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Herzdamen. Henriette Confurius (l.) und Hannah Herzsprung umklammern Florian Stetter in „Die geliebten Schwestern“.

© Senator/dpa

Florian Stetter in "Die geliebten Schwestern": Sturm und Stille

Es ist eine Dreiecksgeschichte der etwas anderen Art. Ein dreifaltiger Treueschwur, zwei Schwestern und ein Dichter. Als er das Drehbuch las, gab es für ihn nur eine Antwort: Ja! Florian Stetter wollte diesen Schiller spielen. Und dabei selbst verschwinden.

Schiller? „Mehrere waren Zeugen, dass er während eines einzigen Beyschlafs, wobey er brauste und stampfte, 25 Prisen Tabak schnupfte.“ Endlich der Militärakademie entkommen, soff er in Stuttgart mit seinen Kumpanen „kretzende Weine“ – Federweißer –, „fraß“ höchstens Knackwurst und „etwas Selbstgemachtes, das er für Kartoffelsalat hielt“. Und wie sah er aus?

„Schiller war von gerader, langer Statur, lang gespalten, langarmig; seine Brust war heraus und gewölbt, sein Hals sehr lang. Er hatte aber etwas Steifes und nicht die mindeste Eleganz in seinem Benehmen. Seine Stirn war breit, die Nase dünn, knorplig, weiß von Farbe, sehr gebogen auf Papageienart“, so ein Augenzeugenbericht mit dem Temperament eines Vivisektionsbeauftragten.

Und in den Träger all dieser Merkmale verlieben sich zwei junge adlige Schwestern?

Niemand muss Angst haben, diesem Schiller in Dominik Grafs neuem Film zu begegnen, der am Donnerstag ins Kino kommt. Und das liegt an Florian Stetter.

Wie wird man Schiller?

„Die geliebten Schwestern“ zu sehen heißt, zwei gegenläufigen Gemütsbewegungen ausgesetzt zu sein, die eine fragt: Das-soll-Schiller-sein? Die andere antwortet: Aber-das-ist-doch-Schiller!

An seiner Nase ist nichts Auffälliges, als Florian Stetter das Berliner Hotelzimmer betritt. Er hat schon den ganzen Tag lang Interviews gegeben, zeigt aber keine Anzeichen des Überdrusses, im Gegenteil. Doch etwas stimmt nicht mit seiner Stimme. „Die Sprache war affektvoll, wenn Schiller deklamierte; aber seine Stimme war kreischend und unangenehm.“ Doch die seines Alter Egos ist dunkel und weich, als könne man in ihr ausruhen.

Wie wird man Schiller?

Florian Stetter.
Florian Stetter.

© Reuters

„Dominik Graf gab mir das Drehbuch 2010, da war noch nichts geklärt, keine Finanzierung, nichts, am nächsten Tag rief ich ihn an und sagte: Ja!“ Dieses Ja! steht noch immer in seinem Gesicht.

Damals war er gerade aus der Kühlhalle eines Münchner Großschlachthofs gekommen, in dem lauter Plastikberge standen, ein ganzer Kunststoffhimalaja, drin waren minus 20 Grad, draußen waren plus 30 Grad, ein leichtsinniges Mai-Hoch. Natürlich hätte man die Tiefkühlhalle auch etwas wärmer machen können, aber dann wäre es dem Hauptdarsteller schwerer gefallen, sich vorzustellen, wo er sich befand: auf 7000 Meter Höhe, mindestens. Da fror ihm das Gesicht ein, und das sollte man sehen, auch konnte er nicht mehr richtig sprechen, man nennt das auch Realismus. Aber sein Hirn war wieder ganz klar, als er Dominik Graf anrief und Ja! sagte. Heute noch Reinhold Messner, Bezwinger des Nanga Parbat, morgen schon Schiller?

Vielleicht ist der Unterschied gar nicht so groß. „Tausende Meter senkrecht nach oben? Das machen wir!“ Messner und Schiller, zwei Alpinisten des Daseins. Zwei, die nicht auf halber Strecke wieder umkehren.

Charlotte und Caroline, Sturm und Stille

Aber egal wie, es sei ohnehin sinnlos, Graf zu widersprechen, weiß Stetter. Das heißt wohl: Dieser Regisseur kennt ihn besser, als er sich selber. Es ist ein schöner Komfort, jemanden zu haben, der weiß, wer man ist. „Ich glaube schon, dass Dominik mein eigentlicher Mentor ist“, bestätigt Stetter, „er sieht Dinge in mir, von denen ich gar nicht wusste.“ Und nun sah er eben: Schiller!

„Schiller und die Frauen. Meinen Sie denn, es wäre Friedrich Schiller aufgefallen, wenn es gar keine Frauen gäbe?“

Stetters Blick wird ein wenig scharf. Ja, das glaube er schon, sagt er: „Dieser Mann trieb auf seinem eigenen Ozean, der hatte kein Ufer. In Caroline und Charlotte fand er eins.“

„Zwei Ufer!“

„Ja, zwei Ufer.“ Stetter lächelt.

„Das hat auch Vorzüge: Man muss an keinem ganz anlegen. Hat Schiller das so gesehen?“

„Charlotte war die Schirmende, Caroline die Emanzipierte. Sturm und Stille, so ungefähr. Er brauchte beides.“

Er habe versucht so zu filmen, wie man schreibt, sagt der Regisseur

Vielleicht hat Dominik Graf, dieser Fernsehfilmregisseur, der regelmäßig das Format jedes Fernsehfilms sprengt und ab und zu Ausflüge ins Kino unternimmt, das einzig Richtige getan: Er hat nicht den Vivisektoren geglaubt, sondern Schillers Briefen und denen der Schwestern Caroline und Charlotte von Lengefeld, thüringischer Kleinadel. Und Stetter hat den Schiller dieser Briefe gespielt, ein wenig preisgegeben zwischen den beiden Frauen, die ihn zu ihrem Projekt machen. In der Mitte ist ein Sommer, der Sommer des Jahres 1788. Die Schiller-Schlüsselstelle ist vielleicht diese: „Ich hielt mich bislang für die Liebe für ungeeignet. Jetzt sind mir an meiner Liebesunfähigkeit zum ersten Mal Zweifel gekommen.“

Dominik Graf hatte sich in Briefe verliebt: „Was mich von Anfang an faszinierte: Einen Film über Worte zu machen.“ Über Sätze wie: „Liebe meines Lebens, verlass mich jetzt, um wiederzukommen.“ Oder: „Verzeih meine Lust, ich will nie mehr darauf zurückkommen.“ Das sagen sich Caroline (voller Lebensunmittelbarkeit: Hannah Herzsprung) und Schiller, obwohl Charlotte (wunderbar verhalten: Henriette Confurius) den Mann heiratet, schon deshalb, weil Caroline bereits verheiratet ist, gebunden in einer „zehnjährigen Eheunverträglichkeit“.

Die Leichtigkeit eines Sommers

Ja, es ist eine Dreiecksgeschichte, aber eine der etwas anderen Art. Denn es ist ein Bund zu dritt, eine Verschwörung zu dritt, dem Leben standzuhalten, ein dreifaltiger Treueschwur. Und Graf schaut einfach zu, ob dieser Schwur hält, mit auffällig beiläufigem Interesse. Er habe versucht so zu filmen, wie man schreibt, sagt der Regisseur, und ja, es ist ihm gelungen. „Die geliebten Schwestern“ hat die Leichtigkeit jenes Sommers 1788. Natürlich kommt auch Goethe vor in diesem Film: einmal und von hinten.

Wenn Stetter an der letzten Berlinale nur als Schiller teilgenommen hätte. Aber es gelang ihm, gleich in zwei Filmen aufzufallen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Und war das überhaupt noch derselbe Darsteller?

Es gibt Schauspieler, die spielen am Ende doch in jeder neuen Rolle wieder sich selbst und bringen es in dieser Disziplin zu einer ganz eigenen Virtuosität. Stetter aber scheint bis zur Selbstverleugnung jedes Mal zu dem zu werden, dem er sein Gesicht, seine Sprache, seinen Körper gibt. In „Kreuzweg“, diesem Bewusstseinsdrama aus der Provinz, gehört ihm die Eröffnungsszene, die über Gelingen und Scheitern des ganzen Films entscheidet.

Das bürgerliche Kostüm des Incognitos

Der junge Priester einer christlich-fundamentalistischen Gemeinde bereitet seine Zöglinge auf die Kommunion vor. Stetter konnte nicht zum Casting kommen, er drehte gerade den nächsten Graf-Film, doch dann riefen die Regisseure, die Geschwister Brüggemann, ihn an, sie hätten noch immer niemanden, trotz Casting. Stetter las in den Drehpausen den Text, 15 Seiten Anti-Schiller, 15 Seiten Bewusstseinsknebelung statt Befreiung, doch „in seiner perfiden Logik so präzise, so folgerichtig“. Stetter sprach das in sein iPhone, schickte Brüggemanns das Ergebnis und: „Am nächsten Tag hatte ich die Rolle.“

Er trägt einen grauen Anzug zum dunkelblauen Hemd, das bürgerliche Kostüm des Incognitos, der mittleren Unbelangbarkeit. Seltsam zu denken, dass er gerade aus einer ganz anderen Welt kommt. In Prag steht der 36-Jährige in der Neuverfilmung von Bruno Apitz’ „Nackt unter Wölfen“ vor der Kamera. Das war einer der Schlüsselromane der DDR-Literatur, längst klassisch geworden auch in Frank Beyers Defa-Verfilmung. Es ist die authentische Geschichte des kleinen Kindes, das Häftlinge im KZ Buchenwald versteckten. Noch einmal Weimar also, nur ganz anders.

Irgendwann in „Nanga Parbat“ fällt das Wort von der „vertikalen Lebensform“, die der Hauptheld für sich entdeckt habe. Messner wollte einfach mal aus seinem Dorf herausgucken, die Berge standen ihm in der Aussicht. Aber auch für Florian Stetter scheint es nur eine Richtung zu geben: immer weiter hinauf, wobei nicht ganz klar ist, ob Florian Stetter die vertikale Lebensform gewählt hat oder nicht vielmehr diese ihn. Dabei sprach am Anfang so wenig dafür.

Solange man Schiller spricht, kann man nicht untergehen

Sein Wikipedia-Eintrag drückt das mit großem Feingefühl so aus: „Florian Stetter wuchs in Regensburg auf und besuchte dort bis zu seinem 17. Lebensjahr das Gymnasium.“ Das sei ganz richtig, sagt der Betroffene, er habe die 9. Klasse wiederholen müssen, die 10. habe er dann abgebrochen vor der Wiederholung. Der Grund sei recht einfach gewesen: „Ich hatte mich in ein Mädchen verliebt.“ Seine Eltern, die Mutter Lehrerin, der Vater Mikrobiologe, waren sehr beunruhigt, aber wehrlos. Die Schule besitze für ihn keinerlei Attraktivität, formulierte ihr Sohn.

Der verhinderte Abiturient wartete, ob der leistungsmindernde Einfluss sich abschwächen würde, wusste aber nicht, ob er das überhaupt wünschen dürfte. Er dachte darüber nach, den Beruf des Tischlers zu ergreifen, und leistete seinen Zivildienst, „individuelle Schwerstbehindertenbetreuung“. Es war ein Student, querschnittsgelähmt durch falsche Bettung nach einer Standardoperation. Noch niemand sei bislang mit ihm ausgekommen. Der Gelähmte ertrug keine Nähe, schon gar nicht den bedauernden Ton, in dem man zu Menschen spricht, die das Schicksal hart angefasst hat. Aber mich mochte er, sagt Stetter.

Wahrscheinlich hatte er gemerkt, dass da noch einer war, der resistent war gegen alles Das-wird-schon-Wieder!, der empfand, dass Tröstungen so oft nur Gedankenlosigkeiten sind. Und dass man sich nicht aussuchen kann, woran man zugrunde geht.

Mitwisser der Liebe von Berufs wegen

Tischler, wirklich? Stetter sprach vorher noch kurz an der Otto-Falckenberg-Schauspielschule in München vor, denn Schauspieler wissen anders als Tischler manchmal recht viel von der Not des Daseins, zumindest können sie diese besser ausdrücken. Und sind Schauspieler nicht die natürlichen Mitwisser der Liebe von Berufs wegen? Doch die Falckenberg-Schule schickte ihn wieder nach Hause. Er sei zu jung, viel zu jung.

Also probierte der Abgewiesene es in Bochum, doch dort saß ihm bei der Aufnahmeprüfung nicht nur die Prüfungskommission gegenüber. Ein Drehstab suchte einen 17-Jährigen, zu erzählen war eine Amour fou, die Geschichte von einem, der mindestens so neben der Spur lebt wie er selbst: Ein Schrottplatz scheint diesem Lebensanfänger der seiner Weltbefindlichkeit angemessene Aufenthaltsort, als er sich in eine Prostituierte verliebt.

Eine Liebe als Apokalypse, eine Apokalypse als Liebe. Stetter sprach vor und war genommen: vom Drehstab wie von der Schauspielschule. Für „L’amour, L’argent, L’amour“ bekam er 2001 in Saarbrücken den Max-Ophüls-Preis als bester Nachwuchsdarsteller. Kein schlechter Beginn für einen Studenten, jetzt brauchte er nur noch die Schauspielschule zu besuchen wie alle anderen. „Aber ich konnte das nicht. Nicht nach dieser Überdosis Leben, nach dieser Überdosis Liebe“, sagt Stetter und schaut, als wolle er seine Entscheidung überprüfen. Damals hatte er sich statt einer Fahrkarte nach Bochum einen alten Passat gekauft und wollte nach Irland. Du kannst doch nicht irgendwohin fahren mit keinem Ziel, sagte seine Mutter und stellte sich zwischen ihren Sohn und Irland. Doch, konnte er. Und er würde es wieder tun.

Nicht seine erste Begegnung mit Schiller

Nein, Florian Stetter ist wohl doch kein typischer Vertreter der „vertikalen Lebensform“. Dazu ist zu viel Zögern in ihm. Irland hat ihm gezeigt, dass es immer noch einen Weg gibt, sich von sich zu lösen, „Haken zu schlagen auf dem Weg zu sich selbst“. Dieser Schauspieler hat das Fragile, das irgendwie Durchscheinende der Existenz. Wahrscheinlich dachte schon Nanga-Parbat-Regisseur Joseph Vilsmaier, es ist trivial, einen eher kompakten Typen an einen welthöchsten Berg zu hängen, an dem jeder Millimeter Zum-Gipfel!-Zum-Gipfel! ruft. Wie sagt es doch Reinhold Messner selbst: Der Mut ist nur die andere Hälfte der Angst.

Auch seine erste Begegnung mit Graf verdankt Stetter „L’amour, L’argent, L’amour“. Graf sah diesen Film und engagierte ihn ohne Vorsprechen für „Die Freunde der Freunde“.

Er hat dann doch noch studiert, die Falckenberg-Schule, die ihn ein paar Jahre zuvor wegen übermäßiger Jugend abgelehnt hatte, nahm ihn.

„Die geliebten Schwestern“ ist nicht Stetters erste Begegnung mit Schiller. Er hat schon als Ferdinand in „Kabale und Liebe“ auf der Bühne des Berliner Gorki-Theaters gestanden und war Franz Moor in den „Räubern“, dem Stück, das die Mutter von Lengefeld – im Leben wie im Film – höchst argwöhnisch machte gegen den aufrührerischen Habenichts, mit dem ihre Töchter neuerdings verkehren.

Auch ist dies keineswegs sein erster Film über den Dichter als Revolutionär, den Revolutionär als Dichter, der erste hieß „Schiller“, das war 2005, und da spielte er Scharffenstein, den Überlieferer des präcarolinischen, prächarlotteschen Liebeslebens des Mannes, den die Franzosen 1792 zu ihrem Ehrenbürger ernannten. Für die „Räuber“. So schließen sich Kreise.

Stetter vertraut der Sprache Schillers, ihr Rhythmus trage wie ein Schiff. Solange man Schiller spricht, kann man nicht untergehen.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.

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