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Der Comiczeichner Hamid Sulaiman, geboren 1986 in Damaskus, lebt in Paris. Von ihm erschien 2017 die Graphic Novel "Freedom Hospital".

© Illustration: Hamid Sulaiman

Einsamkeit im Exil: Manchmal bin ich Paolo

Der syrische Schriftsteller Aboud Saeed lebt in Berlin. Immer, wenn er gefragt wird, woher er kommt, erntet er Mitgefühl. Er will das nicht - und macht sich zu einem anderen.

Ich habe immer davon geträumt, in Europa zu leben. Es war mir aber nie wichtig, in welchem Land, ob in Frankreich, in Deutschland, in den Niederlanden. Es sollte nur wie Europa sein, wo Glück, Aufregung und Spaß sind. Dieser Traum wuchs in mir, nachdem mein Vater für uns eine Satellitenschüssel kaufte. Plötzlich konnten wir über 400 Sender empfangen. Ich sah, wie das Leben der Ausländer ist und wurde immer trauriger, während ich von einem Sender zum nächsten wechselte, junge Leute sah, wie sie im Konzert von Michael Jackson tanzten. Ich dachte: Ich sollte dort sein, mit all diesen glücklichen Menschen!

Ich habe immer davon geträumt, in Europa zu sein, aber nur vor dem Fernseher. Ich habe nie wirklich versucht, dorthin zu kommen. Ich hatte auch überhaupt keine Ahnung, wie ich diesen Traum verwirklichen könnte, ausgenommen vielleicht beim Fußballspielen in der Schule. Vielleicht könnte ich eines Tages Profi werden und bei Bayern München spielen. Oder vielleicht würde sich eines Tages ein deutsches Mädchen übers Internet in mich verlieben. Sie würde mich einladen und ich würde sie besuchen. Nichts davon passierte. Stattdessen verbrannte sich Mohamed Bouazizi in Tunesien selbst und die Revolution brach aus im Nahen Osten, oder der Bürgerkrieg, wie sie es jetzt nennen. Und plötzlich bin ich hier, in Europa, in Berlin, im Land meiner Träume.

Ich bin jetzt mittendrin im Fernsehprogramm

Ich bin jetzt mittendrin im Fernsehprogramm, jetzt wird die Reise des Glücks beginnen. Asyl bedeutet doch nur etwas für Politiker oder Menschenrechtsorganisationen, für mich heißt das nichts. Ich weiß nur: Ich werde hier leben und vielleicht, eines Tages, habe ich ein Zuhause und wer weiß, vielleicht sogar ein paar blonde Kinder. Ich werde unter diesen glücklichen, lächelnden Deutschen sein und werde zurücklächeln, in den Straßen, in der U-Bahn, in Hauseingängen und Lokalen. Ich bestelle Bier, lade sie ein und sie nehmen an, lachen noch mehr und so bestelle ich mehr, bis meine Taschen leer sind. Dann gehen sie fort und ich bin wieder allein.

Allein streife ich durch die Straßen Berlins, und wohin ich auch gehe, fragen sie mich: "Woher kommst du?" Wenn ich antworte: "Ich bin aus Syrien", sagen manche: "Oh, Bürgerkrieg!" Andere rufen: "Flüchtling!" Und manche bekommen Panik: "Islamisten!". Alle sprechen mit einem Unterton aus Mitleid, Sympathie und Alarmiertheit. So beschloss ich, mir all das Kopfzerbrechen zu ersparen, indem ich als Antwort auf die Frage "Woher kommst du?" ein Land wähle, das zu meiner Hautfarbe und meinem Akzent passt. Manchmal benutze ich ein paar türkische Worte, die ich im Fernsehen aufgeschnappt habe und sage: "Ich bin aus der Türkei." Manchmal sage ich auch: "Aus Italien". Es gibt jede Menge dunkelhäutiger junger Männer in Italien. Wenn die fragende Person tolerant erscheint, würde ich auch mal sagen: "Aus Griechenland". Manchmal sage ich sogar: "Brasilien!". Oder ich tippe auf das Muttermal auf meiner Stirn und sage: "Indien".

Der Comiczeichner Hamid Sulaiman, geboren 1986 in Damaskus, lebt in Paris. Von ihm erschien 2017 die Graphic Novel "Freedom Hospital".
Der Comiczeichner Hamid Sulaiman, geboren 1986 in Damaskus, lebt in Paris. Von ihm erschien 2017 die Graphic Novel "Freedom Hospital".

© Hamid Sulaiman

Einmal log ich ein deutsches Mädchen an und sagte, ich sei Brasilianer. Sie lud mich auf ein Bier in einen Technoschuppen ein. Techno und der schwerfällige Körper eines Syrers, beladen mit Komplexen und Katastrophen. Nach rechts und links schwingend, Bewegungen zwischen traditionellem syrischem Tanz und zunehmender Verwirrung, während das Mädchen fröhlich und beschwingt meine Bewegungen nachahmt und glaubt, das sei Samba, während unsere Körper sich berührten und das Leben einfach nur wunderbar und schön zu sein schien und fern aller Sorgen. Als wir uns verabschiedeten, fragte sie mich: "Wie ist dein Name?", und ich antwortete: "Paolo". Und warum nicht? Manchmal bin ich Paolo oder Alejandro. Benjamin ist der Name, wenn ich sage, ich sei aus Israel.

Namen sind nicht wichtig. Wichtig sind die Freiheit und das Glück, ein paar kurze Momente, bevor jeder seinen Weg geht. Aber ich bin nicht zufrieden mit flüchtigen Momenten, ich bin ein Fan von Europa und den Europäern, so sehr, dass ich jedes Mal, wenn man nur Hallo zu mir sagt, diese Person zum Essen einlade. Jedes Mal, wenn ich einem Nachbarn im Treppenhaus begegne, lade ich ihn oder sie zum Essen in meine Wohnung ein. Ich bin ein guter Koch und der Weg ins Herz der Deutschen führt ganz sicher durch ihren Magen. Und so richtete ich meine ganze Erfahrung und alle meine Talente darauf, syrische Gerichte zu kochen.

"Wir nennen das den Goodbye-Kaffee"

Einmal wollte ich meinen Nachbarn besonders verwöhnen und kochte Mlokheyeh für ihn, ein aufwändiges Gericht aus Jute-Blättern. Ich versuchte, ihn zum Lachen zu bringen und sagte, ich komme aus einer 15-köpfigen Familie. Er sollte sein Mlokheyeh genießen, darum erzählte ich ihm, wie besonders dieses Gericht ist, und dass es für manche religiöse Richtungen sogar verboten ist. Dann tranken wir Bier, lauschten den Liedern von Sabah Fakhri, dem großen Sänger aus Aleppo. Bevor der Abend zu Ende war, servierte ich Kaffee und sagte: "Wir nennen das den Goodbye-Kaffee." An der Tür, während er sich seine Schuhe anzog, fragte ich meinen Nachbarn, ob ihm denn das Mlokheyeh und der Abend gefallen hätten, er sagte: "Ja, sehr interessant!", und dann ging er und alles war wie zuvor. Ich habe Unmengen von Mlokheyeh an Deutsche verschwendet und bin immer noch einsam. Die Einsamkeit war es, die ich nicht sah, als ich all diese ausländischen Sender anschaute. Einsamkeit, die Seuche dieses Jahrhunderts. Jeder ist einsam, Alte, Freunde, Geliebte, jeder, sogar Leute auf einer Party. Als Syrer ist man doppelt einsam, zunächst weil es jeder ist, und zweitens weil man Syrer ist.

Der Schriftsteller Aboud Saeed, geboren 1983 in Manbidsch, lebt in Berlin. Zuletzt erschien seine Szenensammlung "Lebensgroßer Newsticker". 

Aboud Saeed

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