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Auch als Rentner ist Didi der Teufel immer dort, wo Menschen mit Rädern an einer Startlinie stehen. Unser Autor hat ihn beim Prenzlauer Hügelmarathon über 33 Kilometer begleitet.

© Thilo Rückeis

Eine Runde mit Didi Senft: Der Tour-de-France-Teufel fährt Klapprad

Als Didi der Teufel feuerte er die Profis bei der Tour de France an – und wurde weltbekannt. Bis heute ist Dieter Senft aktiv. Was treibt den 68-Jährigen an?

Ein alter Mann in Badelatschen und weißen Socken strampelt gegen den scharfen Oktober-Wind. Er strampelt die Hügel rauf, den Sonnenstrahlen entgegen. Und strampelt die Hügel wieder runter, die Sonne im Rücken. Kinder stehen am Straßenrand und jubeln ihm zu. Der alte Mann jubelt zurück: "Ho, ho, ho" oder "he, he, he" oder "aih, aih, aih". Je nachdem. Die Kinder jubeln dann noch lauter. Mütter winken oder filmen ihn mit ihren Smartphones.

Didi heißt der Mann. Tiefe Lachfalten haben sich um seine Augen eingegraben. Ein fulminanter Rauschebart, weiß, umweht sein Gesicht. Er könnte der perfekte Weihnachtsmann sein. Doch Didi ist das Gegenteil. Ein Teufel ist er.

Ein Teufel auf einem kleinen, roten Klapprad. In der einen Hand klemmt ein silberner Dreizack, eine rote Tröte in der anderen, der schwarze Umhang flattert im Wind. Didi, der Teufel. Verdammt dazu, Späße zu machen, verrückt zu sein, seine Show abzuziehen, seinen Mund aufzureißen, seine Augen aufzureißen und laut "he, he, he" zu brüllen. Verdammt, weil er nicht anders will und kann.

Didi ist hier, um den Teufel zu geben

Samstag, 5. Oktober 2019, Prenzlau, Brandenburg, eine kleine alte Stadt, mit schönen Seen, mit malerischen Hügeln und vielen pittoresken Dörfchen drum herum. 1200 Radfahrer, männlich, weiblich, Alt und Jung, sind hierhergekommen, um den 15. Hügelmarathon mitzufahren.

Verdammt dazu, Späße zu machen: Didi Senft kurz vor dem Start des Prenzlauer Hügelmarathons.
Verdammt dazu, Späße zu machen: Didi Senft kurz vor dem Start des Prenzlauer Hügelmarathons.

© Thilo Rückeis

Es ist der letzte Fahrradmarathon der Saison. Und Didi ist hier, um den Teufel zu geben. Rumbrüllen, in die Luft springen, sich auf der Start- und Ziellinie auf den Boden werfen, sich fotografieren lassen, Autogramme verteilen und sich Küsschen auf die Wange schmatzen lassen.

Instagram-Stars müssen Fotos von sich selbst machen, Didi lässt knipsen

Dafür bekommt Didi manchmal ein Honorar, öfter aber nur die Reisekosten, vielleicht ein Hotelbett und das Essen erstattet. Doch Didi beschwert sich nicht, denn er bekommt noch etwas anderes, etwas Größeres: Das Gefühl, als alter Mann, als Rentner, als einer vom Land, als Ostdeutscher, gefragt und beachtet zu werden. Instagram-Stars müssen Fotos von sich selber machen. Didi lässt knipsen.

"Wenn ich komme, rufen sie: Didi, komm mal her, wir machen ein Foto! Didi, komm mal her, es gibt Küsschen!" Von morgens bis abends. Wochenende für Wochenende. Das ganze Jahr hindurch.

Denn dieses Hügelrennen hier in Prenzlau ist eine kleine Nummer im Vergleich zu den anderen Fahrradrennen, zu denen er eingeladen wird oder sich selber einlädt: Hügelmarathon, See-Rennen, Oldtimer-Rennen, Deutschland-Tour, Giro d'Italia und natürlich die Tour de Franceüberall war er dabei.

Didi Senft feuert bei der Tour de France 2007 den Kolumbianer Mauricio Soler an.
Didi Senft feuert bei der Tour de France 2007 den Kolumbianer Mauricio Soler an.

© imago

Ruft man bei ihm zu Hause in Storkow an, um sich mit ihm für einen Artikel zu verabreden, geht meistens seine Frau ran. "Der Didi, wo der ist? Das würde ich auch gerne wissen", sagt sie und lacht. Dann wird sie ernster, seufzt und sagt: "Der ist nicht da. Ich weiß jetzt auch nicht, wann er genau wiederkommt. Diesen Monat auf jeden Fall noch. Warten Sie, ich muss nachschauen."

Einer, den Rennveranstalter gerne dabeihaben

Dann raschelt es, wahrscheinlich wird ein Kalender geöffnet, dann fährt sie fort: "Rufen Sie doch noch einmal in drei Wochen an, da ist er auf jeden Fall da." Früher war sie bei den Rennen mit dabei, seine Frau. Doch heute nicht mehr. Die Gesundheit. Und irgendwann ist ja auch gut.

Nicht für Didi, der Teufel und weltbekannt. Seit 26 Jahren macht er das schon. Von Japan geht's nach Taiwan, dann rüber nach Brasilien, Mexiko, Kolumbien, zurück nach Frankreich, hoch in die skandinavischen Länder und quer durch Deutschland.

Da, wo viele Menschen sich mit ihren Rädern an eine Startlinie stellen, auf einen Startschuss warten und dann lossausen, da ist auch Didi. Didi ist ein Star. Ein Maskottchen. Einer, der Stimmung macht und den die Rennveranstalter gerne dabeihaben.

"Rumspinnen ist mein Milieu"

Man könnte lächeln über diesen Mann, immerhin schon in Rente, immerhin schon 68 Jahre alt. Man könnte sich wundern, warum er das macht, warum er in die Luft springt, dabei mit seinem Dreizack fuchtelt. Warum er sagt: "Rumspinnen ist mein Milieu".

Oder man begleitet ihn, 33 Kilometer lang, auf der Familienrunde des Prenzlauer Hügelmarathons, die vielen anderen mit ihren teuren 24-Gang-Hightech-Rädern. Didi auf seinem Klapprad, kräftiger Tritt, steter Atem, ein Profi.

Jetzt ist es ein bisschen ruhiger. Zwischen Wald, See und Feld ist gerade keiner da, dem er "he, he, he" entgegenschleudern muss. Didi erzählt jetzt, über den Fahrradlenker gebeugt, wie er in der DDR aufgewachsen ist. Wie er aber immer Lust auf die große Welt hatte und schon damals kein artiger DDR-Bürger war.

Didi Senft auf seinem Klapprad. Kräftiger Tritt, steter Atem. Ein Profi.
Didi Senft auf seinem Klapprad. Kräftiger Tritt, steter Atem. Ein Profi.

© Thilo Rückeis

„Auf meinen Zeugnissen stand, dass ich ein Einzelgänger war, dass ich mich nicht in den Klassenverband einfügen würde“, sagt er. Malocher wurde er, lernte Karosseriebau, schraubte tagsüber an den Autos der DDR, schraubte nachts an gebrauchten Wagen aus dem Westen, die er für gutes Geld auf dem Gebrauchtmarkt verkaufte.

Als Teufel verkleidet am Teufelslappen

Am Wochenende aber stieg er auf das Rad, fuhr Rennen, gewann Bezirksmeisterschafften. Didi war gut, aber sicher nicht der Beste, doch seine Leidenschaft war geweckt. Heimlich schaute er Westfernsehen, verfolgte die Nachrichten über die Tour de France.

Und eines Tages, bei einer dieser Sendungen, schwor er sich, dass er auch bei der Tour dabei sein wolle. Als Zuschauer, als Teufel verkleidet, immer direkt am Teufelslappen, jener Wimpel-Markierung, die die letzten 1000 Meter des Rennens oder der jeweiligen Etappe anzeigen.

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Wenn er von sich als Teufel erzählt, wird er laut und quirlig, wie ein aufgekratzter Junge, der von seinen Abenteuern am Wochenende berichtet. Dann holt er sein Smartphone raus und zeigt Fotos von sich. Didi in Brasilien, Didi in Japan, Didi in einer Tonne, Didi, der in die Luft hüpft. Didi umringt von Frauen, die ihm alle einen Knutscher verpassen wollen. Didi, der Teufel.

"Die Fans erwarten, dass ich verrückt bin, also bin verrückt"

Jetzt, wo es um seine Vergangenheit geht, wo es um Dieter Senft geht, ist er ruhiger und bedachter. "Zu Hause bin ich zurückgezogener", sagt er leise, wie zu sich selber. Jetzt holen andere Radfahrer auf, überholen ihn, rufen ihm zu, er ruft zurück. Dann grüßt er die Polizisten an der Radstrecke. Die Autos, die entgegenkommen. Ruft und schwingt seinen Dreizack.

Wenn es um seine Vergangenheit geht, ist Didi Senft ruhiger und bedachter.
Wenn es um seine Vergangenheit geht, ist Didi Senft ruhiger und bedachter.

© Thilo Rückeis

Dieter ist leiser. Ein Rentner, der mit 500 Euro im Monat klarkommen muss, wie er sagt. Seine Frau kriegt auch nicht mehr. Doch Didi ist ein anderer. Didi kann in die Welt. "Die Fans erwarten, dass ich verrückt bin, also bin ich verrückt", sagt jetzt der Didi.

Damals, mit 24, fing alles an. Er baute sein erstes Fahrrad mit drei Sitzen und Bierflaschenhalter. Eine Leidenschaft war geboren, gleichzeitig hatte er immer weniger Lust auf die Maloche in einem DDR-Karosseriewerk, schmiss hin. Der Staat wiederum warf ihm vor, ein "Asozialer" zu sein, bedrängte und verhörte ihn. Wollte, dass er in die Werkstatt zurückkehrte. Didi aber wollte bauen und wollte Quatsch machen.

Das Museum, Krönung seines Schaffens

Schließlich ließen sie ihn auftreten, als "Künstler für Radkuriositäten" – mit den Puhdys oder in den großen FDJ-Ferienlagern. "Ich war ein Clown", sagt Didi. Ein Clown, der das größte Fahrrad der Welt baute oder das Fahrrad mit dem kleinsten Vorderrad. Später würde er mit seinen ausgefallenen Fahrradkonstruktionen mehrere Weltrekorde brechen, würde ein eigenes Museum mit seinen Fahrrädern erschaffen.

Überhaupt: Sein Museum. Eine Krönung seines Schaffens. All die verrückten Fahrräder, insgesamt 17 Mal steht er mit seinen Konstruktionen im Guiness-Buch der Rekorde. Eines der Räder hat sogar eine Hängematte, von der aus man die Pedale treten kann. Vor zwei Jahren hat er das Museum dichtgemacht. Er war ja immer weg, seine Frau plagten die Rückenschmerzen, die Gäste wurden weniger.

Didi Senft bei der Eröffnung seines Storkower Fahrradmuseums 2004. Mittlerweile ist es geschlossen.
Didi Senft bei der Eröffnung seines Storkower Fahrradmuseums 2004. Mittlerweile ist es geschlossen.

© dpa/dpaweb

Pause, Essen, Didi lässt sich mit Pinsel und Farbe etwas auf die Wange malen. Didi lässt sich fotografieren und von der Lokalzeitung interviewen. Didi steigt auf einen Tisch und ruft laut "he, he, he". Didi hat noch Feuer, Didi macht seinen Job.

Wenn man ihn beobachtet, wie er grüßt und umarmt, sieht man ihn immer nur lachen und Quatsch machen. Mit den Leuten wirklich reden tut er nicht. Das erwarten sie auch nicht von ihm. Sie wollen, dass er seinen Mund aufreißt, dass er seine Augen aufreißt, dass er seine Zunge raushängt und kurz stillhält für ein Foto.

Didi kennt jede Biegung

Wenn man ihn fragt, warum er all das macht? Warum er in seinem VW-Bus schläft, auf dessen Tacho 400.000 Kilometer stehen, warum er zehn Stunden am Steuer sitzt, um in einem Rutsch vom Rennen aus Stuttgart zum Prenzlauer Hügelmarathon zu kommen? Warum er um die Welt jettet? Dann lacht er verschmitzt und sagt: "Wegen der Mädels, nirgends kriege ich so viele Küsschen wie als Didi. In Japan und China sind sie noch viel verrückter als hier."

Jetzt geht es auf die letzten Kilometer der Familienrunde, vorbei am See, durch einen Wald, entlang von Weiden und Wiesen. Prenzlau ist schön. Didi kennt hier jede Biegung, ist schon oft mitgefahren. Solange Dieter kann, ist Didi am Start. In Japan, in Frankreich, in Prenzlau, in Storkow.

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