zum Hauptinhalt
Das erste Mal. Ein Sex-Shop ist längst längst keine Attraktion mehr. 1962 war das noch anders, da eröffnete Beate Uhse in der Angelburger Straße in Flensburg den ersten Sex-Shop der Welt.

© akg-images/IMAGNO/Votava

Erotik-Konzern Beate Uhse in der Krise: Der Abstieg des Sexshop-Imperiums

Beate Uhse gilt als letzte Legende der Gründerjahre der Bundesrepublik. Nach ihrem Tod ging es mit der Firma bergab. Offiziell reden will darüber niemand. Aber geflüstert wird viel.

Sie hatte sich immer einen schönen Tod gewünscht, am liebsten wäre sie mit ihrem Flugzeug abgestürzt. Einfach aus allen Wolken fallen. Aber Beate Uhse starb an den Folgen einer Lungenentzündung. Das war im Sommer 2001.

Sie hinterließ 7000 erotische Produkte, Puristen würden von Pornografie sprechen.

In ihrem Sterbejahr 2001 betrieb die „Generalin der Lustwaffe“ 108 Sex-Shops in Deutschland, 118 weitere in 13 europäischen Ländern. Nicht nur die Engländer hatten Angst vor ihrem unstillbaren Hang zur Expansion: „Britain faces Sexkrieg“, meldete die „Times“. 1120 Beschäftigte weltweit arbeiteten 2001 für den Konzern. Beate Uhse hatte 2000 Ermittlungs- und 700 Strafverfahren überstanden, sie überstand auch ihr Porträt in der „Emma“ 1988: „Mit 25 fliegt sie Stukas an die Front. Für Hitlers Luftwaffe. Mit 69 verkauft sie Frauen. Für 90 Millionen im Jahr.“ Nur 90 Millionen?

320 Millionen Mark Umsatz waren es in ihrem Todesjahr.

Beate Uhse hat es sehr bedauert, sterblich zu sein und hielt es wohl auch für ein wenig unpassend. Aber das ihr Unternehmen, anders als sie, tendenziell unsterblich ist, daran hat sie geglaubt. Es kommt vermutlich anders.

Reingehen oder nicht reingehen?

Im Schaufenster des „Beate Uhse“-Ladens in der Oranienburger Straße, Berlin-Mitte, steht ratlos eine Puppe in roten Dessous. Das muss einer dieser neuen „Soft-Shops“ sein, denn als Heimwerkermarkt der Lust wie früher geht heute nichts mehr. Auch will man Frauen die Schwellenangst nehmen, schließlich war Beate Uhse selber eine Frau. War sie? Rote Dessous. Es fällt noch immer schwer, sich die Firmengründerin in diesem Outfit vorzustellen, und bekommt man das bei „H&M“ nicht längst preiswerter? Daneben meldet ein kleines Schild: „Suchen Mitarbeiter als Minijobber!“ Nein, so geht das nicht.

Es gibt keine Höhepunkte auf Minijobbasis. Verrucht klingt anders.

So kann man Brötchen verkaufen, aber doch keine Verausgabungen. Wo, wenn nicht hier, sollte man das wissen? Vielleicht hat es ja doch seine Folgerichtigkeit, dass der Erotikkonzern „Beate Uhse“ im vergangenen Dezember Insolvenz anmelden musste.

Shariagerechte Erotika? Sie wäre begeistert gewesen

Zuletzt hatte er es noch mit „schariagerechter Erotik“ versucht. Dem Sohn eines marokkanischen Schreiners, wohnhaft in Amsterdam, war bei der Wallfahrt nach Mekka eine sehr spezielle Unternehmensidee gekommen: ein Sexshop für Muslime! 1,8 Milliarden Menschen! Beate Uhse wäre begeistert gewesen, ihre Nachfolger unterzeichneten beherzt einen Kooperationsvertrag mit dem von seinen Leisten abgekommenen Sohn eines Tischlermeisters. In schariagerechten Erotika, soweit erlaubt, wird garantiert kein Alkohol und kein Schweinefett verwendet, aber gerettet hat es das Unternehmen trotzdem nicht. Die Muslime sind wohl noch nicht so weit.

Und nun hüllt es sich in ein tiefes, undurchkreuzbares Schweigen. Die Filialleiterin in der Oranienburger ist seit 22 Jahren bei Beate Uhse, da klingt durchaus ein Mitteilungsbedürfnis aus ihrer Stimme am Telefon. Aber sie darf nicht. Im Bett und im Grab reden die Leute nicht viel. Es ist wohl eine Grabes-, keine Luststille, die das Unternehmen jetzt umgibt.

Man könnte jetzt immer so weiter denken, draußen vor dem „Beate-Uhse“-Laden in der Oranienburger. Er hatte erst im November 2016 eröffnet. Aber reingehen ist unmöglich: Da ist keiner im Laden! Donnerstagnachmittag, Feierabendzeit, die Stunde, um sich noch etwas vorzunehmen. Aber alle Passanten gehen vorüber.

1997 wurde Beate Uhse von der deutschen Erotik-Industrie für ihr Lebenswerk mit dem "Venus Award" ausgezeichnet.
1997 wurde Beate Uhse von der deutschen Erotik-Industrie für ihr Lebenswerk mit dem "Venus Award" ausgezeichnet.

© Nestor Bachmann/p-a/dpa

Ein Sex-Shop ist keine Attraktion mehr. 1962 war das noch anders, da eröffnete die erfolgreiche Versandhändlerin Beate Uhse in Flensburg den ersten Sex-Shop der Welt. Die Leute werden uns die Scheiben einwerfen!, barmten ihre Mitarbeiter. Ach was, antwortete sinngemäß die Chefin: Wir eröffnen am 23. Dezember, da werfen anständige Menschen keine Scheiben ein, da gehen sie einkaufen.

In einem gut geführten Sex-Shop wird jeder Gast persönlich begrüßt und umgehend nach seinen Wünschen befragt. Alles, was man überall sagen kann, klingt hier latent unaufrichtig: Etwa, dass man wunschlos glücklich sei oder nur mal schauen wolle.

„Es heißt nicht Sex-Shop, es heißt Erotik-Fachgeschäft!“, korrigiert die vormalige Erotik-Minijobberin Tatjana S.: „Sex-Shops haben Kinos oder Video-Kabinen und oft eine etwas mitgenommene Kundschaft. Wir nicht.“ Ihr Freund Torsten M. bestätigt das. Es ist etwas wie ein kleiner Porno-Gipfel in einem Friedrichshainer Straßencafé, ein Sachverständigen-Treff mit Berichterstatterin. Sie war bei „Orion“, dem Unternehmen von Beate Uhses Sohn Dirk Rotermund, das auch zu wenig Optimismus Anlass gibt, er selbst beim „Mutter“-Haus. Wenn schon die Firma nicht reden will, so wissen vielleicht die beiden Insider, was die Stunde geschlagen hat.

Als Torsten M. sein Harzer Heimatdorf verließ, um in einer niedersächsischen Stadt Philosophie und Germanistik zu studieren, streifte er den örtlichen Beate-Uhse-Laden und fing sofort an. Das war 2005, das Jahr des größten Umsatzes überhaupt. 285 Millionen Euro.

"Na, kann ich dir helfen?"

„Ich wundere mich noch immer, dass die mich genommen haben. Eigentlich wollen sie nur Frauen“, sagt Torsten M. Seine Freundin erläutert das: Wenn ein Mann hinter einem Sex-Shop-Tresen eine Frau vor einem Sex-Shop-Tresen fragt „Na, kann ich dir helfen?“ sei das kein vielversprechender Beginn eines Verkaufsgesprächs. Männer dagegen können es schätzen, solche Erkundigungen von einer Frau entgegenzunehmen und scheuen gewöhnlich keinen Expertendiskurs.

„Ich wirkte damals wohl ziemlich androgyn, rotgefärbte Haare, Piercings, skinny Jeans, gerade 18 Jahre alt, also irgendein Zwischenwesen“, überlegt Torsten M. Seine Freundin hebt ihr Weißweinglas in die Nachmittagssonne zum Zeichen, dass er ihr schon damals gefallen hätte. Zwei Sexperten. Sie reden zum ersten Mal über ihr erstes Mal, also über ihren ersten Tag im Erotik-Fachhandel.

Zuerst hospitieren, dann die Einweisung: „Hier sind die Füße, da die Fetische, hier ist Latex! Eigentlich war’s das schon!“ Plus eine kleine Einführung in Material-, Allergie-und Hygienekunde zur Weitergabe an die Kunden, ganz wichtig: Wie reinige ich einen Vibrator? Keine Laugen, keine scharfen Putzmittel!, erklärte Torsten M. seinen Kundinnen und fasste sie dabei fest ins Auge. Einem bestimmten Typus Frau, das glaubt er noch immer, müsse man das sagen. Nach einem Tag „Probe“ stand der Philosophiestudent schon allein im Laden. Nein, vom Jahr des größten Umsatzes habe er nichts gemerkt, allerdings war der Shop nur das Anhängsel des Versandhandels, und der ging gut.

Zwei Zielgruppen sind definitiv weg, sagt Tatjana S. Zum einen die Patientinnen-Fraktion, die errötend und dennoch entschlossen den Laden betrat: „Bin ich bei Ihnen richtig? Mein Gynäkologe hat mich beauftragt, den Beckenboden zu trainieren. Ich soll bei Ihnen nach diesen Gymnastik-Kugeln fragen.“ Manchmal sagten sie sogar „Rin-no-tama“. Das ursprüngliche japanische Wort für die Perlen der Lust war ihnen leichter auszusprechen. Heute entscheidet die Patientin im Internet, ob sie schon bereit ist für das Modell „goddess“, „231g für Fortgeschrittene, sicheres Rückholband“, oder doch noch eine Anfängerinnenvariante bevorzugt.

Vor allem aber fehlen die Männer, die noch kurz vor Ladenschluss kamen, mit hochgestellten Mantelkragen in der Film-Ecke verschwanden, mit dem Ausdruck Ich-bin-gar-nicht-da an die Kasse traten, die Shop-Tüte sofort noch in eine andere steckten. Das Sexperten-Paar lacht: „Wir hatten noch VHS-Kassetten!“

Vielleicht kann man den Zeitsprung, den Zeitsturz seitdem gar nicht präziser fassen. Die früheren Umtüter justieren ihr leib-seelisches Gleichgewicht inzwischen online. Keine Verlegenheiten mehr, nicht die der Verpackung, nicht die der Versandadresse, nicht einmal die der Kosten. Und wer hat das kommen sehen? Beate Uhse.

Dass das Geschäft der Zukunft im Internet stattfinden wird, hat sie Anfang der 90er geahnt, vielleicht als die erste ihrer Generation. „Wer stehen bleibt, wird überrundet“, stellte sie fest, unternahm mit ihrer Firma bereits 1995 erste Gehversuche im Netz und wurde umgehend zur „Frau des Jahres im Internet“ gewählt.

Kurz vor ihrem Tod im Sommer 2001 erlebte Beate Uhse den letzten Triumph: ein eigenes Erotik-Programm bei „Premiere World“ , das erste Sex-TV in Deutschland. Es gab Soft-Pornos schon zum Frühstück. Sie fand das großartig. Und nach dem Börsengang 1999 war die „scharfe Spaßaktie“ innerhalb weniger Tage 63-fach überzeichnet. An ihrem Todestag fiel sie um sechs Prozent, vielleicht aus Pietät, aber später nahm sie die Fortbewegungsgeschwindigkeit des freien Falls an.

Frauen blieben ihr immer ein Rätsel

Mag sein, der Pilot und Fluglehrer Hans-Jürgen Uhse würde vorm‘ Angesicht der Ewigkeit erblassen, wüsste er, was nun schon seit fast 70 Jahren seinen Namen trägt. Und das nur, weil er die junge Fliegerin, die alle nur „Maxe“ nannten auf dem Flugplatz in Rangsdorf, eines Tages aufforderte, mit ihm essen zu gehen. Am 30. Mai 1944 kollidierte der Staffelkapitän der „Hellen Nachtjagd“, der amerikanische Flugzeuge beim Anflug auf Berlin abschoss, mit einem anderen Jäger. Die Pilotin, Mutter und Witwe Beate Uhse, 24 Jahre alt, wählte eine eigenwillige Form der Trauer. Sie meldete sich beim Überführungsgeschwader Mitte und flog im Rang eines Hauptmanns der Luftwaffe zunächst Schulungsflugzeuge, dann auch Jäger an die Front.

Männer wissen, was sie wollen, Sex etwa, sie sind recht überschaubar organisiert, das machte sie ihr verwandt. Frauen dagegen blieben ihr immer ein Rätsel, eine wirkliche Freundin hatte sie nie.

Beate Uhse hielt ihren weiblichen Kritikern entgegen: „Der Wurm, der an der Angel hängt, muss nicht dem Angler schmecken, sondern dem Fisch.“ Später wurde der Köder, also die Frau, zur Hoffnung des Unternehmens.
Beate Uhse hielt ihren weiblichen Kritikern entgegen: „Der Wurm, der an der Angel hängt, muss nicht dem Angler schmecken, sondern dem Fisch.“ Später wurde der Köder, also die Frau, zur Hoffnung des Unternehmens.

© Christian Charisius/p-a/ dpa

Sie verstand auch nicht, warum die Feministinnen sich so feindselig betrugen. Aber sogar Männer beschwerten sich, warfen ihr „Verdinglichung des Sexuellen“ vor, sie habe ihm sein subversives Potenzial geraubt. Was wollten diese Spinner von ihr? Die Frau, die mit 76 Jahren ihren ersten Tiefseetauchkurs machte, hat nie Adorno gelesen. Ihr Geschmack war nur schwer zu beleidigen, Obszönität war ihr keine Kategorie, überhaupt nichts mit zu vielen Variablen. Verdinglichung des Sexuellen!

Sie antwortete ihnen: „Der Wurm, der an der Angel hängt, muss nicht dem Angler schmecken, sondern dem Fisch.“ Umso schlimmer, antworteten sinngemäß die Kritiker: Der Wurm ist die Frau. Fisch und Angler aber sind: der Mann.

Ob Beate Uhse verstanden hätte, dass der Köder einmal die letzte Hoffnung der Firma sein würde? Die Frau, ein Wesen mit ziemlich vielen Variablen also. Es ist noch nicht lange her, da verschwanden die D-oder E-Cups von den Titelseiten der Kataloge, die Videokabinen wurden abgebaut, die Läden wurden heller und freundlicher. Das war die Geburtsstunde der Softshops. Zu spät? Über die Hälfte der Kunden in den Shops sind inzwischen weiblich, bestätigen Tatjana S. und Torsten M.: Mal anfassen, mal rumgucken, mal stöbern, mal anprobieren. Alles, was Männer nicht gern machen.

Die junge Pilotin erkannte eine Chance

Vielleicht wäre die Rückkehr zur Frau auch eine zu den Ursprüngen des Unternehmens geworden. Die Fliegerin Beate Uhse, die am 8. Mai 1945 mit ihrer ganzen Staffel in britische Kriegsgefangenschaft geraten war und danach mit ihrem Sohn Klaus im nordfriesischen Dorf Braderup Zuflucht gefunden hatte, hörte die Gespräche der Frauen. Sie mussten ihre Kinder und ihre heimkehrenden Soldatenmänner durch die Nachkriegszeit bringen. Was sie jetzt gar nicht wollten, waren Kinder. Und die junge Pilotin, die alles verloren hatte, ihren Mann, ihre Eltern, ihre Heimat, erkannte eine Chance. Sexuelle Aufklärung galt dem weiblichen Zartsinn bislang als unzumutbar. Beate Uhse beschloss, das zu ändern. Sie verfasste die Schrift X. Frauen, berechnet eure unfruchtbaren Tage nach der Knaus-Ogino-Methode! Vier Seiten. Sie wusste jetzt, wie sie ihren Sohn durchbringen würde.

Als ihr Kind den ersten Nachkriegsluftballon in der Hand hielt, ahnte sie, was sie als nächstes anbieten würde: Kondome. Mit ihrer neuen Liebe Ernst-Walter Rotermund lebte sie nun bald im Pfarrhaus der Flensburger Marienkirche, das so zur ersten Beate-Uhse-Versandzentrale wurde. Die Marien-Gemeinde besaß die Größe, an dem schönen roten Backsteinhaus eine Erinnerungstafel für die langjährige Mieterin anzubringen. Aber sonst sind die Spuren der Beate Rotermund rar geworden in Flensburg.

Der große Firmensitz in der Gutenbergstraße, von den Flensburgern beherzt „das Sex-Eck“ genannt, liegt verwaist da. Zur Einweihung 1969 hatte der Oberbürgermeister noch festgestellt: „Flensburg hat zwei Unternehmen mit weitreichender Bedeutung: das Kraftfahrtbundesamt und Beate Uhse.“ Vorbei. Ein, zwei Büros hält das Unternehmen wohl noch im Haus, auch von dort die Nachricht: kein Kommentar.

B-e-a-t-e U-h-s-e. Erotisch klingt anders. „Rotermund“ dagegen schon, wie sie die längste Zeit ihres Lebens hieß!

Die Aktie ist bald wohl nur noch ein Andenken

Doch den Namen Beate Uhse kennen noch immer 99 Prozent aller Deutschen. Die Frau und ihr Unternehmen haben ein Stück Kulturgeschichte der alten Bundesrepublik geschrieben. Mit ihr geht die letzte Legende der wirtschaftlichen Gründerjahre dieses Landes unter. Und ist zugleich ein bisschen gerettet.

Zwar ist die Beate-Uhse-Aktie wohl bald nur noch ein Andenken, aber der Investor Robus Capital, spezialisiert auf notleidende Anleihen, hat das insolvente Unternehmen im Frühjahr für 700.000 Euro gekauft – es war mal 23 Millionen wert – und ihm schon ein Massedarlehen von 7,5 Millionen gewährt. Sogar "Beate Uhse" bekommt noch eine zweite Chance. Die Konkurrenz aber ist allgegenwärtig und: jünger.

Genau neben dem Beate Uhse-Laden in der Oranienburger Straße offeriert hinter riesigen Schaufenstern die „Fun Factory“ Objekte futuristischer Formgestaltung, die die meisten Passanten ratlos lassen. Und dann lesen sie: „The search is over“. Welche Suche? Sieht so aus, was auf die Heimwerker-Märkte der Lust folgt? „Komm jetzt“, sagt eine Frau zu ihrem Mann, „das ist Computerzubehör, das brauchen wir nicht.“ Er hat einen Blick, als wüsste er es besser.

Zur Startseite