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Arne Göbbels, Produktionsleiter bei Steel Vintage Bikes, mit seinem "Bates"-Rennrad aus England.

© Thilo Rückeis

Fahrrad-Klassiker: Je älter, desto besser

Sammler schwören auf das Fahrgefühl von filigranen Rädern mit Stahlrahmen. Ein Berliner Laden versorgt die Szene mit Teilen und Rädern

Schlanker Stahl, blätternde Patina, glänzende Schrauben: Es ist schwer, sich der Faszination für das elegante Fanini-Rennrad „Super Artisan Road Bike“ zu entziehen, das im Schaufenster von Steel Vintage Bikes hängt wie ein Bild. Der Lenker weiß umwickelt, der Rahmen edel kupferfarben lackiert, ein klassisches Design von 1972. Auf den ersten Blick ist das Fanini ein Rad ganz ohne Schnickschnack.

Doch bei genauerem Hinschauen entdeckt der Kenner Details, die es unverwechselbar machen. „Die Schalthebel am Unterrohr wurden durchbohrt, um es leichter zu machen, die Rundungen der Sattelstütze wurden abgefräst, die Muffen ultraweit nach hinten gezogen“, sagt Arne Göbbels. „Das ist echtes Kunsthandwerk.“ Wer 2699 Euro lockermacht, darf es abhängen und mitnehmen.

Der Ruf des Ladens reicht bis weit über die Stadt hinaus

Göbbels ist Produktionsleiter bei Steel Vintage Bikes, einem Radladen mit Café und angeschlossener Werkstatt in Berlin-Mitte. Die Fahrräder und Zubehör sind hier regelrecht inszeniert. Neben den jahrzehntealten Drahteseln stehen passende Mützen und Schuhe in den Regalen, an den Wänden hängen signierte Trikots, von der Decke baumelt ein Kronleuchter aus Flaschenhalterungen, Ketten und Radkränzen. Ein riesiges Mosaik aus verschiedenfarbigen Schläuchen schmückt eine der Wände.

Der Ruf des Ladens reicht bis weit über die Stadtgrenzen hinaus. Gerade wird ein Rad versandfertig gemacht und großzügig mit Schaumstoff umwickelt. Es geht nach Belgien. Auch Radsportlegenden gehören zu den Kunden. „Wir hatten hier mal ein Rad von Eddy Merckx stehen, das haben wir später an Bradley Wiggins verkauft“, sagt Göbbels. Wiggins gewann fünfmal olympisches Gold, acht Weltmeistertitel und 2012 die Tour de France.

Das Fahrradcafé ist ein Anlauf- und Treffpunkt für all jene, die der „Goldenen Ära“ des Radfahrens anhängen, der Zeit zwischen 1930 und 1970. „Das war eine Zeit, in der die großen Rennradfahrer zu absoluten Stars geworden sind, zum Beispiel Gino Bartali und Fausto Coppi, die sich über Jahre hinweg große Duelle geliefert haben“, sagt Göbbels. „Außerdem hat sich Radfahren damals zum Volkssport entwickelt - man kann sich heute nicht mehr vorstellen, wie viele Leute früher bei Langstreckenrennen an der Straße gestanden haben.“

Kann heute kaum noch einer bedienen: Eine Campagnolo-Cambio-Schaltung aus den 40er Jahren.
Kann heute kaum noch einer bedienen: Eine Campagnolo-Cambio-Schaltung aus den 40er Jahren.

© Thilo Rückeis

„Alte Räder sind fragil, aber auch sehr elegant“

Neben den nostalgischen gibt es aber auch technische Gründe, warum diese Zeitspanne als „klassisch“ gilt: „Die Rennradtechnik war damals schon so weit entwickelt, wie wir sie heute kennen, danach gab es nur noch wenige technische Neuerungen“, so Göbbels. Das bevorzugte Material der „Goldenen Ära“: Stahl. In den letzten 20 Jahren wurde er durch Aluminium und Carbon verdrängt. Nun aber erlebt er ein Comeback, denn viele Radler schätzen die besonderen Eigenschaften des Metalls, weiß Göbbels: „Stahl verzeiht viel. Er besitzt eine gewisse Lebendigkeit und Eigendämpfung, beim Fahren wirkt das Fahrrad ein wenig wie eine Verlängerung des eigenen Körpers.“

Zwar sei die Kraftübertragung nicht ganz so gut wie bei Carbon, der Komfort mache das aber wieder wett, findet Göbbels. Weil Stahl schwerer ist als Aluminium, sind die Rahmen dünner: „Das fällt optisch sofort auf: Alte Räder sind fragil, aber auch sehr elegant.“ Die Diamant-Trapezrahmen, die bei Steel Vintage Bikes bewundert werden können, besitzen eine geometrische Klarheit, nach der man bei modernen Rädern lange suchen kann.

Das Molinari aus den 1940er-Jahren ist so ein klar konstruiertes Rad, es ist das älteste im Laden. Das liebevoll gepflegte Rennrad hat eine Campagnolo-Cambio-Corsa-Schaltung, eine heute fast vergessene und ausgesprochen eigenwillige Art der Kettenschaltung. Der Fahrer tritt dazu während der Fahrt rückwärts und greift hinter sich an einen Hebel, der den Schnellspanner des Hinterrades löst. Dadurch kann sich das Rad in seiner Halterung am Rahmen bewegen. Rutscht es nach vorn, lockert sich dadurch die Kette - und die zieht der Fahrer dann beim Treten auf ein höheres oder tieferes Ritzel. „Mit so einer Schaltung hat Gino Bartali seine zweite Tour de France gewonnen“, sagt Göbbels.

An der Wand und auf dem Boden: Rennräder im Laden.
An der Wand und auf dem Boden: Rennräder im Laden.

© Thilo Rückeis

Der 37-Jährige, der ein Hemd mit der Aufschrift „Eroica“ trägt - das steht für das Traditionsrennen auf den Schotterpisten Italiens -, entdeckte seine Liebe zu alten Rädern durch das Reparieren. In seiner Heimat am Niederrhein war das Rad sein Standardfortbewegungsmittel, nach und nach begann er, neben seinem eigenen auch ältere Modelle zu reparieren.

Mittlerweile werden die Ersatzteile knapp

Göbbels gehört zu einer kleinen, aber wachsenden Szene von Vintage-Begeisterten: Anfangs war Steel Vintage Bikes nur ein Online-Shop, der Sammler und Händler alter Räder zusammenbringen wollte. Das funktionierte so gut, dass vor einigen Jahren der Laden geöffnet wurde, damals noch am alten Standort in Friedrichshain. Das Café gehört fast von Anfang an dazu. Denn: „Die Leute sind gerne hergekommen, um sich hier eine Weile aufzuhalten und sich über Räder zu unterhalten“, sagt Göbbels.

Wie groß die Vintage-Szene ist, kann Göbbels nicht sagen. Seine Kundschaft sei sehr heterogen: „Die meisten sind zwischen 30 und 60 Jahren alt, sind selber lange Rad gefahren und haben einen gewissen romantischen Bezug dazu.“ Unter ihnen sind ältere Herren, die in ihrer Jugend Rennrad fuhren und sich gerne an die alten Maschinen erinnern, und professionelle Sammler auf der Suche nach ganz speziellen Einzelteilen.

Die Jagd nach historischen Ersatzteilen gehört zu den täglichen Aufgaben bei Steel Vintage Bikes. „Bestimmte Teile sind inzwischen richtig knapp, vor allem bestimmte Sattelstützen oder Bremshebel. Wenn man mal einen Sturz hat, kriegen die als Erstes was ab“, sagt Göbbels.

Vor ein paar Jahren, als der Vintage-Boom begann, war die Suche noch einfacher. „Man kam gut an alte Teile und Räder ran, weil plötzlich ein Bewusstsein dafür entstanden war, dass man diesen Schrott ja noch verkaufen kann“, sagt Göbbels. Als immer mehr Menschen begriffen, was für gesuchte Schätze sie im Keller stehen hatten, stiegen die Preise.

Was vor wenigen Jahren noch als Schrott galt, ist heute ein gesuchtes Schätzchen: Historische Ersatzteile sind immer schwerer zu bekommen.
Was vor wenigen Jahren noch als Schrott galt, ist heute ein gesuchtes Schätzchen: Historische Ersatzteile sind immer schwerer zu bekommen.

© Thilo Rückeis

25 Räder stehen im Laden, weitere 150 schlummern im Keller. „Das Mausoleum“, scherzt Göbbels und steigt hinab. Hinter einer Fotonische, in der die kostbaren Stücke für die Webseite des Ladens in Szene gesetzt werden, hängen in Reih und Glied Dutzende Fahrrad-Klassiker an der Wand. Göbbels nimmt ein schwarz lackiertes Rad herunter: „Das ist mein Lieblingsstück, ein Rad der Firma Bates aus England aus den 50er-Jahren.“ Er schwärmt von den verschnörkelten Muffen, den in der Mitte verdickten Rohren und von der s-förmig geschwungenen Gabel.

Das britische Fabrikat ist hier im Laden eher eine Ausnahme, die meisten Räder stammen von italienischen Marken: Colnago, Pinarello, Bianchi, De Rosa, Masi, Cinelli. Das Team hat sich auf italienische Firmen spezialisiert, darunter Kleinstunternehmen und Familienbetriebe, die nur geringe Stückzahlen hergestellt haben.

Viele Kunden sind auf der Suche nach ihrem Traumrad

Auch das hat mit der „Goldenen Ära“ zu tun. „In dieser Zeit gab es in Italien eine große Zahl an hoch qualifizierten Rahmenbauern - in der Gesamtschau waren die italienischen Räder zwischen 1930 und 1970 die besten der Welt“, sagt Göbbels. „In Frankreich und Großbritannien wurde zwar viel Pionierarbeit geleistet, aber die Perfektionierung des Rennrades hat in Italien stattgefunden.“

Viele Kunden wenden sich an Steel Vintage Bikes, weil sie auf der Suche nach ihrem Traumrad sind: Manche haben bereits den richtigen Rahmen und nun fehlen ihnen noch die Bremsen oder eine bestimmte Kette, von denen es kaum mehr Original-Exemplare gibt. Bei einem Kunden dauerte es über ein Jahr, bis das Team alle Teile für sein Rad zusammenhatte.

Angesichts dieser Umstände fragt man sich, ob so einzigartige und wertvolle Räder überhaupt guten Gewissens für das benutzt werden können, wofür sie eigentlich gedacht sind - nämlich Fahren. „Es ist eine Besonderheit in dieser Szene, dass alte Räder nicht nur gesammelt und gepflegt, sondern auch tatsächlich gefahren werden, das ist Ehrensache für viele Sammler“, sagt Göbbels. „Bestimmte Stücke holt man aber nur zu besonderen Gelegenheiten raus.“ Verständlich, schließlich möchte man das mühsam aufgebaute Rad nicht unnötigem Verschleiß aussetzen.

Göbbels kennt das Gefühl. Er besitzt selbst zwölf Räder, das älteste ist aus den 60er-Jahren, im Alltag fährt er aber meist ein Rad aus den 90er-Jahren - um die anderen zu schonen.

Steel Vintage Bikes. Wilhelmstraße  91, 10117 Berlin-Mitte, Tel. (030) 20 62 38 77, steel-vintage.com

Dieser Artikel stammt aus dem Magazin "Tagesspiegel Radfahren 2018/2019". Die neue Ausgabe 2019/2020 finden Sie hier im Shop.

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