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Einblicke. In der Universität der Künste gibt es viel zu entdecken.

© UdK

Entdeckungstour an der UdK: Verborgene Schätze

Geheime Orte: Hinter und in den Kulissen der UdK Berlin schlummern versteckte Geschichten und ungelöste Rätsel.

Dieser Titel: die größte künstlerische Hochschule Europas. Das darf schon mal Angst einflößen. Neuankömmlingen mag die Universität der Künste Berlin erst einmal wie ein riesiger Koloss erscheinen. Dazu noch beeindruckende 300 Jahre Geschichte und Gebäudekomplexe, die anhaltende Nackenstarre verursachen: so viele Säulen und Rundbögen, so hohe Decken und so zahlreiche Treppenaufgänge. Imposant? Ja. Ästhetisch reizvoll? Sehr. Der wirkliche Charme der UdK allerdings liegt bei ihren mal mehr, mal weniger verborgenen Orten und Schätzen, die es erst einmal zu entdecken gilt.

Paradies für Theaterfans

Einer dieser Orte ist die Gewandmeisterei in der Lietzenburger Straße 45. Hier werden so gut wie alle Gewänder hergestellt, die bei Aufführungen im UdK- Theater UNI.T zu sehen sind. Eine große Stoffschlange, die sich hinter dem Arbeitsplatz von Herrenschneider Stephan Grollmitz die Wand hinunter schlängelt, erinnert an die „Zauberflöte“. Aber wo kommen bloß die vielen Stoffhasen her? Neben den fünf Nähmaschinenplätzen auf der Fensterseite arbeitet Damenschneiderin Sue Viebahn gerade an einem rosafarbenen Taillenmieder, das im Moment noch von einer Schneiderbüste getragen wird. Demnächst wird darin einer der 36 Darsteller von Rossinis „Die Reise nach Reims“ auf der Bühne stehen. Es wird entworfen, gesteckt, genäht, anprobiert, repariert, gewaschen und gebügelt. Eine Tür links hinten führt in das Stofflager, mit Regalen voll von Stoffballen in unzähligen Farben.

Aber das ist nicht alles: Zwei Stockwerke tiefer befindet sich der Fundus – ein Paradies für jeden Theater- oder Opernfan. „1977 rief der Theatermacher und UdK-Professor Achim Freyer den Fundus ins Leben. Es begann mit zwei Kleiderständern“, erzählt Felicitas Sandor. Mittlerweile gibt es hier stangenweise Perücken, Showkostüme, Overalls, Morgenmäntel, Masken, aber auch schlichte weiße T-Shirts. Die wertvollsten Stücke hängen in einer Spezialkammer und sind nicht für jeden zugänglich: Pelzmäntel zum Beispiel und ein kugelrunder Fisch, in den man hineinschlüpfen kann.

2000 Aktenmeter im Archiv

Dietmar Schenks Arbeitsplatz ist weniger schrill, auf den ersten Blick vielleicht auch weniger bunt, aber dafür umso spannender. Zweimal tausend Laufende Meter, gefüllt mit Schriftgut, daneben Planschränke mit über tausend Fächern, die Fotos und Abbildungen enthalten – die Schätze, die hier am Einsteinufer aufbewahrt und geschützt werden, erzählen nicht nur die Geschichte der Hochschule, sondern auch von der Entwicklung des Kunstunterrichts. Ein Großteil der Dokumente sind historische Verwaltungsunterlagen, unter anderem Bescheinigungen für Studenten aus vorigen Jahrhunderten. Jährlich kommen 50 bis 100 Objekte hinzu, die zur Hälfte aus privater Hand stammen. Oft sind es ehemalige UdK-Dozenten und -Professoren, die ihre Dokumente hier sicher wissen möchten. „Wer etwas Verborgenes entdecken will, ist hier genau richtig“, scherzt Schenk. Vieles wurde noch nicht untersucht.

Im Moment beschäftigen sich Schenk und seine Kollegen mit Bildvorlagen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Fotografien, deren Motive für den Kunstunterricht verwendet wurden, zeigen unter anderem Architekturen, Gemälde, kunstgewerbliche Gegenstände, Menschen, Tiere oder Pflanzen. Während des 20. Jahrhunderts kamen die Bildvorlagen allmählich außer Gebrauch. Im Archiv werden die Motive bestimmt, die Fotografen und ihre Technik. Informationen, die einst unwichtig waren und aus diesem Grund weggelassen wurden, können so mehr Licht in die Geschichte der Fotografie bringen. Drei Jahre haben Schenk und seine Kollegen Zeit, die Bildvorlagen zu bestimmen, einzuordnen und zu digitalisieren. 2020 sollen 25 000 Objekte online zur Verfügung stehen.

Und plötzlich steht man in einem riesigen Atelier

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Lithographie- und Papierwerkstatt

Die wohl attraktivsten Arbeitsräume der UdK befinden sich in der Hardenbergstraße 33, auf der gegenüberliegenden Seite des Haupteingangs, hinter dem grünen Innenhof. Schon der Weg dorthin ist spannend. In der Lithografie-Werkstatt werden die Oberflächen der wuchtigen Kalkschiefer-Platten zuerst bearbeitet, um sie für das älteste Flachdruckverfahren vorzubereiten. Erst dann werden die Motive auf den Stein übertragen, sodass sie gedruckt werden können. Gleich daneben liegt die Werkstatt für Druckgrafik – hier wird gerade Holz auf den Druck unter der riesigen Presse, die in der Mitte des Raumes steht, vorbereitet. Es riecht nach Öl und Farbe. Die Papierwerkstatt, eine Tür weiter, ist erst um die fünf Jahre alt. Hier werden Buchdeckel geprägt, Verpackungen und Portfolios produziert.

Und plötzlich steht man in einem riesigen Atelier mit einer Decke, die bestimmt zehn Meter hoch ist, und einer Glasfront gen Norden, die das ideale Licht einfallen lässt. Hier arbeiteten schon so einige Bekanntheiten, unter anderem Bernhard Heiliger und Rolf Szymanski. Die mittleren Fenster auf der Nordseite lassen sich öffnen, sodass auch überdimensionale Objekte herein- oder heraustransportiert werden können.

Auf demselben Gang befindet sich auch die Tür zu einem Atelier, das Anfang der 2000er für den Künstler Tony Cragg angebaut wurde. „Tonys Blechbüchse“, nennt es Josef Petry, Lehrkraft für die künstlerische Werkstattlehre, liebevoll. Petry führt Studenten in den Umgang mit Metall ein. Auf den Arbeitstischen in seiner Werkstatt lässt sich noch Gold vom Berliner Dom bestaunen, mit dem vor rund acht Jahren Objekte für eine Ausstellung hergestellt wurden.

Schatzkammer in der Uni-Bibliothek

Die Universitätsbibliotheken der UdK und der Technischen Universität Berlin befinden sich in der Fasanenstraße 88 in einem gemeinsamen Gebäude. Von dem Bestand, der jedem zugänglich ist, gehören ungefähr 80 Prozent der TU und die übrigen 20 Prozent der UdK. In der Rara-Abteilung im hinteren Teil des Gebäudes sei es genau umgekehrt, erzählt die Bibliotheksdirektorin Andrea Zeyns. Ein Schild mit der Aufschrift „Argon-Löschanlage“ weist darauf hin, dass hier etwas besonders Schützenswertes gelagert wird, das unter keinen Umständen einem Brand oder einer Sprinkleranlage zum Opfer fallen darf. Dieser Ort ist einer Schatzkammer gleich. Hier lässt sich anhand von historischem Dirigentenmaterial des Staats- und Domchors, dessen Anfänge ins 15. Jahrhundert zurückreichen, die Entwicklung der Aufführpraxis nachvollziehen. Ein anderer Schatz ist ein Teil der Sammlung des Musikforschers Philipp Spitta, der unter anderem eine der ersten Monografien über Sebastian Bach verfasste.

Uwe Meyer-Brunswick, der stellvertretende Direktor, erklärt, wie einige handschriftliche Werke, die von Tintenfraß befallen waren, aufwändig durch Papierspaltung gerettet wurden. Zwischen das geteilte Papier wurde Japanseide gelegt, um den Verfall zu entschleunigen. Spannend sind auch seine Berichte von Recyclingmethoden aus dem 17. Jahrhundert: 200 Jahre alte Pergamente mit Handschriften wurden für Einbände verwendet, weil der Text scheinbar nicht mehr interessierte. Was erst einmal nur schön aussieht, beinhaltet Informationen, die völlig aus dem Kontext gerissen wurden und die von Historikern jetzt wieder eingeordnet werden. Das älteste gedruckte Buch, das sich in der Rara-Abteilung befindet, stammt aus dem Jahr 1482 und ist ein Gesetzestext von Papst Bonifaz VIII. Auch eine besondere Kostbarkeit ist ein Stecksystem für Tanzschritte – ungefähr so groß wie eine Schachtel für längere Streichhölzer –, das aus dem Nachlass von Tanzwissenschaftler Karl Heinz Taubert stammt. Des Weiteren gibt es hier Karikaturen aus Havanna von 1922 zu bewundern, Modedarstellungen aus Wien von 1914 und die Partitur einer Oper von Franz Schreker, in deren Deckel mal ein Granatsplitter steckte. Hat er einmal jemandem das Leben gerettet?

Die UdK besitzt viele Kostbarkeiten, die von einer spannenden Geschichte erzählen, die überraschen und inspirieren können. Einige Rätsel werden erst in der Zukunft gelöst werden. Einiges wird vielleicht immer vage bleiben.

Die Autorin studierte von 2012 bis 2014 Kulturjournalismus an der UdK Berlin.

Helena Davenport

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