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"Das wochenlange Fertigmachen hatte seine Spuren hinterlassen. Sie wollte nur noch weg."

© Getty Images/iStockphoto

Erfahrungsberichte zu Mobbing an Schülern: Wann ist es ein Konflikt, wann ist es Mobbing?

Vielen Schülern, Eltern und Lehrern machen Hetze und Herabwürdigung im Alltag zu schaffen. Eine Lehrerin und die Großmutter einer Betroffenen berichten.

Die Lehrerin

Mobbing kommt an jeder Schule vor. Ich werde skeptisch, wenn Schulen behaupten, bei ihnen gäbe es keine Fälle. Meine Schule trägt das Siegel „Schule ohne Mobbing“, das bedeutet aber nur, dass wir uns den Kampf gegen Ausgrenzung auf die Fahnen schreiben. Der Verein Contigo hat uns das Siegel vor fünf Jahren verliehen, nachdem Trainer das Lehrerkollegium zum Thema Mobbing geschult hatten. Einige von uns wurden über mehrere Tage zu Ansprechpartnern für die Schule ausgebildet, unter anderem ich. Mir hat das Training sehr geholfen. Vorher war ich nervös vor Konfliktgesprächen mit Eltern und Kindern, Dozenten in der Uni haben mit uns nie über Mobbing gesprochen.

Für Lehrer ohne Erfahrung ist es nicht leicht, zu differenzieren, wann ein normaler Schülerkonflikt vorliegt und wann Mobbing, wann es um Ärger auf dem Schulhof geht und wann wirklich um eine Gruppe, die über einen längeren Zeitraum einen Mitschüler schikaniert. Als Lehrerin bekomme ich ja auch nicht alles mit. Ich habe schon Schüler erlebt, die still und unauffällig im Unterricht saßen und in der Pause lauthals gegen andere schossen. Das Training hat mir einen Leitfaden an die Hand gegeben, der mir hilft, in der jeweiligen Situation die richtigen Schritte einzuleiten. Zum Beispiel versuchen wir, Ausgrenzung immer auf Schülerebene zu besprechen, anstatt die Eltern hinzuzuziehen.

Denn Eltern stellen sich tendenziell hinter ihr Kind. Mit ihrem Beschützerinstinkt weiten sie den Konflikt aber womöglich aus, ziehen andere Eltern hinzu oder bringen einen Machtanspruch ein, den sie etwa aus ihrem Job kennen. Um den Konflikt zu lösen, nutze ich ein Verfahren, das sich No-Blame-Ansatz nennt. Auf Schuldzuweisungen und Strafen wird verzichtet. Stattdessen entwickle ich mit einigen Mitschülern konkrete Ideen, wie jeder Einzelne dafür sorgen kann, dass ausgegrenzte Schüler wieder gern zur Schule kommen. Am Anfang waren viele Lehrer im Kollegium skeptisch, aber es ist faszinierend: Die Methode funktioniert fast immer.

Johanna Voss, 35, ist Lehrerin an Grundschule und Gymnasium in Potsdam

"Sie wollte nur noch weg" - eine Großmutter berichtet

"Das wochenlange Fertigmachen hatte seine Spuren hinterlassen. Sie wollte nur noch weg."
"Das wochenlange Fertigmachen hatte seine Spuren hinterlassen. Sie wollte nur noch weg."

© Getty Images/iStockphoto

Die Großmutter

Es fing an, als meine Enkelin in der elften Klasse eines Berliner Gymnasiums war und endete damit, dass sie, noch nicht volljährig, allein in eine andere Stadt zog und dort ihr Abitur machte.

Meine Enkelin hatte einem Mitschüler einen Korb gegeben. Das konnte der anscheinend nicht auf sich sitzen lassen, und fing an, das Mädchen in den sozialen Netzwerken, aber auch in der Schule, übel zu beschimpfen. Andere schlossen sich ihm an. So verselbständigte sich das und wurde immer schlimmer. Ein paar ihrer Freunde unterstützen meine Enkelin zwar, aber viele blieben stumm, klassische Mitläufer.

Zum Glück vertraute unser Mädchen sich uns schnell an. Ihre Mutter wandte sich an die Schule. Die reagierte zunächst zögerlich, aber brachte das Thema dann doch noch zu Sprache. Meine Tochter hatte Screenshots der Beleidigungen gemacht. Die Schule erklärte den Schülern, dass so etwas auch strafrechtliche Konsequenzen haben könne. Doch für meine Enkelin kam das alles zu spät. Das wochenlange Fertigmachen hatte seine Spuren hinterlassen. Sie wollte nur noch weg. Und zu unserem Schrecken kam für sie nur in Frage, irgendwohin zu gehen, wo sie niemand kennt. Schweren Herzens ließen sich ihre Eltern schließlich darauf ein. So zog sie in eine kleinere Stadt in Westdeutschland, machte dort ihr Abitur.

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