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Tugan Sokhiev leitet seit Herbst 2012 das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin.

© dpa

DSO beim Musikfest: Blitzlichtgewitter der Straße

Mit Werken von Bartok und Janacek beeindruckt das Deutsche Symphonie-Orchester in der Philharmonie. Chefdirigent Tugan Sokhiev zeigt einmal mehr, wo seine Qualitäten liegen: Er ist ein Klangzauberer und ein Meister des Atmosphärischen.

Eine ganze Batterie an Blechbläsern fährt das Deutsche Symphonie-Orchester in der Philharmonie auf: Vier Hörner, 14 (!) unterschiedlich gestimmte Trompeten, vier Posaunen, zwei Tenortuben. Leos Janácek schrieb seine Sinfonietta zur Eröffnung eines nationalistischen Sportfests, das hört man dem Eröffnungssatz noch an: Das Blech intoniert eine prunkvolle Fanfare, nur von der pochenden Pauke begleitet. Später arbeitete er das Stück zu einer Kleinsymphonie aus, die doch in sich so reich und welthaltig ist, als würde sie in der großen Liga der Gattung „Symphonie“ mitspielen.

Tugan Sokhiev dirigiert zur Eröffnung seiner zweiten Saison beim DSO – die zugleich der Beitrag dieses Orchesters zum Musikfest ist – langsam, getragen, so als wolle er alle Rückungen und Klangfarben dieses dicht gewebten Teppichs ausstellen, sie besonders gut zur Geltung bringen. Herrlich weit gezogene Streicherbögen im dritten Satz, immer wieder scharfzüngiges, massives Blech, das doch nie ins Schnarrende, Krachlederne kippt.

Das Musikfest präsentiert an diesem Abend drei Komponisten, drei Orte, drei Länder, die geographisch eng beieinander liegen und einen Kulturraum abstecken, der sich in Opposition zum dominanten Musikstil der Metropole Wien entwickelt hat: Janácek hat die Sinfonietta später seiner Heimatstadt Brünn gewidmet, Bohuslav Martinů stammt aus Policka in Tschechien, Béla Bartók ist in Bratislava zur Schule gegangen. Der späte Erfolg, der Janácek zuteil wurde, war Martinů nie vergönnt. Sein Bratschenkonzert, entstanden am Ende des amerikanischen Exils, ist durchwebt von Erinnerungen, wehmütig in der Rückschau auf musikalische Prägungen der Vorkriegszeit.

Solist Maxim Rysanov will es nicht gelingen, dem über weite Strecken lyrisch geprägten Stück Leben einzuhauchen. Seine Bratsche erinnert zwar mit ihrem satten, reifen Klang an einen exquisiten Spätburgunder. Aber Impulse, Inspiration, Funken wollen aus ihr trotzdem nicht stieben, eigentümlich steif und buchhalterisch steht Rysanov da, sein Instrument ragt als Fremdkörper von der Schulter ab, scheinbar ohne innere Anbindung – und das hört man. Träger der Leidenschaft ist das Orchester. Am Ende des Werks: Ein unendlich langgezogener Ton, der eigentlich als Kontinuum dahinfließen müsste. Bei Rysanov jedoch ist er zerhackt, man hört jeden Strichwechsel. Was er eigentlich drauf hat, blitzt erst in der Zugabe auf: „Pirin“, ein kurzes, virtuoses, fast serielles Stück für Viola Solo des bulgarischen Komponisten Dobrinka Tabakova.

Blitzlichtgewitter der Straße, Brüllen der Autos und Maschinen, Schreie, Gewalt, Liebe, Sehnsucht, Sex: Was für ein unglaubliches Stück Musik hat Bartók mit der Musik zu der Ballettpantomime „Der wunderbare Mandarin“ geschrieben. Atemlos, gehetzt beginnt der 30-Minüter, in äußerster Plastizität und greller Konkretheit erzählt er seine Geschichte: Wie drei Ganoven ein Mädchen zur Prostitution zwingen, wie drei Freier nach oben kommen in die Stube, von denen der dritte, der titelgebende reiche Chinese, trotz aller Mordversuche, erst sterben kann, als ihn das Mädchen umarmt.

Donnern der Posaunen, Grollen der Pauken, hektische Striche. Das zarte Oboensolo, das dem Mädchen zugeordnet ist. Harfenrauschen, das den schüchternen Jungen symbolisiert, den zweiten Freier. Ständig ändern sich Charakter und Temperament der Szene, bis der Mandarin im Lento des Orchesters sein Leben ausröchelt. Reine Programmmusik, die doch nie in den Kitsch kippt, wie es etwa Beethoven in seiner 6. Symphonie nicht vermeiden konnte. Eine großartige Partitur, die Tugan Sokhiev mit seinem Orchester kongenial umsetzt. In all dem Gewusel behält er den souveränen Überblick, musikalische Fäden verknäulen sich und sind doch auf einen Schlag wieder entwirrt.

Nach der Uraufführung des „Wunderbaren Mandarins“ 1926 ließ der Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer das Stück absetzen – man staunt über die Relevanz, die Neue Musik damals offenbar noch hatte, und stellt sich vor, Klaus Wowereit würde heute persönlich beim „MaerzMusik“- oder „Ultraschall“-Festival intervenieren. Aller hauptstädtischer Spott über die Kölner Spießigkeit und das Unvermögen, Bartóks Brillanz zu erkennen, ist allerdings fehl am Platz. Auch der „Berliner Lokalanzeiger“ nannte die Musik „pervers, trivial, banal, krankhaft in höchstem Grade.“ Urteile, die zum Glück einer fernen Vergangenheit angehören. Auch wenn das Wort durch Werbung und PR fast zu Tode geritten worden ist – hier ist es angebracht: Diese zweite Konzerthälfte ist ein Erlebnis.

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