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Kakaobohnen -der Rohstoff für feine Schokolade.

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Edelkakao aus Ecuador: Alles Bohne

Weltweit wächst die Passion für edle Schokolade. Der feine Kakao der Sorte Arriba gedeiht nur in Ecuador. Wie ein Bauer den Erfolg seiner Früchte erlebt.

Wenn Bolivar Alvarado auf sein Kakaofeld geht, trägt der Bauer Gummistiefel, eine Machete und eine goldene Armbanduhr. Die Machete braucht der 42-jährige Ecuadorianer, um sich den Weg freizuschaufeln, ritsch, ratsch, weg sind die hohen Gräser; die Gummistiefel zieht er an, um auf dem rutschigen Weg festen Tritt zu haben; und die Golduhr erinnert ihn daran, was ihm der Kakao einbringt.

Aus Bolivar Alvarados Kakao wird am Ende die beste Schokolade der Welt gemacht. Behaupten wenigstens die Feinschmecker der „International Chocolate Awards“ – sie haben sich im November in London getroffen, die Augen verbunden, mehr als 950 Schokoladensorten aus aller Welt probiert und der Marke „Pacari“, die Alvarados Kakao ankauft, die Goldmedaille als weltbeste Bitterschokolade verliehen. Mit diesem Siegel landen die Tafeln in Berliner, Madrider und New Yorker Geschäften.

Blumig ist der Geschmack der Schokolade aus dem Süden Ecuadors, wo die Anden schroff ins Tal fallen, das Amazonasbecken grün wuchert und der Edelkakao Arriba wächst. Bolivar Alvarado bietet seinen Gästen Wasser an – in abgefüllten Flaschen aus dem Supermarkt! „Gringos“, sagt er später hinter vorgehaltener Hand zu seiner Frau. Die Weißen trinken kein Wasser aus dem Dorfbrunnen. Wer soll das verstehen?

Kleine Gruppen reisen seit ein paar Monaten aus der Hauptstadt Quito an, um Bolivars Feld zu bestaunen und vor Ort die Schokolade zu probieren. Kakao-Tourismus ist in Ecuador gerade sehr gefragt. Überhaupt wächst das Interesse an den besonderen Arriba-Bohnen weltweit. Der edle Kakao wird nur in dem kleinen Staat zwischen Anden und Pazifik angebaut. Er ist erst seit den 90er Jahren als eigenständige Sorte anerkannt, vorher hielt man ihn für eine aromatische Unterart des Forastero – eine von drei weltweit verbreiteten Bohnen.

Arriba bedeutet „von oben“, weil die ersten Kakaobohnen aus dem Hochland flussabwärts in die Handelsstadt Guayaquil kamen – noch heute der wirtschaftlich wichtigste Ort des Landes. Vor 200 Jahren stammte ein Drittel der Weltkakaoproduktion aus Ecuador, bis auch in afrikanischen Ländern rund um den Äquator das braune Gold angepflanzt wurde. Immerhin ist 2013 Ecuador an dem 30-mal größeren Brasilien vorbeigezogen und mit 220 000 Tonnen geernteten Kakaobohnen nun wieder der Primus unter den südamerikanischen Staaten.

Ecuador profitiert davon, dass sich seit Jahren der Schokoladengenuss verfeinert. Weg von lilafarbenen Industrie-Tafeln hin zum eigenständigen Chocolatierprodukt. Die kleineren Betriebe verwenden kaum noch Palmfette, dafür veredeln Zutaten wie Chili, Salz oder Früchte die Schokoladen, die wiederum wie seltene Schätze gereicht werden – und manchmal so kostbar sind. Die teuerste Schokolade der Welt kam 2014 aus Ecuador: 260 Dollar kostete eine 50-Gramm-Tafel der Sorte To’ak. Sie wird aus einer besonders seltenen Arriba-Unterart hergestellt, die nur begrenzte Ernten erlaubt.

Alyssa Jade McDonald, die in Berlin regelmäßig zur „Kakao Akademy“ einlädt, ist ganz begeistert von den besonderen Bohnen aus Ecuador. „Blumig, fruchtig, Jasmin“, sagt sie. Das habe kein anderer Kakao, dieses besondere Regenwaldaroma. Wenn er am Fuße der Anden wächst, dann sei das wie „explodierendes Obst“ im Mund.

Wie Parmaschinken oder Champagner soll Arriba demnächst ein regionales Siegel erhalten und so als Qualitätskakao aus Ecuador kenntlich werden. Der Lebensmittelkonzern Nestlé hat vergangenes Jahr schon mal 16 Millionen Euro in eine Schokoladenfabrik in Guayaquil investiert, um am weiteren Boom teilzuhaben.

Jahrzehntelang pflanzten Bauern wie Bolivar Alvarado zwar die Bohnen an, der Kakao wurde nach der Ernte jedoch gleich ins Ausland exportiert. Wie Santiago Peralta aus dem Städtchen Cuenca fand: eine himmelschreiende Unglaublichkeit. Er hatte in den 90er Jahren Jura in Portugal studiert, nach seiner Rückkehr gründete er 2002 mit seiner Frau die erste ökologische Schokoladenmarke, die vom Anbau bis zur Auslieferung alles in Ecuador beließ: Pacari.

Leicht nussig und keinen Aschegeschmack

Bauer Bolivar auf seinem Kakaofeld.
Bauer Bolivar auf seinem Kakaofeld.

© Ulf Lippitz

Peralta arbeitet heute mit 3000 Bauernfamilien im ganzen Land zusammen. Er bezahlt ihnen einen besseren Preis als die Großabnehmer aus Europa und bringt ihnen bei Besuchen Schokolade mit, die daraus hergestellt wird. Weil er weiß: Diese Menschen würden sich im Laden nie eine Tafel leisten. So wie Alvarado. Er ist nie aus dem Land herausgekommen. Er hat sechs Kinder, eine Frau, ein bescheidenes Haus und eine Golduhr, die er auch zum Zementmischen nicht ablegt.

Er bepflanzt einen Hektar, darauf wachsen auf 600 Meter Höhe über dem Meeresspiegel Dutzende Pflanzen in 16 Reihen, etwa 300 Dollar im Monat bekommt er dafür. Von diesem Geld hat er den Anbau seines Hauses finanziert, er hat nun fließend Wasser, eine Toilette mit Wasserspülung. Von seiner Terrasse aus sieht er bei klarem Himmel die Vulkankegel der Anden, im Tal wächst die Kleinstadt Achidrone, seitdem die Straße aus Quito asphaltiert wurde und die Touristen nun nicht mehr sechs, sondern drei Stunden benötigen – für knapp 150 Kilometer.

Bolivar schwingt auf dem Feld die Machete und hält eine rotbraune Frucht in der Hand. Er schneidet sie längs auf, die Schale bricht auseinander, das weiße Fruchtfleisch glitzert in der Sonne. Die wertvollen Bohnen sind darin verborgen, Bolivar greift beherzt in die weiße Masse hinein, die sich wie ein Kokon um die Bohne gebildet hat. Das Fruchtfleisch ist süß und hat eine schleimige Konsistenz wie das der Litschis. Die Bohne spuckt Bolivar aus, zu bitter. Lieber greift er zu einer Raupe, die er unter einer Borke gefunden hat. Er reibt sich über den Bauch. Nachher will er die Delikatesse rösten.

Der Bauer geht beherzten Schrittes, wusch, Zweig weg, hinunter in den Garten – gleich hinter der alten Hütte, wo früher die Schlafzimmer der Familie lagen und heute die Kinder gespannt aus dem Fenster gucken, um die weißen Touristen-Aliens zu bestaunen. Bolivar hat auf der sonnenbeschienenen Wiese Holzkästen aufgebaut und sie mit Plastikplanen geschützt. Darin trocknen die Kakaobohnen in Kisten, sie werden vier Tage gelagert, bis das saftige Fruchtfleisch fermentiert und sein süßer Geschmack vollständig in die Bohnen eingesickert ist.

Was Bolivar praktisch vorführt, wird städtischen Zuhörern in Schokoladenkursen in Quito erklärt. In Chocolaterien wie Chez Tiff oder bei Pacari erfahren sie, wie aus haselnussgroßen Bohnen edle Tafeln werden. Worauf alle heimischen Connaisseure stolz sind: dass eine kanadische Universität anhand von archäologischen Funden herausgefunden haben will, dass Kakao zuerst auf dem Gebiet des heutigen Ecuadors angebaut wurde – vor 5000 Jahren. Liegt die Wiege der Schokoladenbesessenheit in diesem Land?

Auf der Terrasse von Bolivar Alvarado wartet ein passionierter Schoko-Fan: Santiago Peralta von Pacari. 43 Jahre, drahtige Figur, schmales Gesicht und Haare, die in den Nacken wachsen. Peralta ist ein Amateur, der sich zum Feinschmecker hochgearbeitet hat. Er bricht an einem Tisch Packungen auf, die so groß wie ein Smartphone sind. Bevor er sich die Schokolade daraus in den Mund schiebt, streicht er zart mit den Fingerkuppen darüber, sodass sich das Aroma freisetzt. Er steckt sich ein Stück in den Mund, zärtlich fährt die Zunge darüber, dann analysiert Peralta die Geschmacksinformationen und sagt: „Feucht, cremig, etwas nussig, keine Asche.“

Asche? Ecuador liegt in einem Land voller Vulkane, der berühmteste ist dank Alexander von Humboldt auch deutschen Lesern bekannt, der Chimborazo. Wo sie einen Landstrich prägen, lagert sich Asche von Ausbrüchen im Boden ab wie in der Region Manabi. Diese Schokolade aber, mit der leicht nussigen Note, stammt aus Esmeralda in Pazifiknähe.

Jetzt holt Peralta eine besondere Tafel hervor, „Cloud Forest Limited Edition“. Mit der Tafel aus Nebelwaldbohnen hat er bereits 2012 einen anderen Preis gewonnen. Eine Schokolade, „so selten wie Mammut-Fleisch“, sagt er. „Rosen, Mandeln, fast kein Schokoladengeschmack.“ Und fordert auf: „Bei der dürfen Sie schmatzen.“ Für 50 US-Dollar hat er die 50-Gramm-Tafel einst verkauft, nun erhält er Angebote für 200 Dollar.

Mit so viel Feinsinn hat Santiago Peralta bereits Dieter Kosslick beeindruckt. Den Berlinale-Chef hat der Chocolatier zufällig in einem Café in Berlin getroffen, er stellte einem Handelsvertreter gerade ein paar Tafeln vor, als Kosslick – nie dem Genuss abgeneigt – sich vom Nebentisch einmischte, ob er mal probieren dürfe. Es gab Gespräche darüber, Pacari vielleicht für das Filmfestival zu gewinnen. Dieses Jahr hat es leider noch nicht geklappt.

Bolivar Alvarado steht neben dem Tisch, auf dem die schwarzen Pappverpackungen liegen. Rosa Cuzco-Salz, Anden-Blaubeere, Gourmet-Zitronengras. Er schaut skeptisch. Santiago Peralta sagt: „Abends ein Glas Wein, dann eine Tafel.“ Er führt einen Genießer-Luftkuss vor – und Bolivar lacht. Wahrscheinlich denkt er: So ein Firlefanz. Aber er sagt nichts, er schaut lieber auf seine Uhr.

Pacari ist beispielsweise erhältlich in der Bio Company, bei Veganz, bei Winterfeldt Schokoladen (Goltzstr. 24) oder Quitoberlin (Prinzenstr. 85c). Infos zur Kakao Akademy: contemporaryfoodlab.com. Touren zu den Kakaobauern vermittelt unter anderem Metropolitan Touring.

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