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Neue Perspektiven.

© picture alliance / Wolfgang Kumm

Exiljournalisten in Europa: "Ich möchte selbst denken"

Wie Europa Neuankömmlinge verändert: Die Geschichte von Asmaa, einer jungen Frau aus Ägypten.

Dieser Text ist im Rahmen des Exiljournalistenprojekts #jetztschreibenwir entstanden. Das mehrfach preisgekrönte Tagesspiegel-Projekt, das von der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und der Robert Bosch Stiftung unterstützt wird, begann im Herbst 2016 mit einer ganzen Tagesspiegel-Ausgabe mit Texten von Exiljournalisten. Nach "Wir wählen die Freiheit" (September 2017) und "Heimaten" (Juni 2018) erscheint mit "Wir in Europa" (Mai 2019) die dritte Beilage, die von Exiljournalisten gestaltet wurde.

Jeden Morgen bindet Asmaa Salem ihr Kopftuch fest, bevor sie zu ihrer Arbeit fährt. So wie viele andere Frauen in Kairo, der Hauptstadt Ägyptens. Ihre beste Freundin hat nach dem Abitur begonnen Kopftuch zu tragen, denn sie hat von einem Imam gehört, dass erwachsene Frauen das Kopftuch tragen müssen. Sie überzeugt Asmaa, das auch zu tun.

Asmaa glaubt, dass der Islam der richtige Weg Gottes ist. Nur über den Islam selbst weiß sie nicht viel. Mit den islamischen Traditionen, mit dem Koran, mit der Sharia hat sie sich nie beschäftigt. Ab und zu geht sie mit ihrer Mutter zum Freitagsgebet in die Moschee. Freitag morgens lief zuhause die berühmte Stimme von Al-schaarawi, dessen Vorträge bei Freitagsgebet im staatlichen Fernsehen gesendet. Sie versucht sich daran zu halten und jeden Tag fünfmal zu beten, was ihr oft nicht gelingt. Im Ramadan fastet sie und liest ein bisschen aus dem Koran. So wie viele andere, nichts Besonderes. „Ich habe mir damals keine Gedanken darüber gemacht“, erzählt mir die 30 Jährige Asmaa in einem Café in Berlin.

Hier küssen sich die Menschen auf der Straße

In einem Sommer in Kairo trifft sie Marcus, ein Halb-Ägypter, Muslim, aus Berlin. Zwischen den Beiden funkt es. Er fährt zurück nach Deutschland, aber sie bleiben in intensivem Kontakt. Bald kommt er wieder zu Besuch, um Asmaa und ihre Familie näher kennen zu lernen. Die Beiden beschließen in Ägypten zu heiraten und danach in Berlin zu leben. Asmaa betet Tag und Nacht, dass alles klappt. Und es klappt. Sie feiert die Hochzeit zuhause, ohne weißes Kleid oder laute Musik, wie es in Ägypten sonst üblich ist.

Kurz danach nimmt sie Abschied von ihrer Familie und wenigen engen Freundinnen und zieht in den Südosten Berlins. Das ist inzwischen vier Jahre her. Zunächst lebt sie weiter wie in Kairo. Bis auf das Fleisch kauft sie Halal aus dem türkischen Geschäft. Und sie kauft nichts, was Gelatine enthält, weil es – wie sie gehört hat – Schweinegelatine ist. Es überrascht sie, dass Menschen sich auf der Straße küssen. „Ich habe mich sehr gewundert und meinen Mann gefragte, ob sie keine Scham haben? Er sagte mir, dass das hier normal ist.“

Eine muslimische Frau, ein christlicher Mann

So wie in Kairo hat Asmaa nicht viele Freunde. Für ihr Sprachzertifikat lernt sie allein zuhause. Sie langweilt sich und kommt auf die Idee erst mal als Kindermädchen in ihrer Umgebung zu arbeiten.

Zum ersten Mal kommt sie in Kontakt mit deutschen Familien. Die erste Familie besteht aus einer ägyptischen Frau, die mit einem christlichen Deutschen verheiratet ist, und ihren drei Kindern. „Ich habe mich total gewundert und fragte mich, welche Religion die Kinder dann haben.” In der Wohnung sieht Asmaa den Koran und die Bibel. Sie fragt den ältesten Sohn, woran er glaubt. Er sagt, er wird sich entscheiden, wenn er erwachsen wird, was Asmaa sehr verwundert.

Sie denkt immer mehr nach; Eigentlich sind die Kinder sehr respektvoll und sehr gut erzogen, obwohl sie noch an keine Religion glauben. „Da habe ich mich gefragt, warum darf eine Muslima keinen Christen heiraten? Sie haben doch ein gutes Leben, also scheint Gott scheint ja nicht wütend auf sie zu sein und der Mann hindert sie auch nicht ihre Religion zu praktizieren, sie trägt ja ein Kopftuch“, erinnert sich Asmaa.

Warum bin ich als Muslima geboren?

In Ägypten hat sie gelernt: Wenn man keine gute Beziehung zu Gott habe, lebe man unglücklich; die Muslime kämen ins Paradies und die „anderen“, die Christen, nicht. Nun ist sie selbst die „andere“. Sie erlebt, wie es ist, die einzige zu sein, die ein Kopftuch trägt, die an den Islam glaubt, die kein Schwein isst und keinen Alkohol trinkt. So wie sie lebt und glaubt, ist es nicht mehr selbstverständlich. Das bringt sie dazu, viel nachzudenken: Warum bin ich als Muslima geboren? Warum denke ich, dass wir Moslems besser als die anderen sind? Wäre ich als Christin geboren, hätte ich dann auch von oben auf die Moslems herabgeschaut? Was unterscheidet mich eigentlich von ihnen, was mache ich anders und warum?  

Und sie fängt an das hinterzufragen, was sie vom anderen unterscheidet: Stimmt es, dass man die Gelatine vom Schwein nicht essen darf? Dieses Mal fragt keinen anderen, sondern sucht die Antwort selbst im Koran. Sie findet, dass nur das Fleisch des Schweines verboten ist. Und was ist dann mit anderem Fleisch? Das geschlachtete Tier von Christ oder Jude sei genauso halal wie vom Muslim und die Türken schlachteten ja nicht anders als die Deutschen. Also isst sie überall Fleisch und sagt vor davor „Im Namen Gottes.“

Ist das Kopftuch eine Pflicht?

Langsam wird es in Berlin endlich warm und die Menschen laufen mit offenen Haaren und leichterer Kleidung herum. „Ich hatte das Gefühl, dass das Kopftuch einschränkend ist, ich will nicht mit langen Ärmeln im Sommer laufen. Und vielleicht ist es gar keine Pflicht im Islam.“ Innerlich wünscht sich Asmaa, einmal mit freien Haaren rumzulaufen, so wie alle anderen. Sie würde sich selbst gerne mal anders sehen. Sie diskutiert mit ihrem Mann darüber, der darauf besteht, dass das Kopftuch eine Pflicht im Islam sei und dass Asmaa es nicht ablegen solle. „Ich konnte ihm das Gegenteil nicht beweisen und dachte mir, gut, ich hole ihm einen Nachweis.“

Asmaa schreibt ins Suchfeld von Facebook: „Ist das Kopftuch eine Pflicht oder nicht?“ Dabei stößt sie auf eine Gruppe, die sich „die Aufgeklärten“ nennt. Sie kritisieren und korrigieren die islamische Tradition. Zwei Monate lang liest sie jeden Post und liest auf anderen Webseiten alles was sie findet, vergleicht und beobachtet wie die Leute reagieren. Da steht, dass die Aussagen des Propheten, auf denen viele Gesetze in die Scharia aufbauten, nicht ganz stimmten.

Langsam ist sie überzeugt: „Diese Aussagen wurden 200 Jahren nach dem Tod des Propheten gesammelt, es kann ja nicht sein, dass sie alle korrekt sind.“ Das bedeutet für Asmaa, dass sie die Vorschriften, die als Folge daraus entstanden sind, ablehnt, vor allem wenn sie dem Koran widersprechen. So was wie: Musik sei Haram, Hunde seien dreckig, Frauen dürften alleine nicht reisen. Und die Frau dürfte nur ihr Gesicht und Hände zeigen. In dem Koran stehe nur, dass sie ihr Körper bedecken solle.

Sie redet mit ihrem Mann noch mal über das Kopftuch. „Ich kann es schon ablegen, aber ich liebe mein Mann und will ihn nicht traurig machen. Er weiß, dass ich Recht habe, und braucht nur Zeit es zuzugeben.“ Als Kompromiss bedeckt Asmaa ihr Haar nur mit einer Mütze.

Sie fühlt sich wohl, wenn sie betet

Abends liest Asmaa weiter. Immer mehr Fragen und Themen fallen ihr ein, über die sie vor einigen Jahren nicht einmal nachgedacht hat. Warum gibt es keine Prophetinnen? Sind Religionen das Wort Gottes oder von Menschen gemacht? Wo ist Gott bei all den Kriegen? Warum pilgern wir? Was passiert nach dem Tod? Warum können wir es nicht wissen? Ist Gott da? Sieht er mich? Fühlt er mich? „Mein Gefühl sagt, er ist da.“ Sie fühlt sich immer noch wohl, wenn sie betet. Wenn sie dabei mit Gott spricht.

Je mehr sie liest, desto mehr findet sie sie in der islamischen Religion und in den Aussagen der islamischen Gelehrten viele Widersprüche, Ungerechtigkeiten und Unverständliches. Sie stößt auf Aussagen von Al-schaarawi – dessen Rede ein normaler Teil ihres Freitagsmorgens in Kairo war – die mit dem Koran im klaren Widerspruch stehen. „Der Al-schaarawi gilt als heilig. Aber ich fragte mich; wer ist er? Ein normaler Mensch, der sich auch mal irrt.“ Daher lehnt sie es ab, die islamischen Gelehrten als heilig zu betrachten. Jeder habe das Recht, selber die Religion zu verstehen, das dürften nicht nur die islamischen Gelehrten machen.

Asmaa findet die Veränderungen positiv

Immer mehr verändert sich Asmaas Glaube und damit ihr Alltag. Sie gibt Männern die Hand, um sie zu begrüßen. Im Ramadan bricht sie tagsüber das Fasten, wenn sie es nicht schafft. Inzwischen macht Asmaa eine Ausbildung zur Sozialarbeiterin und arbeitet nebenbei.  Zuhause läuft seit einiger Zeit auch anders: Sie teilt mit ihrem Mann die Finanzen und den Haushalt.

„Ich habe nie gedacht, dass ich mich so verändern würde. Das wäre mir in Ägypten nicht passiert, obwohl viele in dieser Gruppe „die Aufgeklärten“ noch in Ägypten leben.“

An sich findet Asmaa diese Veränderung positiv und sie hat ein gutes Gewissen. „Ich bin toleranter mit mir und mit den anderen geworden. Ich akzeptiere alle Menschen, egal ob sie Muslime, nicht Muslime oder Homosexuelle oder nicht. Damit fühle mich damit wohl.“ Denn sie habe selber gesucht, gelesen und nachgedacht, bis sie das erreicht habe, woran sie wirklich glaubt. Sie sei kein Teil der Herde. Sie wolle nicht mehr der Mehrheit folgen und niemanden vorverurteilen. Für ihre zukünftigen Kinder will sie es auch nicht. „Ich möchte, dass sie selber denken, selber suchen und die Antwort selber finden. Mann kann Gott sowieso über verschiedene Wege erreichen.“

"Für meine Meinungen werde ich beschimpft"

Über ihre Veränderungen redet Asmaa am liebsten mit ihrem Mann. Nun wenn sie denkt, sie könne ihn damit nicht überzeugen, behält sie ihre Ideen erst mal für sich. Sonst hat sie hier ein paar deutsche Verwandte, die sie akzeptieren und respektieren wie sie ist. Mit ihren wenigen Freundinnen hier und aus Ägypten redet sie auch nicht darüber. Sie hat Angst, dass sie sie ablehnen oder ihr Vorwürfe machen. Sie würde es gerne ihren Geschwistern erzählen, aber das schaffe sie nicht. „Ich fürchte, sie wären sauer auf mich und meine Beziehung zu ihnen würde sich verschlechtern.“ Keiner solle sich Sorgen um sie machen, dass sie den Weg Gottes verloren habe.

Sie kommuniziert nur manchmal Posts auf Facebook. „Für meine Meinungen wurde ich schlimm beschimpft. Oder man sagt so was wie „Du bist ja kein Imam“ und „bitte schreibe selber keine Fatwa. (islamischer Gesetz)“ Keiner diskutiere, sie griffen nur an. In Ägypten akzeptiert man sowieso keine andere Meinung, sagt Asmaa. Das sei ihr aber egal, Hauptsache, sie sage, was sie für richtig hält. Sie freut sich, in unserem Gespräch ihre Meinung sagen zu können. Asmaa wünscht sich, mal normal mit allen darüber reden und austauschen zu können. Und sie wartet auf den Tag, in dem sie morgens mit offenen Haar aus der Haustür rausgeht.

Hend Taher

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