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Im Blick der Marssonde: Die unter Leitung von Gerhard Neukum entwickelte Stereokamera sendet regelmäßig Daten zur Erde, die am Institut für Geologische Wissenschaften der Freien Universität ausgewertet werden.

© Freie Universität/DLR

Erinnerung an Gerhard Neukum: Der Marsmensch

Ihm verdanken wir, dass wir uns heute ein genaues Bild vom Roten Planeten machen können. Nun wurde ein Mars-Krater nach dem 2014 verstorbenen Weltraumforscher Gerhard Neukum benannt.

Die Region Noachis Terra ist dicht mit Kratern übersät und liegt im Hochland des Mars. Am Boden eines der Einschlagskrater hat sich ein charakteristisches, dunkles Dünenfeld gebildet. Womöglich war der Krater einmal vergletschert, denn an seinem inneren Rand sind Rutschungen und mögliche Schuttströme zu erkennen. Mehr als 100 Kilometer misst der Trichter im Durchmesser. Wäre er auf der Erde und nicht auf dem Mars, man müsste ihn geografisch südlich von Afrika suchen, dort wo Indischer Ozean und Atlantik aneinandergrenzen.

Im Herbst 2017 hat die International Astronomical Union (IAU) eben jenen Einschlagskrater auf dem Mars nach dem 2014 verstorbenen Planetenforscher Gerhard Neukum benannt, nun wurde an diese Ehre erinnert und dem verstorbenen Professor der Freien Universität ein internationales Gedächtniskolloquium gewidmet. Wissenschaftler aus Paris und Münster, von der Europäischen Weltraumagentur (ESA) und dem Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR), sowie eine Wissenschaftlerin aus Oslo referierten an der Freien Universität zu Themen, die Neukum beschäftigt hatten.

„Wir investieren in die Zukunft von Generationen von Wissenschaftlern, die kommen werden. Und wir bereiten vielleicht den Boden für jemanden, der eines Tages zum Mars fliegt“, so hatte der Planetologe stets die hohen Kosten für Forschungsprojekte und Missionen in der Raumfahrt verteidigt. Neukum, von 1997 bis zu seinem Tod Professor am Institut für Geologische Wissenschaften der Freien Universität Berlin, war einer der bekanntesten deutschen Weltraumforscher.

Ein leidenschaftlicher Forscher: Professor Gerhard Neukum
Ein leidenschaftlicher Forscher: Professor Gerhard Neukum

© David Ausserhofer

Seine Methode zur Altersbestimmung wird heute weltweit angewendet

Und er war ein Forscher, der sich begeistern konnte: Wenn er erzählte, wie er als junger Wissenschaftler in Cape Canaveral auf der Gästetribüne gesessen und gesehen, nein, gespürt hatte, wie die Saturn-Rakete der Apollo-14-Mission über einem Feuerball in die unendlichen Weiten des Alls abhob, um den Mond zu erkunden, dann war sein Enthusiasmus greifbar, der ihm die Energie gab, sich an Problemen festzubeißen und für seine Ideen zu kämpfen. Schon als junger Forscher treibt ihn eine Frage um, die ihn bis zu seinem Tod beschäftigen wird: Warum hat noch niemand die Krater auf den Planeten und Monden unseres Sonnensystems gezählt? Denn je länger eine Oberfläche dem Bombardement von Meteoriten, Asteroiden und Kometen ausgesetzt ist, desto älter muss sie sein. Auf diese Weise, so Neukums Idee, sollte das geologische Alter der Oberflächen von Himmelskörpern berechnet werden können. Hat man auch noch Gesteinsproben von diesen Oberflächen – wie das etwa beim Mond der Fall ist – lässt sich das Alter auch in absolute Zahlen umrechnen.

Gerhard Neukum widmet sich dieser Aufgabe und entwickelt eine Methode zur Altersbestimmung der Körper im Sonnensystem. Wie alles Neue wird auch seine Hypothese in der Fachwelt zunächst kontrovers diskutiert; letztlich setzt sich seine Methode jedoch durch, sie wird heute weltweit angewendet.

Als der Eiserne Vorhang fällt und in Berlin-Adlershof Forscher aus Ost und West zusammenarbeiten, wittert Neukum eine große Chance: Als neuer Direktor des heutigen Instituts für Planetenforschung nimmt er Kontakt mit der russischen Weltraumbehörde auf und entwickelt für deren Mission zum Mars in Kooperation mit dem Luftfahrtkonzern EADS sowie den Firmen Lewicki microelectronic GmbH und Jena-Optronik eine hochauflösende Stereokamera. Sie soll eine vollständige Kartierung des Mars in Farbe, dreidimensional und mit einer hohen Auflösung von zwölf Metern pro Bildpunkt ermöglichen.

Ans Aufgeben dachte er nie

Doch wenige Stunden nach dem Start der Proton-Trägerrakete am 16. November 1996 versagt noch in der Erdumlaufbahn die zweite Zündung der vierten Raketenstufe, die die Sonde auf ihre interplanetare Flugbahn hätte bringen sollen. „Wenn einem knapp zehn Jahre Arbeit unter den Fingern wegbrechen, muss man das erstmal verkraften“, sagt Professor Ralf Jaumann, langjähriger Mitarbeiter Neukums: „Ans Aufgeben dachte er aber nie: Mission fehlgeschlagen? Dann versuchen wir es eben nochmal!“ Nach dem Absturz der Mars-96-Sonde entwickelt die Europäische Weltraumagentur (ESA), nicht zuletzt dank der Überzeugungskraft Neukums, eine eigene Mars-Mission: Mars Express erreicht 2003 den Nachbarplaneten mit dem Reservemodell der Stereokamera: Sie erfasst die Oberfläche mit neun Kanälen und nimmt so jeweils in rotem, blauem, grünem und infrarotem Licht und gleichzeitig noch aus verschiedenen Blickwinkeln die Landschaft auf. Inzwischen hat Mars Express den Planeten mehr als 17 000 Mal umkreist und noch immer liefert Neukums Kamera bislang unbekannte Eindrücke von der Mars-Oberfläche.

Der Datenstrom der Kamera hat in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von neuen Erkenntnissen hervorgebracht. Dazu gehören wichtige Arbeiten von Wissenschaftler-Teams aus der ganzen Welt, die Gerhard Neukums Methode zur Oberflächendatierung nutzen, um einst aktive geologische Prozesse auf dem Mars in einen zeitlichen Kontext zu setzen. An der Freien Universität werten seit 2004 etwa 20 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Aufnahmen der Sonde aus. Ihr Ziel: Bis zum Jahr 2020 soll der Mars vollständig kartiert sein. Gerhard Neukum hätte sich gefreut, das zu hören.

Zurück zum Mond, war seine Devise

Doch nicht nur für die Mars-Erkundung hatte Neukum Visionen. Zurück zum Mond war seine Devise, seit er sich in seiner Dissertation zum ersten Mal mit Einschlagskratern auf dem Erdtrabanten beschäftigt hatte. „Wir haben das Know-how, wir haben das Geld, wir müssen es machen“, sagte Neukum 2009 in einem Interview über ein mögliches deutsches Mondprogramm. Ob es um das genaue Alter des Mondes ging, seine chemische und mineralogische Zusammensetzung – er wollte es genauer wissen: „Apollo hat uns geholfen, die richtigen Fragen zu stellen – nun müssen wir endlich auch die Antworten finden“, forderte er. Der von ihm vorgeschlagene Arbeitsschwerpunkt Mond findet heute seine Umsetzung im Sonderforschungsbereich (SFB) Transregio-170, der zum 1. Januar 2016 an der Freien Universität unter Beteiligung zahlreicher deutscher Forschungsinstitutionen eingerichtet wurde. In dem SFB untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Entwicklung von Erde, Mond und anderen Planeten im inneren Sonnensystem vor 4,5 bis 3,8 Milliarden Jahren. Dabei kommt auch die von Gerhard Neukum entwickelte Methode zur Altersbestimmung planetarer Oberflächen zum Einsatz.

Neukum-Krater: Der 102 Kilometer große Einschlagskrater auf dem Mars wurde im September vergangenen Jahres nach dem renommierten Planetologen benannt.
Neukum-Krater: Der 102 Kilometer große Einschlagskrater auf dem Mars wurde im September vergangenen Jahres nach dem renommierten Planetologen benannt.

© Freie Universität/DLR

Von 1991 bis 2014 war der Weltraumwissenschaftler außerdem Mitglied im Kamerateam der internationalen Raumsonde Cassini-Huygens zur Erforschung von Saturn und seinen Monden. Die von ihm gegründete Arbeitsgruppe an der Freien Universität hat bis zum Eintauchen der Sonde in die Atmosphäre des Saturn im vergangenen September die Kamerabeobachtungen der Cassini-Sonde an den äußeren Saturnmonden geplant.

Ebenfalls bis 2014 war Neukum Mitglied im Wissenschaftsteam der Dawn Mission zur Erforschung des Asteroidengürtels, einer Ansammlung von kleinen Himmelskörpern in unserem Sonnensystem, die sich zwischen den Planetenbahnen von Mars und Jupiter befindet. Die Mission ist ebenfalls in der Fachrichtung Planetologie und Fernerkundung der Freien Universität angesiedelt.

Gerhard Neukum ist also nicht nur ein Marsmensch gewesen – er war im gesamten Sonnensystem zu Hause.

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