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Dr. Om: Kleine Meditationen über die großen Fragen des Lebens - Folge 8

Bald wird unser erstes Kind geboren. Mein Mann und ich sind sehr glücklich, aber wir sind auch besorgt, wie es sein wird, wenn wir unser Kind plötzlich mehr lieben, als wir einander lieben. Wie können wir "wir zwei" bleiben?

Der Übergang einer Paarbeziehung zu einer Familie bringt viele Veränderungen mit sich, und es ist wirklich positiv, dass Sie innehalten, um zu überlegen, wie dies Ihre Liebe verändern wird. Aber was genau ist diese Liebe, die Sie Angst haben zu verlieren?

Buddha unterschied zwischen unterschiedlichen Formen der Liebe: universelle und erotische, freundschaftliche und elterliche Liebe. Universelle Liebe oder "liebende Güte" meint den Wunsch, dass andere glücklich sein sollen. Der Gelehrte Buddhaghosa (5. Jh.) nennt sie "unermesslich", weil sie keine Grenzen kennt. Man kann diese warme Grundhaltung sich selbst, Menschen, die man mag, Fremden und auch Menschen, die man nicht mag, entgegenbringen. Je mehr man diese Liebe und Güte pflegt, desto mehr wächst sie. Wenn Sie beide stets wünschen, dass Ihr Kind glücklich ist, wird dies die Liebe verstärken, die Sie füreinander empfinden. Mehr noch: Die - vermutlich freundschaftliche und leidenschaftliche - Liebe, die Sie und Ihr Mann teilen, hat eine andere Qualität als die Liebe von Eltern zu ihrem Kind.

Liebe ist unermesslich, Energie nicht

Nach Ansicht des Buddha sind ideale Liebespaare hingebungsvoll und treu, respektvoll und zärtlich und sprechen liebevoll miteinander. Gleichzeitig besteht Ihre Aufgabe als liebende Eltern darin, sich um die körperliche, emotionale, intellektuelle und moralische Entwicklung Ihres Kindes zu kümmern. So wird Ihre Liebe zu Ihrem Kind immer eine andere sein als die Liebe, die Sie füreinander empfinden.

Und doch gibt es Grenzen. Während die Liebe unermesslich ist, sind unsere Zeit und Energie begrenzt. Buddhaghosa betont, dass Liebe leicht durch negative Emotionen wie Wut, Anhänglichkeit oder Lethargie beeinträchtigt wird. Falls Sie jemals spüren, dass Ihre Liebe nachlässt, erinnern Sie sich daran, dass das nur so ist, weil bestimmte physische oder psychische Faktoren gerade gestört sind. Ihre Liebe mag sich wandeln oder versteckt sein. Aber sie ist immer da.

Oren Hanner, 1979 in Jerusalem geboren, promovierte Buddhismuskunde in Hamburg und lehrt heute an der Universität Berkeley. Schicken Sie Ihre Frage an om@tagesspiegel.de

Oren Hanner

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