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Joseph Blatter hat seinen Rücktritt als Fifa-Boss angekündigt.

© AFP

Fifa: Sepp Blatter lässt den Ball fallen

Er hatte so gefeiert nach seiner fünften Wahl, scherzte, sang, ließ sich umarmen. Als niemand mehr mit Rücktritt rechnet, schmeißt Sepp Blatter doch hin. Nach 17 Jahren an der Fifa-Spitze. Jetzt wird über die Gründe spekuliert – und die Frage: Was kommt da noch?

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Am Ende geht Joseph Blatter ins Licht. Der Fifa-Präsident verlässt das dunkle Auditorium des Weltverbandes in Zürich durch einen Seitenausgang, in der linken Hand gerollt hält er noch seine Rücktrittsrede. In der offenen Tür schüttelt er mit der rechten scheinbar endlos die Hand von Domenico Scala, dem Mann, der jetzt die Aufräumarbeiten in der Fifa übernehmen soll. Als schinde Blatter Zeit, als könne der Präsident selbst noch nicht fassen, was er da gerade verkündet hat. „Ich lege mein Mandat nieder“, hatte er gesagt, in einer eilig einberufenen Pressekonferenz, nur vier Tage nach seiner Wiederwahl, „ich habe zwar ein Mandat von den Fifa-Mitgliedern, aber ich spüre, dass ich keines von der gesamten Fußballwelt habe.“ Und damit war es vorbei. 40 Jahre Fifa, abgewickelt in einer sechsminütigen Ansprache (hier im Wortlaut).Bei einem außerordentlichen Kongress, der spätestens im März 2016 stattfinden wird, soll Blatters Nachfolger gewählt werden. Dann zieht sich der Schweizer zurück.

Es ist tatsächlich vorbei. 17 Jahre hat Blatter als Fifa-Präsident den Weltfußball fest in seinen Händen gehalten, sich geradezu an ihn geklammert, und nun lässt er den Ball einfach so fallen. Den Ball, seine Mission, sein Lebenswerk. Mehr als sein halbes Leben war Blatter im Weltverband aktiv, und auch mit 79 Jahren hatte er geglaubt, die Fifa noch vier weitere Jahre führen zu müssen. Es gab nicht wenige, die meinten, nur eine Krankheit könne Blatter eines Tages des Amtes entheben. Und jetzt, als schon niemand mehr damit rechnete, geht er plötzlich, von sich aus.

Das FBI ermittelt offenbar gegen Joseph Blatter

Mit ungewohnt ernster Miene verlas Blatter seine Erklärung, sah nur selten auf, als müsse er selbst noch einmal verinnerlichen, was er da vortrug, im dunklen Anzug, im schummrigen Licht, wie eine Grabesrede. Blatter bedankte sich für das Vertrauen vieler Weggefährten, und ließ dabei erahnen, dass ihm andere in der Fifa schon nicht mehr vertrauen.

All die Jahre hatte Blatter etliche Skandale überstanden. Der Mann, der sich selbst mit einer zähen Bergziege verglich, dem man das Talent nachsagte, immer dort zu stehen, wo die Lawine nicht niedergeht. Der all seine Lehrmeister überlebt hat und alle Mitstreiter, die er opferte, damit es ihn nicht erwischt. Hat nun die Lawine doch die Ziege erwischt oder ist sie nur vorher abgesprungen? Am späten Abend wurde bekannt, dass die US-Bundespolizei FBI gegen Blatter ermittelt, das berichtete der US-Sender ABC.

Hat das den mächtigsten Sportfunktionär der Welt bewegt, seine Macht über das beliebteste Spiel aufzugeben? Oder war es die anhaltende Kritik der Weltöffentlichkeit? Deren Meinung über ihn war schon immer schlecht, das lächelte er weg. Die Opposition im Weltverband? Die hatte er noch immer ausgeschaltet oder auf seine Seite geholt. Und juristisch konnte ihm noch nie jemand etwas nachweisen.

Klar, es hatte zuletzt Skandale gegeben, wieder einmal. Die US-Behörden ermitteln gegen hohe Fifa-Funktionäre, die sie in Zürich vergangene Woche verhafteten. Schweizer Staatsanwälte durchsuchten die Fifa. Selbst das hatte Blatter noch versucht, als seinen Erfolg zu verkaufen. Er sei es doch, der die Fifa reformiere, er sei doch der Gute, der Einzige, der den Weltverband vor den Schlechten retten kann. Und jetzt glaubt er das plötzlich nicht mehr? Späte Einsicht?

Ein Mensch im Machtrausch

Wer Blatter bei seiner Wiederwahl erlebt hat am Freitag, der sah im Zürcher Hallenstadion einen Menschen im Machtrausch. Wie aufgedreht scherzte er, sang und rief in den Saal, ließ sich beklatschen und umarmen. Mit seinem Blumenstrauß in der Hand strahlte er wie ein Mädchen, das gerade Ballkönigin geworden ist. Er hatte es wieder einmal geschafft, auch wenn 73 Länder für den Gegenkandidaten Prinz Ali bin al-Hussein gestimmt hatten. Blatter fühlte sich gestärkt, stritt am nächsten Tag im Fifa-Hauptquartier wieder alle Vorwürfe ab und attackierte seine Gegner, die amerikanischen Ermittler und die Europäer, die ihn abwählen wollten. Und er ließ sich in einer Homestory als gütiger Großvater ablichten, der seine Familie beschützt. Seine wahre Familie aber war immer die Fifa, die er mit 1,6 Milliarden Fußballfans weltweit als wichtiger ansah als jeden Staat und jede Religion.

„Am Ende ging es nur noch darum, ihn mürbe zu machen“, sagte seine Tochter Corinne Blatter Andenmatten nach dem Rücktritt, der „nichts mit den Ermittlungen zu tun“ habe.

Der Glaube, selbst so etwas wie ein Fußballgott zu sein, erhaben über alle Kritik, lag auch an seiner Vita. Dass vor seiner ersten Wahl zum Fifa-Chef 1998 angeblich Umschläge voller Geld umhergereicht wurden, konnte ihm ebenso wenig etwas anhaben wie die Implosion der Vermarktungsagentur ISL, von deren Schmiergeldzahlungen an Fifa-Funktionäre er wusste und es zugab. Die WM-Vergaben an Russland 2018 und Katar 2022 setzten ihn der Kritik aus, aber er blieb Amt.

Dann kam der Dienstag, der vierte Tag seiner fünften Amtszeit. Dieser begann mit einer Meldung, die seinen Generalsekretär Jerome Valcke, die Nummer zwei des Weltverbands, in Bedrängnis brachte. Am Dienstagmorgen veröffentlichte die „New York Times“ einen Bericht, der eine Verbindung Valckes mit dem Korruptionsskandal herstellte. Damit rückte auch Blatter näher an die Ermittlungen der US-Behörden heran. Die Zeitung zitierte Ermittler, die davon ausgehen, Valcke sei im Jahr 2008 für eine Zahlung von zehn Millionen US-Dollar verantwortlich gewesen, die von der Fifa an Jack Warner überwiesen worden war, den ehemaligen Präsidenten des Kontinentalverbands für Nord- und Mittelamerika (Concacaf). Dieses Geld soll Warner laut US-Behörden als Gegenleistung dafür bekommen haben, dass er bei der Vergabe der WM 2010 für Südafrika gestimmt hatte.

Mitarbeiter und Medien wurden überrumpelt

War es der 72-Jährige aus Trinidad und Tobago, der Blatter stürzte? Er hatte gesagt: „Wenn ich die Fifa seit 30 Jahren beklaut habe, wer gab mir das Geld? Warum wird nicht gegen ihn ermittelt?“

In der Anklageschrift wird beschrieben, wie ein „hochrangiger Fifa-Funktionär“ die Zahlungen an Warner anwies. Valcke dementierte umgehend. Er hätte dafür gar nicht die Befugnis, teilte er mit. Und die Fifa verkündete, die Überweisungen wurden von Julio Grondona autorisiert, damals der Vorsitzende des Fifa-Finanzkomitees. Der Argentinier, gegen den in seiner Heimat wegen Verdachts der Korruption, Geldwäsche und Steuerhinterziehung ermittelt wurde, starb im vergangenen Jahr im Alter von 82 Jahren. Über Grondona sagte Blatter nach dessen Tod, er sei ein lebenslanger Freund gewesen.

Ebenso eng ist Blatter mit Valcke verbunden. Und bei Valcke kann Blatter nicht behaupten, der Generalsekretär sei ihm von den Nationalverbänden zugeschoben worden, wie er es zuletzt bei den in Zürich verhafteten Fifa-Funktionären tat. Außerdem war auch Valcke bereits in finanzielle Kontroversen verwickelt. Ein US-Gericht hatte ihn für schuldig befunden, in Verhandlungen mit Sponsoren mehrmals gelogen zu haben. Trotz aller Dementi stand Valcke nun also unter Druck – und um kurz nach 16.30 Uhr schien die Fifa darauf zu reagieren.

Da schickte der Verband eine Einladung für eine außerordentliche Pressekonferenz um 18 Uhr heraus. Wer dort reden würde und zu welchem Thema, wollte beim Weltverband niemand sagen. Die Mitarbeiter wurden davon offenbar genauso überrumpelt wie die Medien. Gerade einmal ein Dutzend Reporter schaffte es noch rechtzeitig und saß in dem riesigen dunklen Auditorium. Auf dem Podium vor ihnen waren drei Namensschilder postiert. Keines davon für Valcke, stattdessen für Blatter, den internen Fifa-Finanzaufseher Domenico Scala und den Mediendirektor Walter de Gregorio. De Gregorio kündigte an, dass Blatter und Scala kurze Statements verlesen werden – Nachfragen waren nicht erlaubt. Und dann erschien Blatter. Fast regungslos stand er an einem schwarzen Pult.

Nach ihm kam Scala. Der Italo-Schweizer kündigte an, die Fifa werde große Reformen angehen. Die Amtszeiten des Präsidenten und der hohen Funktionäre werde beschränkt, das Exekutivkomitee solle verkleinert werden – auch die Wahl dieses Gremiums solle sich ändern. Im Vergleich zu den seltsamen Windungen, die die Fifa in den vergangenen Jahrzehnten vollzog, sind das gigantische Reformen. Reformen, gegen die sich Blatter stets gewehrt hatte. Er wollte die Fußball-Weltregierung nach seiner Wahl sogar erweitern.

Eine Zeit nach Blatter schien kaum vorstellbar

Was also ist passiert in den vergangenen Tagen, dass Blatter diese Komplettwendung hinlegt? Noch am Samstagnachmittag um 14 Uhr hatte Blatter der Schweizer Boulevardzeitung „Blick“ ein vor Selbstbewusstsein strotzendes Interview gegeben. Darin lästerte er über seine Gegner. Verspottete den Präsidenten des europäischen Verbands Uefa, Michel Platini, als einen, der mit ihm Whiskey trinken wollte. Und keilte gegen den Deutschen Verbandschef Wolfgang Niersbach, Franz Beckenbauer habe ihn zusammengefaltet, weil er nicht für Blatter stimmen wollte. Aber nur 72 Stunden später kündigte er an, zurückzutreten.

Rund um die Fifa wurde zuletzt geraunt, das Einzige, das Blatter fürchtet, seien die US-Behörden. Wollen die Hauptverdächtigten gegen ihn aussagen, um ihre eigene Haut zu retten? Unter den Beschuldigten sind immerhin aktuelle und ehemalige Fifa-Vizepräsidenten. Männer, die das System genau kennen und lange davon profitiert haben. Vielleicht sind sie inzwischen bereit, Blatter und seine Vertrauten mit in den Abgrund zu ziehen.

Wer kommt jetzt? Blatter hatte den Fußball so fest im Griff, dass eine Zeit nach ihm kaum vorstellbar schien, selbst für seine Herausforderer. Kein Nachfolger konnte sich bisher in Stellung bringen. Der unterlegene Kandidat al-Hussein, Uefa-Chef Platini – sie alle waren gestern noch zu überrascht, um ernste Ambitionen zu formulieren. Und so hat Joseph Blatter vielleicht noch Zeit, seine Nachfolge selbst zu regeln, die Dinge so zu hinterlassen, wie er sie gerne hätte. Denn dass Blatters Schatten nach 40 Jahren einfach so im Licht verschwindet, wird er nicht zulassen.

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