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Martin Thiele und Michael Geithner sind 1985 geboren. Sie sammeln Spiele, die Menschen in der DDR nachgemacht haben.

© privat

Dritte Generation Ostdeutschland: "Was wohl unsere Eltern damals spielten?"

Martin Thiele und Michael Geithner sind Jahrgang 1985. Sie sind im thüringischen Saalfeld und im sächsischen Königswalde aufgewachsen. Seit mehreren Jahren sammeln sie Spiele, die in der DDR nachgemacht wurden.

Welche Verbindung haben Sie zu der Initiative "Dritte Generation Ostdeutschland"?

Wir hatten 2011 angefangen, uns mit der Spielekultur der DDR zu befassen. Im gleichen Jahr sind wir auch auf das Netzwerk aufmerksam geworden und haben festgestellt, dass wir offenbar nicht alleine damit sind, einen neuen, offenen Blick auf unsere Geschichte und die Geschichte unserer Elterngeneration zu werfen. Der Artikel, der von Johannes Stämmler in der Zeit erschienen ist, spiegelte auch unser Interesse wieder, mit vorurteilsfreien Blick auf die deutsch-deutsche Geschichte zu schauen. Kurzentschlossen haben wir den Kontakt aufgenommen und die Publikation der Dritten Generation im Crowdfunding mitfinanziert.

Sie sammeln Spiele, die Menschen in der DDR nachgemacht haben. Wie sind Sie darauf gekommen, und was verraten diese Spiele über die DDR und ihre Menschen?

Als wir eines Nachmittags zusammensaßen und uns fragten, was wohl unsere Eltern damals für Spiele gespielt hatten, stellten wir fest, dass in unseren beiden Familien handgefertigte Brettspiele vorlagen. Dies war für uns die Initialzündung, uns auf die Schatzsuche nach weiteren derartigen Exponaten zu begeben, und im gleichen Zuge den historischen Umbruch für uns aufzuarbeiten. Inzwischen haben wir uns fast vier Jahre mit diesem Themenkomplex beschäftigt, wir haben eine Sammlung von rund 175 Spielen aufgebaut, selbige ausgestellt in Potsdam, Chemnitz, Dresden und Stuttgart.

Unsere Sammlung umfasst zudem historische Dokumente, Briefwechsel, Fotos, Videos und Stasiakten. Die häufigsten Spiele sind natürlich Monopoly (etwa 1/5 der Sammlung), aber auch viele Spiele mit dem Titel "Spiel des Jahres" wie Sagaland, Scotland Yard oder Heimlich & Co. Beliebt waren jene Spiele, die auch in der Bundesrepublik populär waren. Jedes einzelne Unikat erzählt etwas über seine Entstehung. Aus welchem Material wurde es gefertigt, unter welchen Bedingungen? Woher kamen die Vorlagen und gab es politische Implikationen? Die Skala reicht von privaten Verarbeitungen von Ereignissen, bis hin zu politischen Mitteilungen. So gibt es eine Monopoly-Karte mit dem Aufdruck: "Du hast einen politischen Witz gerissen und musst darum ins Gefängnis."

Sie waren gerade auf der Spielemesse in Essen. Wie reagieren die Menschen auf Ihre Spiele-Idee?

Auf der Messe konnten wir vor allem die Spiele anderer Autoren ausprobieren: Welche Spielewelten werden gezeigt, was für Mechanismen wurden verwendet, was macht uns selbst Spaß? Die "Spiel" ist auch immer die Gelegenheit, Aktive der Spieleszene zu treffen, wie das Deutsche Spielemuseum, Journalisten oder Verlage. Die Reaktionen sind durchweg positiv. Denn selbst die Spieleszene zeigt sich überrascht, wenn sie erkennt, Spiele sind mehr als Spielerei. Ein Zeitzeugnis wie "Bürokratopoly" beweist, dass Spiele ein System entlarven können und es nachvollziehbar werden lassen.

Welche Erinnerungen haben Sie an ihre Kindheit und Jugend?

Michael Geithner: Seit Kurzem erinnere ich mich an eine besondere Begebenheit: In der zweiten oder dritten Klasse, also 1992/1993, musste ich einen Fragebogen ausfüllen, der mich nach dem Geburtsland fragte. Ich schrieb ganz selbstverständlich: "DDR". Meine Lehrerin, Frau Koch, mahnte mich jedoch, das sei falsch und ich solle Deutschland eintragen. Das schien mir absolut unlogisch, denn in meiner Geburtsurkunde, die bei meinen Babyfotos lag, stand das anders. Als ich meiner Mutter davon erzählte, lachte sie und erklärte mir etwas, das ich nicht so recht verstand. Mein Geburtsland hatte sich offenbar nachträglich verändert.

Was fällt Ihnen zu dem Begriff "ostdeutsche Sozialisation“ ein?

Martin Thiele: Ich bin völlig assimiliert. Neulich waren Bekannte meiner Freundin aus Leipzig zu Besuch, welche ich noch nicht persönlich kannte. Nachdem wir auf die Fragen der Herkunft gestoßen sind, zeigten sie sich "überrascht" davon, dass ich ursprünglich aus Thüringen komme. Zu denken gab mir nicht nur, dass etwa Gleichaltrige immer noch in diesen Kategorien denken, sondern auch, dass ich diese – wie auch immer geartete – Ausstrahlung habe. Ich spreche Hochdeutsch und scheine offenbar ein Verhalten an den Tag zu legen, was mich eher wie ein Westdeutscher wirken lässt.

Michael Geithner: Ich glaube schon, dass ich "ostdeutsch" sozialisiert bin. Ich habe aber viele Freunde, die vollkommen anders "ostdeutsch" sozialisiert sind. Außerdem konnte ich nach meinem Umzug nach Berlin Freunde aus dem Westen und dem Ausland kennenlernen, die in meiner Wahrnehmung so "ostdeutsch" sind, wie ich. Was genau das allerdings heißt, habe ich noch nicht herausgefunden und ist eine der größten Motivationen im Projekt Nachgemacht. Klingt irrational, fühlt sich auch so an.

Welche Erwartungen stellen Sie an die Initiative "Dritte Generation Ost" oder an Ihre Generation insgesamt?

Michael Geithner: Von der Organisation der "Dritten Generation Ost" erwarte ich, organisiert zu bleiben und endlich aus den zwei getrennten Netzwerken "Dritte Generation Ostdeutschland" und "Perspektive hoch 3" wieder eine Initiative zu machen. Hier gilt es gemeinsam zu denken und sich nicht über Strukturen zu streiten. Dr. Stefan Wolle, wissenschaftlicher Leiter des DDR Museum, betonte neulich in einem Interview die Stärke der Heterogenität der Friedlichen Revolution, von denen sich viele nach ´89 zerstritten. Die dritte Generation hat noch genügend Wind in den Segeln, um gemeinsam weiter zu machen!

Welchen Blick haben Sie auf das deutsch-deutsche-Verhältnis?

Michael Geithner: Dazu möchte ich ein Beispiel aus meiner Arbeit als Social Media Manager im DDR Museum erzählen: Unter dem Bild eines Pappschildes, auf dem in weiß auf schwarz-rot-goldenem Untergrund "Wir sind ein Volk" steht, postete jemand das Bild eines Kindes, auf dessen T-Shirt wiederum steht: "Danke Mama und Papa, das ich kein Wessi bin." Unabhängig von der Rechtschreibung, finde ich in diesem Satz eine Menge anderer Fehler. Der größte ist sicherlich der, dass dieses Denken der nächsten Generation auferlegt wird. Unter die Kommentare der anderen User, die "erst mit der nächsten Generation" oder "das dauert noch zwei Generationen" geschrieben haben, würde ich gern posten: "Bedankt euch beim Vorredner, seinetwegen dauert es nochmal eine Generation länger."

Martin Thiele: Ich wünsche mir, dass es mehr und mehr gelingt, derart dogmatische Positionen abzulegen und eine gesunde und neutrale Betrachtung der Zeitgeschichte zu finden, die weder in den Possierlichkeiten der Ostalgie baden geht, noch sich in blindes und vorverurteilendes DDR Bashing verliert. Vielleicht liegt es daran, dass wir hier wenig zu verteidigen haben, doch ich glaube, dass gerade unsere Generation diesen neuen Anlauf der Aufarbeitung leisten kann und auch sollte.

Weitere Informationen finden Sie auf der Homepage von Martin Thiele und Michael Geithner.

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