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Dauerbaustelle. Tag und Nacht wird gebaut in der Innenstadt und auch am Strand von Tel Aviv.

© Bernd Matthies

Feinschmecker-Restaurants in Israel: Kreativküche Tel Aviv

Jüdisch, arabisch, modern mediterran und osteuropäisch – in der israelischen Hafenstadt wird weltläufig und experimentierfreudig gekocht. Aus Traditionen und Trends entstehen Zukunftsideen für die Gourmetküche.

Rustikaler könnte es kaum aussehen. Auch kaum imposanter. Und vielgestaltiger sowieso nicht. Dennoch ist das Gericht, das im „Dok“ unter den hohen Betonarkaden an der Shlomo Ibn Gabirol Straße im Zentrum Tel Avivs serviert wird, weder landestypisch noch gehobener Standard oder gar das Erzeugnis einer Kochvision. Ohne je in eine dieser Richtungen zu kippen, trägt der von starken Röstspuren gezeichnete „Arabic cabbage“, die avancierte Abwandlung eines im Libanon verbreiteten Krautwickels, dennoch Züge von allen dreien – und könnte darüber hinaus als eine gekochte Metapher für ein kulinarisches Geschehen verstanden werden, das die israelische Metropole am Meer gerade so anziehend macht. Denn der minimalistisch mit einer Art Ziegenkäse-Crème-brûlée und frischen mediterranen Kräutern gefüllte Kohlkopf wirkt wie ein kleinster gemeinsamer Nenner der aktuellen Trends – gerade auch, weil der Einsatz der schon in der Antike beliebten Gewürzmischung Za’atar aus Ysop, Sumak, Koriander, Sesam und Olivenöl auf die Alte Welt zurückverweist.

Tel Aviv gehört zu den kulinarischen Hochburgen im Mittelmeerraum

Was sich hier auf einem kleinen Teller abspielt, ließe sich mühelos auf die ganze Stadt hochrechnen. Denn der enorme Lebenshunger, der in Tel Aviv an jeder Ecke zu spüren ist, der Spaß an Begegnung und Gedankenaustausch, an Abreisen und Zurückkommen, das alles schlägt sich natürlich auch in der Küche nieder und macht die Stadt zu einer der wenigen kulinarischen Hochburgen im Mittelmeerraum. Ähnlich wie in Berlin - das ja viele neue kulinarische Ideen jungen Israelis verdankt – wird ohne Vorbehalte kombiniert, probiert, auch wieder verworfen. Doch im Unterschied zur deutschen Hauptstadt weist alles, was in Tel Aviv gekocht wird, Bezüge zu Geschichte und Region auf. Die traditionelle, aus arabischen, osteuropäischen und russischen Einflüssen gemischte Küche Israels trifft hier auf den modernen mediterranen Stil, und die meist weitgereisten Küchenchefs haben Erfahrungen auch in der „Molekularküche“ und im skandinavischen Nova Regio. Das macht ein Essen ohne vorherige Recherche für den Gast angenehm unberechenbar.

Im Restaurant "Dok" folgt Gründer Asaf Doktor einem Farm-to-table-Konzept und bietet eine raffiniert bodenständige Gemüse-Küche.
Im Restaurant "Dok" folgt Gründer Asaf Doktor einem Farm-to-table-Konzept und bietet eine raffiniert bodenständige Gemüse-Küche.

© Jörn Witt

Doch bleiben wir noch im „Dok“. Dessen agiler Gründer Asaf Doktor folgt einem Farm-to-Table-Konzept, das uniformen Produkten wohlweislich aus dem Weg geht. Der enge Kontakt mit kleinen bäuerlichen Betrieben in der Umgegend ändert die Arbeit am Herd beinahe täglich. Denn vollkommen ausgereifte Viktualien legen Variationen und Innovationen nahe, zumeist auf der Grundlage einer der jüdischen Wanderküchen oder der arabischen Tradition. Ob es sich nun um die geschmorte und abgeflämmte Kohlrabiknolle mit Thymian und grünem Chili handelt, um grüne Kichererbsen mit konfierter Zeste und einen Schafsjoghurt, der die hiesigen Vorstellungen von diesem Milchprodukt über den Haufen wirft, oder ein von getrockneten Weinblättern bedecktes Stachelmakrelen-Ceviche mit rohen Okraschoten, Fakus-Gurken und roten Zwiebeln – stets verrät der sachliche Anblick wenig über das, was folgt: subtil gemalte Geschmacksbilder, die vor allem die enorme Wahrnehmungsfähigkeit des Gaumens ansprechen.

Saftige Kalbsfleisch-Spieße und Lamm-Kebab mit scharfen Dips

Aber auch der einfache Holzkohlengrill behauptet eine starke Position in der Tel Aviver Küche, kein Wunder, denn hier gab es ja Streetfood schon lange, bevor es in Europa neu entdeckt wurde. Deshalb erwartet man im „Jasmino“ keine feinen Schattierungen, sondern starke Konturen und Nachdruck. Obwohl tatsächlich nur mit einem Grill ausgerüstet, gehört der betont einfache Straßenimbiss im Geschäfts- und Finanzdistrikt dennoch zu jenen Brennpunkten, die auch von Gourmets aufgesucht werden. Verantwortlich für diesen Eindruck sind saftige Kalbsherz- und Kalbshirn-Spieße genauso wie exzellentes, von Rauch und vegetabiler, „grüner“ Schärfe durchzogenes Lamm-Kebab mit Grillzwiebeln, jeweils im Pitabrot und garniert mit Tahini aus ungeschälter Saat oder Amba, einem scharfen Dip aus Mango und Bockshornklee.

Gleich gegenüber an der viel befahrenen Allenby Street fällt der Blick auf die Große Synagoge direkt gegenüber, ein Monument des Modernismus, in dessen Gestaltung klassische Elemente wie eine mächtige Kuppel und vielfarbige Glasfenster bruchlos eingeflossen sind. Der auch den Baustoff ehrende Sakralbau passt genau so ins architektonische Durcheinander der Stadt wie die Apartment-Burgen, die im nördlichen Teil aus dem Wüstensand schießen, und die fast 4000 zum großen Teil in den letzten Jahren renovierten Bauhaus-Villen der „weißen Stadt“, die nicht selten so aussehen, als seien sie aus der Weimarer Republik direkt hierher verschifft worden. Auch Massives schüchtert hier niemanden ein, das ist in den angrenzenden Lokalen wie mit Händen zu greifen. Das „Port Said“ gegenüber dem Hauptportal der Synagoge quillt über vor Jugend, wobei als jung gilt, wer in der Lage ist, mit einem der unzähligen E-Roller oder elektrifizierten Skateboards übers Trottoir zu flitzen.

Die Sabbat-Vorspeisen von "Mashya"-Chef Yossi Shitrit vereinen gekonnt die Traditionen der nordafrikanischen und irakischen Juden mit internationalen Tendenzen.
Die Sabbat-Vorspeisen von "Mashya"-Chef Yossi Shitrit vereinen gekonnt die Traditionen der nordafrikanischen und irakischen Juden mit internationalen Tendenzen.

© Jörn Witt

Ebenso beeindruckt das „Santa Katarina“. Ganz wesentlich liegt das am Taboon, einem gemauerten Steinofen, aus dem die Glut leuchtet wie eine Reminiszenz an die prächtigen Sonnenuntergänge hinter der Hotelkette, mit der sich die City an ihrer Seeseite noch einmal aufbäumt. Chefkoch Tomer Agay und sein Team bedienen dieses über 400 Grad erreichende Instrument virtuos. Das Brioche-ähnliche Jerusalem-Brot leitet eine Rundreise um das mittelländische Meer ein, die mit gerösteten grünen Spargeln und libanesischen Ravioli gleich Fahrt aufnimmt. Die Geschehnisse in heiterster Atmosphäre kulminieren in rauchigem Auberginen-Tempura neben Calamari von denkwürdiger Frische, die in Krabbenjus und Zitronenbutter getaucht sind. Auch das Taschenkrebs-Tartar mit Zhug, einer rötlichen Chili-Knoblauch-Koriander-Salsa, die mit den jemenitischen Juden ins Land kam, erschwert den Abschied mit einer erheblichen Schärfe, die die süßliche Frische des Krustentiers gleichsam nah heranholt.

Das "M25" am Carmel-Markt ist das beste Fleischrestaurant der Stadt

Man benötigt keine Lupe, um die großen Speisetrends der westlichen Welt, voran Pizza und Burger, entlang der von Palmensäulen gesäumten Boulevards und Esplanaden auszumachen. Auch dem Steak spricht man mit Vergnügen zu. Mit dem „M25“ besitzt es einen herausragenden Ort. Im Anhängsel der kleinen Metzgerei am volkstümlichen Carmel-Markt will man es nicht dabei belassen, dass die Gäste am schieren Fleisch bloß ihre Reflexe überprüfen wie in einem der landläufigen Steakhäuser. Denn in diesem wohl besten Fleischrestaurant der Stadt kann sich der Gast in der Auslage einen Fleischzuschnitt aussuchen, der dann auf dem Holzkohlengrill zubereitet und in einem Ambiente serviert wird, das irgendwo zwischen Autobahn-Rastplatz und Karawanserei angesiedelt ist. Mit der hohen Qualität des Fleisches halten die Preise mühelos Schritt.

Die neue globale Regionalküche hat es schwerer, zumal dann, wenn sie versucht, Gerichte wie Werke der Natur aussehen zu lassen. Das mag zum Teil mit dem Klima zusammenhängen, dem kulturellen wie dem meteorologischen, sicher aber auch mit der dezidiert israelischen Auffassung von dem, was Küche überhaupt vermag. Zieht man das avancierte „Mashya“ als Beispiel heran, das im Parterre eines Hotels mit unübersehbarem Downtown-Touch Logis bezogen hat, dann fällt eine kulinarische Erzählweise auf, die meilenweit entfernt ist von hiesigen Fine-Dining-Konzepten. Ihre zunächst eher nüchtern wirkenden Speisen sind sehr viel weniger pittoresk feingemacht als viele unserer unter Infrarotlicht toupierten Menüs; sie bewegen sich auf nonchalante Weise innerhalb historischer Bezüge.

Niemand verschmilzt die Traditionen der nordafrikanischen Juden und derjenigen aus dem Irak mit internationalen Tendenzen so überzeugend wie der in Haifa geborene "Mashya"-Chef Yossi Shitrit. Der Starkoch und Gastronomie-Entrepreneur weist High-End-Techniken – seine Popcorn-Shrimps beweisen es – keineswegs von der Hand. Viel von seiner Verve und seinem Sachverstand als Einkäufer bekommt der Gast bereits bei seinem orientalischen Vorspeisen-Arrangement „Sharing is Caring“ am Sabbat mit. Diese Tapas der Saison erinnern trotz einer kunstvollen, fast clean zu nennenden Ausarbeitung an jene Art Authentizität, die noch keine Alternativen kannte. Die zeitgenössische Umami-Küche dagegen vertritt der „Jerusalem Mix“ aus Hühner- und Lamm-Innereien, die von gepickelten Auberginenwürfeln und weißem Tahin begleitet werden.

Verschiedenste Elemente fügen sich zu überzeugenden neuen Stilistiken

Mindestens genauso emotional kocht Barak Aharoni. Doch das merkt man nicht gleich. Denn bei ihm ist die frühere Anlehnung an die französische Klassik noch zu spüren, die immer etwas Rationales und Abgezirkeltes birgt. Und das Ambiente des „Alena“ im noblen Norman Hotel tut ein Übriges. Doch sobald man sein an den Louisiana-Stil erinnerndes, dunkel geröstetes „Organic Spring Chicken“ in einer Marinade aus rosa Pfeffer, Salbei, Zeste und Palmzucker gekostet hat, wird man vollständig ergriffen vom Zusammenklang, ja von einer Legierung von Elementen erster Provenienz. Die Skala seiner Ausdrucksmöglichkeiten könnte diesen Mann einmal zum Erben des in Jerusalem geborenen und jetzt in England lebenden Kochbuchautors Yotam Ottolenghi machen, wenigstens aber zum Vordenker einer Generation.

Vielleicht ist es an der Zeit, von einem Tel-Aviv-Syndrom zu reden. Im Gegensatz zum Jerusalem-Syndrom wirkt es inspirierend und befreiend, vorurteilslos, offen nach allen Seiten, unentwegt auf der Suche nach dem Neuen. Während die Geschichte Jerusalems wie von einer zweiten Mauer umringt ist und die Konflikte des Nahen Ostens dort auf Schritt und Tritt spürbar bleiben, regiert in Tel Aviv, dem Land innerhalb des Landes, das absolute Jetzt. Als sei etwas in Erfüllung gegangen, für das es noch keine festen Regeln gibt.

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Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.

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