin hier, um mich zu zeigen – mit meiner Sexualität“, sagt Clara, 25, seit fünf Jahren sei sie jedes Jahr dabei. Diesmal ist die Berlinerin, klein, mit schwarzem T-Shirt und kurzem Haar, gemeinsam mit ihrer Freundin da.

Die Musik ist laut, die Stimmung gut, Glitzer fliegt durch die Luft und liegt auf viele Gesichter. In einer Ecke lassen sich nackte Männer mit Regenbogenstreifen bemalen. Eine Gruppe marschiert hinter einem Banner mit der Aufschrift: „Queersforfuture“ – Verstärkung für die Klimaschutz-Bewegung. Und natürlich gibt es viele Besucher mit Fotoapparaten, die nach den auffälligsten Motiven Ausschau halten.

„Ich bin hier, weil ich will, dass Berlin noch toleranter wird“, sagt Jenny, 32, die mit einer Gruppe von Freunden, fast alle hetero, jedes Jahr auf den CSD zum Tanzen kommt. „Noch nie war es so früh schon so voll hier!“ Ersten Schätzungen zufolge könnten es dieses Jahr tatsächlich bis zu einer Million Teilnehmende werden. Das wäre ein Rekord.

Holger, 55, trägt einen leuchtend gelben Sonnenhut und ein Sektfläschchen in der Hand. Nicht alles am CSD ist super, sagt er: „Es gibt hier so viele Wagen von großen Firmen, die mit Schwulen und Lesben gar nichts zu tun haben, die noch nicht mal gute Programme für ihre schwulen und lesbischen Mitarbeiter haben. Ich bin hier, weil ich denen nicht die Bühne überlassen will! Die Wagen sind inzwischen so teuer, dass die einfachen Selbsthilfegruppen die sich gar nicht mehr leisten können.“

Trotzdem: Bei wohl keiner anderen Demonstration sieht man so viele fröhliche Menschen, die so zart miteinander umgehen. Happy Pride! (mit mha)

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