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Glückwünsche aus aller Welt: Nikolay Kropachev von der Staatlichen Universität St. Petersburg gratulierte per Video.

© Regina Zablotny

Festakt zum 70. Jahrestag der Universitätsgründung: „Ohne die Freie Universität wäre Berlin ärmer“

Jubiläum mit Torte, „dies academicus“, Zeitzeugen-Gespräch und Festrednerin Herta Müller: Wie die Uni feierte.

Für viele war es ein Wiedersehen nach Jahrzehnten: Unter den rund 1300 Gästen, die am 4. Dezember dieses Jahres in den Henry-Ford-Bau gekommen waren, um den siebzigsten Geburtstag der Freien Universität zu feiern, waren zahlreiche Studentinnen und Studenten der ersten Jahre. Darunter sogar einige derjenigen, die im Jahr 1948 mitgeholfen hatten, die Freie Universität zu gründen. Eine Universität, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Freiheit und Demokratie zu lehren, wie Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller in ihrer Festrede sagte. Gelegenheit für einen Blick zurück gab es auch außerhalb des Festsaals: Aus Anlass des runden Geburtstages hatte die Hochschule universitätsweit einen „dies academicus“ ausgerufen. Offene Labore, Ausstellungen, Führungen und Diskussionen luden dazu ein, sich mit Geschichte und Gegenwart der Universität auseinanderzusetzen.

Es rauscht und knistert – der Reporter des Radiosenders RIAS Berlin ist schwer zu verstehen, er berichtet offenbar live aus dem Titania-Palast in Steglitz von der Festveranstaltung zur Gründung der Freien Universität am 4. Dezember 1948; im Hintergrund ist Ernst Reuter zu hören, der spricht. Die elektrisierte Atmosphäre unter den geladenen Gästen – den „Spitzen der demokratischen Berliner Organ“" und vielen Studentinnen und Studenten – überträgt sich auf die Zuhörer von heute: In jenem Moment wurde Geschichte geschrieben. Und sie ereignete sich nicht einfach so, sondern „junge Männer und Frauen haben ihr Schicksal in die Hand genommen und ihre eigene Universität gegründet, sie praktisch aus dem Boden gestampft“, wie es der RIAS-Reporter damals den Zuhörerinnen und Zuhörern vor den Radioapparaten erklärte.

Mit diesem historischen Zeugnis begann der Jubiläums-Festakt im Max- Kade-Auditorium der Freien Universität Berlin – auf den Tag genau 70 Jahre später. Doch was hatte zur Gründung der Freien Universität geführt und inwiefern ist der Wunsch nach Freiheit, der ihrer Gründung zugrunde lag, auch heute noch eine Verpflichtung? Auf diese Fragen gab es an diesem Abend verschiedene Antworten.

Herta Müller hielt den Festvortrag

Eine gab Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, die 2005 als erste Heiner- Müller-Gastprofessorin in Dahlem gelehrt hat und nun den Festvortrag hielt. Die aus Rumänien stammende Autorin schilderte auf berührende Weise, was es bedeutet, in einer Diktatur zu leben. „Freiheit ist immer konkret“, sagte sie. „Sie ist da oder sie fehlt.“ Wenn sie fehle, fehle sie in jeder Sache. Was das Regime erlaubt habe, habe sie sich selbst verboten – denn das sei keine Freiheit gewesen, sondern allenfalls ein kleines Zugeständnis des Systems. Zwar habe ihr die Literatur geholfen – „im Inhalt der Sätze konnte ich sein wie in einem warmen Zimmer“. Doch: „Alle Bücher haben eine letzte Seite.“ Und wie könne man leben mit dem, was man denkt, ohne es sagen zu können?

Noch heute – obwohl sie jetzt ebenso lange in Freiheit lebe, wie sie in der Diktatur gelebt habe – seien ihre Erfahrungen in der Diktatur der Maßstab für die Freiheit geblieben: „Was ich über Freiheit gelernt habe, habe ich aus den Mechanismen der Unterdrückung gelernt.“

Die Freie Universität, sagte die Autorin in ihrer Rede, sei nach dem Zivilisationsbruch des Zweiten Weltkriegs gegründet worden, damit an ihr Freiheit und Demokratie gelehrt werde. Und mit Blick auf die Entwicklungen in vielen osteuropäischen Ländern, die nach einer kurzen Zeit der Freiheit nun wieder zurückkehrten zu autoritären Strukturen und Unfreiheit, fügte sie an: „Heute brauchen wir die Universitäten, um Freiheit und Demokratie nicht zu verlernen.“ Freiheit müsse immer wieder neu erlernt und gelebt werden, denn: „Freiheit steht nicht still.“

Klaus Heinrich sprach von einem „Freiheitsrausch“

Die Überzeugung, dass Freiheit, auch Wissenschaftsfreiheit, nicht nur als Idee existieren dürfe, hatte die Gründungsstudenten 1948 angetrieben, die Berliner Universität Unter den Linden, die spätere Humboldt-Universität, zu verlassen und eine neue Universität im Westteil der Stadt zu gründen. Einer der Gründungsstudenten, Klaus Heinrich, später Professor für Religionswissenschaft in Dahlem, erzählte in der von dem Historiker Professor Paul Nolte moderierten Podiumsdiskussion von dieser Zeit. Sie seien nach dem Krieg in einem „Freiheitsrausch“ gewesen, Studierende und Lehrkräfte gleichermaßen, einige waren im Nationalsozialismus verfolgt worden.

Religionsphilosophie-Professor Klaus Heinrich diskutierte mit Sawsan Chebli (r.), Gesine Schwan und Studentin Tuba Arikan.
Religionsphilosophie-Professor Klaus Heinrich diskutierte mit Sawsan Chebli (r.), Gesine Schwan und Studentin Tuba Arikan.

© Regina Sablotny

Schon kurze Zeit nach ihrer Gründung hatte sich die Freie Universität Berlin etabliert. Klaus Heinrich erinnerte sich, wie er nur sechs Jahre nach der Gründung von einem Enkel Henry Fords einen riesigen Schlüssel erhalten hatte, um ein ebenso großes Schloss symbolisch aufzuschließen, denn ganz bezugsfertig war der erste Neubau für die Wissenschaft im Nachkriegs-Berlin noch nicht. Mehr als acht Millionen D-Mark hatte die junge Universität hierfür von der Ford Foundation erhalten. Ein Bau, der zu einem Schauplatz entscheidender Momente der Universitätsgeschichte geworden ist - nicht nur durch die Rede, die der amerikanische Präsident John-F.-Kennedy bei seinem Berlin-Besuch im Jahr 1963 hier vor Hunderten von Studierenden hielt.

Vielstimmigkeit sei der Freien Universität in die Wiege gelegt worden, sagte Paul Nolte. Später habe dann Streit die Freie Universität in heftige Verwerfungen geführt „und ihr Wunden zugefügt, die zu heilen lange dauerte“. Zugleich sei „1968“ ein Auftrag und ein Vermächtnis geblieben: „Das Gründungsgen einer politischen Universität ließ sich nicht mit der Genschere eines akademischen Quietismus wegschneiden.“

Heute muss man die erkämpfte Freiheit verteidigen

Eine Geburtstagstorte überreichte Staatssekretär und Alumnus Steffen Krach (r.) Universitätspräsident Günter M. Ziegler.
Eine Geburtstagstorte überreichte Staatssekretär und Alumnus Steffen Krach (r.) Universitätspräsident Günter M. Ziegler.

© Regina Sablotny

Die Freie Universität war aber nicht nur von Anfang an politisch, sondern auch international vernetzt. Deshalb ließen es sich die Präsidenten und Rektoren von strategischen Partneruniversitäten auch nicht nehmen, zum runden Geburtstag per Videobotschaft zu gratulieren. „Massel tov“ – „viel Glück“ wünschte die Hebrew University of Jerusalem und die Universität Sankt Petersburg gratulierte ihrem „alten Freund Freie Universität“. Der Rektor der Universität Zürich wünschte auf Schwyzerdütsch ein „gelungenes Fest“, und die kanadische University of British Columbia sowie die chinesische Peking University sendeten Grüße zum runden Geburtstag.

Internationalisierung als Aufgabe der Universität hob auch Michael Meister, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, hervor. Es gehe darum, „Brücken zu bauen“, aber auch „Werte und Qualitätsansprüche“, für die die Freie Universität mit ihrer Geschichte stehe, weiterzutragen. Die Studierenden ermutigte er, die „Wissenschaftsfreiheit, die frühere Generationen erkämpft haben“, zu nutzen und zu verteidigen: „Bleiben Sie kreativ und skeptisch!“

Die Freie Universität präge ihre Absolventinnen und Absolventen, betonte Steffen Krach, Staatssekretär Wissenschaft und Forschung beim Berliner Senat, der vor 16 Jahren selbst ein Studium in Dahlem begann. „Damals ahnte ich nicht, dass ich auf dieser Bühne einmal der Freien Universität zum Siebzigsten gratulieren würde. Ohne die Freie Universität wäre Berlin eine andere, eine ärmere Stadt“, sagte Krach, der Universitätspräsident Professor Günter M. Ziegler eine Geburtstagstorte überreichte.

„Die Freie Universität hat sich prima entwickelt“

Der Universitätspräsident erzählte, dass sich ihm – der in einem „behüteten Münchner Vorort aufgewachsen“ ist – die Frage nach der Freiheit lange nicht gestellt habe. „Ich hielt sie für selbstverständlich.“ Heute, „in Zeiten, in denen populistische Bewegungen stärker werden und die Lehr- und Forschungsfreiheit in vielen Teilen der Welt durch autoritäre Regierungen bedroht ist“, sei es wichtig, als Universität nicht nur regional und national, sondern auch global Verantwortung zu übernehmen. „Freiheit ist nicht selbstverständlich: Sie muss immer wieder aufs Neue verteidigt werden und bleibt für unsere Universität Verpflichtung und Anspruch zugleich.“

Wer hätte all das ahnen können, als Studierende 1948 im „Rausch der Freiheit“ ihre „eigene Universität“ gründeten und dafür in einen alten Kinosaal luden, weil Berlin in Trümmern lag: Dass die Freie Universität einmal ein „Hotspot“ der Studentenbewegung werden würde, dass sie durch die vielen Studierenden in den 1980er Jahren fast aus allen Nähten geplatzt wäre und sich durch den Fall der Mauer auf einmal am Rand der deutschen Hauptstadt wiederfand.

Heute ist sie – wie alle Gratulanten hervorhoben – eine international anerkannte Spitzenuniversität. Medizinprofessor Karol Kubicki gehörte wie Klaus Heinrich 1948 zu dem 16 Personen umfassenden „Gründungsausschuss“ und hatte damals die Matrikelnummer 1 der Freien Universität gelost. „Die Freie Universität hat sich prima entwickelt“, sagte der heute 92-Jährige, der bei der Geburtstagsfeier selbstverständlich ganz vorne im Publikum saß. „Ich benutze das Wort ,stolz’ eigentlich nicht, aber wenn ich es benutzen würde, dann für die Freie Universität.“

Mehr zum Jubiläum im Internet unter www.fu-berlin.de/70jahre

Erinnerungen im Wort und Bild

Soderpublikation

Anlässlich des Jubiläums ist ein Sonderheft des Wissenschaftsmagazins „fundiert“ der Freien Universität erschienen: über Umbrüche und Kontinuitäten, über Menschen, die die Hochschule begleitet oder sie geprägt haben, und über besondere Einrichtungen und Institute. Das Heft kann kostenfrei bestellt werden: presse@fu-berlin.de oder: Freie Universität Berlin, Presse und Kommunikation, Kaiserswerther Straße 16–18, 14195 Berlin.

Ausstellung

Unter dem Titel „Front – Stadt – Institut: Theaterwissenschaft an der Freien Universität 1948–1968“ zeigt das Institut für Theaterwissenschaft eine Ausstellung zu seiner Geschichte. Der Schwerpunkt der von Studierenden mitkuratierten Ausstellung liegt auf den ersten 20 Jahren der Freien Universität. Die Ausstellung ist bis zum 31. März 2019 zu sehen: Grunewaldstraße 35, 12165 Berlin.

Dokumentation

„Die Antiautoritären“ ist der Titel einer fotografischen Dokumentation von Colin Robins über die 68er in Berlin. Sie zeigt Porträts von Menschen, die zur 68er-Bewegung gehörten. Die Dokumentation entstand in Zusammenarbeit mit dem German Historical Institute London und der Freien Universität. Nach Präsentationen in London, Cambridge und Helsinki ist sie noch bis zum 11. Januar 2019 zu sehen in der Garystraße 39, 14195 Berlin.

Fotografie

Rechtswissenschaft gehörte zu den ersten Fächern, die an der 1948 neu gegründeten Freien Universität gelehrt wurden. Anlässlich des 70. Geburtstages hat der Fachbereich eine Foto-Ausstellung erarbeitet. Gezeigt werden Bilder aus 70 Jahren Rechtswissenschaft an der Freien Universität. Die Ausstellung ist bis zum 31. Januar 2019 in der Van’t-Hoff-Straße 8, 14195 Berlin, zu sehen.

Monografie

1948 wurde der 86-jährige Historiker Friedrich Meinecke, der von der Berliner Universität nach Dahlem gewechselt war, Gründungsrektor der Freien Universität. Zwei Jahre zuvor hatte er die vielbeachtete Monografie „Die Deutsche Katastrophe“ veröffentlicht, bis heute in acht Sprachen übersetzt. Der emeritierte Historiker Bernd Sösemann vom Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität stellte eine von der Ernst-Reuter-Gesellschaft der Freunde, Förderer und Ehemaligen der Freien Universität geförderte Neuedition des Werkes vor.

Nina Diezemann

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