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Trump-Unterstützer und -Gegner trafen am Dienstag in Kenosha aufeinander - einzelne Begegnungen eskalierten.

© Kerem Yucel / AFP

„Donald Trump hat meine Familie gerettet“: Wie der US-Präsident von der Eskalation in Kenosha profitiert

Trumps Besuch in der von Gewalt erschütterten Stadt Kenosha spaltet die Bürger. Einige befürchten eine weitere Polarisierung, andere sind ihm dankbar.

Als die Rufe lauter werden, kommt an der gut bewachten Kreuzung Unruhe auf. „Black Lives Matter“ erklingt es die Sheridan Road herunter, von der sich eine kleine Menschentraube mit bunten Transparenten den mehreren Dutzend Menschen nähert, die vor den Absperrungen auf der 60th Street ausharren. Diese halten dagegen: „Four more years“ (vier weitere Jahre).

Als die Marschierenden die Wartenden fast erreicht haben, scherzt ein Mann leicht verunsichert: „Wir sind auf der falschen Seite der Mauer.“ So richtig mag sich wohl keiner darauf verlassen, dass es an diesem Dienstag in Kenosha ruhig bleibt. Zu viel hat die 100.000-Einwohner-Stadt im US-Bundesstaat Wisconsin in der vergangenen Woche erlebt, zu aufgeladen ist die Stimmung, zu groß die mediale und politische Aufmerksamkeit.

Er schoss mit einem Sturmgewehr und tötete zwei Männer

Dabei hätte die Kreuzung Sheridan/60th gar keine weitere Aufladung gebraucht. An der Ampel vor der Ultimate Tankstelle abgelegte Blumen und Kerzen neben Fotos zeugen von der schrecklichen Nacht vor einer Woche, die Kenosha ins Zentrum der Aufmerksamkeit katapultiert hat: Genau hier schoss der aus dem Nachbarstaat Illinois angereiste 17-jährige Kyle R. bei den nächtlichen Unruhen, den dritten in Folge nach den Polizeischüssen auf den Afroamerikaner Jacob Blake, mit einem automatischen Sturmgewehr auf drei Männer und tötete zwei.

Auf einer der Beton-Absperrungen auf der Kreuzung hat jemand „Huber“ geschrieben, so hieß der zweite der beiden Getöteten: Anthony Huber, 26, ein (weißer) Skater aus dem Umland, der nur seine Freunde habe schützen wollen, so erzählen die es – mit seinem Skateboard.

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An diesen kleinen Mahnmalen, an den Demonstranten und Gegendemonstranten, den vielen Kameras und Polizisten wird gleich der lindwurmartige Konvoi des US-Präsidenten vorbeirauschen, zuerst die vielen Motoräder, dann noch mehr schwarze gepanzerte Limousinen, in einer von ihnen Donald Trump. In der Luft kreisen schon die Helikopter.

Trump kommt an diesem Mittag in die aufgewühlte Stadt, obwohl sich nicht nur der Gouverneur, sondern auch der Bürgermeister und andere Offizielle gegen seinen Besuch ausgesprochen haben. Ihre Begründung: Dafür sei es zu früh, die Wunden seien zu frisch, die präsidentielle Stippvisite würde die Spannungen nur noch verschärfen.

Wortgefechte: Unterstützer und Gegner von US-Trump am Dienstag in Kenosha.
Wortgefechte: Unterstützer und Gegner von US-Trump am Dienstag in Kenosha.

© Kerem Yucel / AFP

Die Bilder von brennenden Innenstädten und Mobs helfen Trump

Trump hält das nicht ab, im Gegenteil. Am Vortag twittert er: „Wenn ich nicht darauf bestanden hätte, die Nationalgarde zu aktivieren und nach Kenosha zu schicken, dann gäbe es kein Kenosha mehr.“

Die Wahrheit ist zwar, dass es der (demokratische) Gouverneur Tony Evers war, der zunächst den Notstand ausrief und Wisconsins Nationalgarde aktivierte - und dann andere Bundestaaten um Hilfe bat.

Große Bühne: US-Präsident Donald Trump spricht vor einem der zerstörten Geschäfte zu Journalisten.
Große Bühne: US-Präsident Donald Trump spricht vor einem der zerstörten Geschäfte zu Journalisten.

© Mandel Ngan / AFP

Aber das mit der Wahrheit ist bei diesem US-Präsidenten ja so eine Sache. Für ihn zählt vor allem, dass seine Botschaft von seinen Anhängern gehört wird – und von Amerikanern, denen die Bilder von brennenden Innenstädten und gewalttätigen, plündernden Mobs, die der Trump-nahe Sender Fox News in Dauerschleife sendet, Angst und Bange machen.

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In rund zwei Monaten wird in den USA gewählt, und die aufgeheizte Lage in Städten wie Kenosha, Minneapolis, Portland oder Chicago seit dem grausamen Erstickungstod von George Floyd vor mehr als drei Monaten und nun den Schüssen auf den unbewaffneten Jacob Blake befeuert den Wahlkampf, genauer: Trumps Wahlkampf.

Auf einmal scheint er ein Mittel gefunden zu haben, mit dem er die Stimmung zu seinen Gunsten drehen könnte. Das, so hofft er, die katastrophale Bilanz seiner Regierung im Umgang mit der Corona-Krise übertönen könnte.

Der Vorsprung von Joe Biden schrumpft

Beim Parteitag der Republikaner in der vergangenen Woche, als er offiziell als Präsidentschaftskandidaten nominiert wurde, zeigte sich überdeutlich, wie sehr er vorhat, auf das Thema „Law and Order“ zu setzen.

Erste Umfragen geben Hinweise, dass diese Strategie aufgehen könnte, gerade auch im immer wieder zwischen Demokraten und Republikanern hin- und herpendelnden „Swing State“ Wisconsin.

Eine Demonstration gegen Polizeigewalt in Kenosha am Dienstag.
Eine Demonstration gegen Polizeigewalt in Kenosha am Dienstag.

© Scott Olson / AFP

Die Umfrageseite Real Clear Politics, die den Durchschnitt aller relevanten Erhebungen zeigt, sieht Trumps demokratischen Herausforderer Joe Biden hier zwar mit einem Vorsprung von 48 zu 44,5 Prozent in Führung. Vor zwei Wochen war der Vorsprung des ehemaligen Vizepräsidenten jedoch noch doppelt so groß.

Wisconsin, wo Trump 2016 knapp gegen Hillary Clinton gewonnen hatte, könnte einer der Staaten sein, wo sich entscheidet, wer der nächste Präsident wird. Doch während Amtsinhaber Trump seine Chance wittert, ist ein Auftritt Bidens hier bis jetzt nicht geplant.

„Wir sind froh, dass er sieht, was hier passiert“

Die Bürger von Kenosha, die keiner in Washington gefragt hat, was sie eigentlich wollen, sind gespalten in der Frage, ob Trumps Besuch eine gute Idee ist. Ron Otto, der Präsident des lokalen Yacht-Clubs, macht sich Sorgen, dass dadurch alles nur noch schlimmer wird. „Er tendiert dazu, die Menschen gegeneinander aufzubringen, statt sie zusammenzubringen.“ Die Gemeinde versuche gerade, sich zusammenzuraufen, da sei das nicht hilfreich.

Bewohner von Kenosha erwarten am Dienstag die Kolonne des Präsidenten.
Bewohner von Kenosha erwarten am Dienstag die Kolonne des Präsidenten.

© imago images/ZUMA Wire

„Wo sind wir denn hingekommen, wenn ein Präsident nicht mehr eine Stadt besuchen darf? Wir sind froh, dass er kommt und sieht, was hier in dieser Stadt passiert“, sagt dagegen Steve Hawkins, der in einem Trödelladen in der Innenstadt arbeitet.

Er steht vor den Ruinen seiner Existenz

Vorfreude auf den Besuch verspürt auch Scott Carpenter. Denn der 51-Jährige wird, das erfährt er am Vortag, den Präsidenten persönlich treffen. Als ihm diese überraschende Nachricht am Montagmittag von einer anderen Geschäftsinhaberin, einer aktiven Republikanerin, überbracht wird, steht Carpenter vor den Ruinen seiner Existenz.

Scott Carpenter vor der Ruine seines Geschäfts.
Scott Carpenter vor der Ruine seines Geschäfts.

© Juliane Schäuble

Sein Geschäft für Büromöbel in der 60th Street ist eines der Gebäude, die bei den nächtlichen Ausschreitungen vor einer Woche zerstört wurden: Es wurde von einem unbekannten weißen Mann angezündet, soviel weiß Carpenter aus Videoaufnahmen, die im Internet kursieren – „das waren keine Schwarzen, die wütend wegen der Schüsse auf Jacob Blake wütend waren, sondern mehrere hundert Typen, die randalieren und einfach nur das Eigentum anderer zerstören wollten“. Sie hätten sogar die Feuerwehr blockiert, die Polizei sei völlig überfordert gewesen.

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„Hier war unser Showroom, dahinter waren die Büroräume. Diese Überreste, das war einmal ein Holztisch“, sagt Carpenter und zeigt auf das, was das Feuer übriggelassen hat. Auch sieben Tage nach dem Brand riecht es nach Asche und geschmolzenem Plastik. „Seit 42 Jahren gibt es unsere Firma, meine Eltern haben sie aufgebaut, die ganze Familie arbeitet hier mit. Es war hart, das alles in Flammen aufgehen zu sehen.“

Von Scott Carpenters Geschäft blieb nur eine verkohlte Ruine übrig.
Von Scott Carpenters Geschäft blieb nur eine verkohlte Ruine übrig.

© Juliane Schäuble

Carpenter erzählt das alles ganz ruhig, seine Stimme ist sanft. Gerade hat der engagierte Christ mit Hilfe einer Leiter ein großes Schild auf zwei Holzpfosten angebracht, von der Straße aus gut lesbar steht da unter anderem „No Jesus, No Peace“, in Anlehnung an den Ruf der „Black Lives Matter“-Demonstranten „No Justice, No Peace“.

In einer Nacht wurden rund 30 Geschäfte beschädigt oder zerstört

Wie ihn hat es viele Firmeninhaber getroffen, die Krawallmacher haben eine Schneise der Verwüstung durch die Gegend und durch einen weiter westlich gelegenen Teil der Stadt gezogen. In der Krawallnacht wurden nach Angaben der Feuerwehr rund 30 Geschäfte beschädigt oder zerstört, zudem viele Privathäuser.

Das ist alles, was von einem Autogeschäft in Kenosha übrig blieb.
Das ist alles, was von einem Autogeschäft in Kenosha übrig blieb.

© Juliane Schäuble

Auf der anderen Seite der 60th Street haben die Randalierer dem dortigen Autohändler alle Wagen demoliert, Scheiben wurden eingeschlagen, Reifen zerstochen. Daneben ist von einem Gebäude der Justizbehörde, wo die Bewährungshilfe angesiedelt ist, nur noch Schutt übrig.

Wenige hundert Meter weiter in der Sheridan Road sind alle Fahrzeuge eines weiteren Autohändlers in Flammen aufgegangen. Dutzende verkohlte Gerippe stehen anklagend nebeneinander – bessere Bilder könnte sich Trump im Wahlkampf kaum wünschen.

„Keine Ahnung, warum das ausgerechnet uns hier getroffen hat. Wir sind alles kleine Firmeninhaber, niemand wird hier reich“, sagt Carpenter. Dann erzählt er von der großen Hilfsbereitschaft in der Stadt, „das bringt uns hier alle noch näher zusammen“. Und davon, wie dankbar er dem Präsidenten sei, der die Unruhen gestoppt habe. „Er hat uns gerettet, indem er die Nationalgarde geschickt hat, gegen den Willen des Gouverneurs“ – das zumindest sei sein Wissensstand. Schon alleine dafür wolle er ihn im November wählen.

„Ich danke dem Präsidenten“

Dankbar ist auch Trent Noah, ein 46-jähriger Friseur mit vielen Tattoos an den Armen. „Donald Trump hat meine Familie gerettet. Auch wenn es heutzutage gefährlich ist, so etwas zu sagen: Ich danke dem Präsidenten.“

Trent und Sarah Noah.
Trent und Sarah Noah.

© Juliane Schäuble

Mit seiner vier Jahre älteren Frau Sara, die ebenfalls als Friseurin arbeitet, steht er vor ihrem roten Holzhaus aus dem 19. Jahrhundert und ist sichtlich aufgewühlt, als er von der Krawallnacht vor einer Woche erzählt.

Als die Randalierer auch durch seine Straße zogen und seine Frau bedroht hätten, als die das Haus mit Wasser habe einsprühen wollen, um es vor möglichen Flammen zu bewahren. „Die haben ihr gedroht, dass sie das sein lassen solle, dass sie kein Recht habe, ihr Eigentum zu schützen. Wer tut denn sowas? Wir dachten, wir würden sterben.“

Seine Frau ergänzt: „Die Polizei sagte uns nur, dass wir zuhause bleiben und die Tür verrammeln sollten.“

[Mehr zum Thema: Lesen Sie hier, wie Trump „Patrioten“ zum Kampf gegen das „Chaos“ mobilisiert.]

Er selbst, sagt Trent Noah, sei auf der problembeladenen Südseite Chicagos aufgewachsen, als Weißer unter Schwarzen. „Ich habe erleben müssen, dass mein bester Freund von der Polizei erschossen wurde, er war schwarz. Ich verstehe die Wut, ich würde sofort mit ihnen protestieren. Aber das, was hier passiert ist, ist nicht okay. Das waren professionelle Krawallmacher. Das war kein friedlicher Protest und hatte auch nichts mit dem berechtigten Kampf gegen Rassismus zu tun.“

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In diesem Moment fährt ein grauer Mercedes vor. Ein mittelalter Afroamerikaner kurbelt die Scheibe hinunter und fragt, ob jemand hier die Familie des getöteten Anthony Huber kenne, er wolle diese bei den Beerdigungskosten unterstützen.

Sohn Tristan Noah, der gerade die Holzbretter bunt bemalt, die die Fenster schützen, nickt langsam und kommt dann ums Haus herumgelaufen. Ja, er habe Huber gekannt, sagt er, sie seien zusammen Skateboard gefahren. Nach kurzem Zögern gibt er dem Unbekannten die Nummer von Hubers Freundin. Dann macht er sich wieder an seine Malarbeit.

Über seinen Freund will er nur sagen, dass der ein freundlicher Typ gewesen sein, was genau passiert sei, wisse er nicht. Vielleicht will er auch einfach nicht darüber reden, wie so viele in Kenosha lieber darüber schweigen, wer woran möglicherweise Schuld trägt. Damit brocke man sich nur Ärger sein, heißt es immer wieder. Die Wunden sind noch sehr frisch, viele haben Angst vor neuen Konfrontationen.

„Wir dürfen nicht in Trumps Falle tappen“

Dass es dazu kommt, wollen auch schwarze Aktivisten verhindern, allen voran die Bürgerrechtsikone Jesse Jackson. Der 78-Jährige, der vor vielen Jahren mal demokratischer Präsidentschaftskandidat werden wollte, ist extra in die Stadt gekommen, trotz seiner Parkinson-Erkrankung.

Jesse Jackson bei seinem Besuch in Kenosha.
Jesse Jackson bei seinem Besuch in Kenosha.

© Juliane Schäuble

Am Montagabend hält er eine kleine Pressekonferenz am Kenosha County Courthouse, vor dem derzeit täglich demonstriert wird. Mit leiser Stimme sagt er, dass er fordere, dass die weißen Polizisten, die auf den Schwarzen Jacob Blake schossen, angeklagt würden, genauso wie der 17-jährige R., der zwei Menschen umgebracht habe.

Aber am nächsten Tag, das ist Jackson wichtig, solle es keine Großdemonstration gegen Trumps Besuch geben. „Wir dürfen nicht in seine Falle tappen“, der Präsident wolle die Lage in Kenosha nur für seinen Wahlkampf ausnutzen.

Stattdessen sollten die Bürger lieber an dem Ort zusammenkommen und miteinander Zeit verbringen, an dem Blake vor knapp zehn Tagen mit sieben Schüssen in den Rücken niedergestreckt wurde – während drei seiner Kinder vom Auto aus zusahen.

Seit den Schüssen ist Blake von der Hüfte abwärts gelähmt

Was damals genau passiert ist, ist immer noch unklar. Die Ermittlungen, die das Justizministerium von Wisconsin leitet, könnten noch Wochen dauern. Es heißt, der 29-jährige Blake habe sich einer Festnahme widersetzt, nachdem er seiner Ex-Freundin zu nahe gekommen sei. Im Auto soll ein Messer gelegen haben, er selbst aber zum Zeitpunkt der Schüsse unbewaffnet gewesen sein.

Die Polizisten sind vom Dienst suspendiert, ob sie sich vor Gericht verantworten müssen, entscheidet sich möglicherweise in den nächsten Tagen.

Justin Blake, der Onkel von Jacob Blake.
Justin Blake, der Onkel von Jacob Blake.

© Juliane Schäuble

Was feststeht, ist, dass Blake seit dieser Nacht von der Hüfte abwärts gelähmt ist. Hoffentlich nur temporär, sagt sein Onkel Justin Blake, der mit Jesse Jackson zusammen auftritt. Er fordert „Gerechtigkeit für den kleinen Jacob“. Auch er lehnt Trumps Besuch ab, sagt aber ebenfalls, dass dagegen nicht protestiert werden solle.

Sie schreien sich ihre Wut aus der Seele

Am Tag des Besuchs folgen einige dieser Aufforderung. Beim Straßenfest rund um den Tatort in Wilson Heights, einem der ärmeren Viertel im Westen von Kenosha, werden Reden gehalten, eine Hüpfburg steht für Kinder bereit, und wer mag, kann sich die Haare schneiden oder einen Corona-Test machen lassen.

Anhänger von US-Präsident Trump und Unterstützer der "Black Lives Matter"-Bewegung treffen vor einem Park vor dem Kenosha County Courthouse aufeinander.
Anhänger von US-Präsident Trump und Unterstützer der "Black Lives Matter"-Bewegung treffen vor einem Park vor dem Kenosha County Courthouse aufeinander.

© Morry Gash / dpa

Aber ein paar „Black Lives Matter“-Demonstranten kommen dennoch in die Innenstadt, um dem Präsidenten den Mittelfinger entgegenzurecken und sich ihre Wut aus der Seele zu schreien. Sie treffen auf Trump-Anhänger, die ihm applaudieren und sich nichts mehr wünschen, als dass dieser Präsident sie „vier weitere Jahre“ regieren kann.

An der Kreuzung Sheridan/60th baut sich eine Handvoll junger schwarzer Frauen vor ebenso vielen älteren Weißen auf, jede Seite versucht die andere mit ihren Rufen zu übertönen. Sie sind wütend und machen gar nicht erst den Versuch, miteinander ins Gespräch zu kommen. Masken tragen sie alle nicht. Nachdem Trumps Karawane vorbeigefahren ist, zerstreut sich die Menge rasch wieder.

Trump spricht von „Terrorismus“ und verteilt Geld

Der Präsident trifft dann tatsächlich mit Scott Carpenter und anderen Geschädigten zusammen. Danach besucht er das in einer Schule eingerichtete Kommandozentrum der Sicherheitskräfte in Kenosha. Während seiner Termine sagt Trump Sätze wie die, dass die Krawalle „antiamerikanisch“ gewesen sein, beileibe kein friedlicher Protest, sondern „inländischer Terrorismus“.

Die Fassaden wurden notdürftig mit Brettern abgedeckt - auf denen sich jetzt Friedensbotschaften befinden.
Die Fassaden wurden notdürftig mit Brettern abgedeckt - auf denen sich jetzt Friedensbotschaften befinden.

© Juliane Schäuble

Die Demokraten, die in Kenosha wie „in allen anderen“ von Unruhen erschütterten Städten regierten, hätten versagt. Zudem hat er Geldgeschenke mit im Gepäck: Der Polizei vor Ort verspricht er eine Million Dollar an Unterstützung und den betroffenen Unternehmern vier Millionen für ihren Wiederaufbau.

Keine Zeit hat er eingeplant für die Familie von Jacob Blake – denn, so sagte er vor seiner Reise, die hätte ihn nur im Beisein ihrer Anwälte sehen wollen. Das lehne er ab. Knapp zwei Stunden später fährt seine Karawane wieder los Richtung Flughafen. Er hat die Bilder bekommen, die er wollte. Und was hat die Stadt bekommen?

Kenoshas Bürgermeister John Antaramian sagt im Anschluss im Fernsehsender CNN, das Problem sei, zu viele würden reden, aber zu wenige zuhören. Aber er sagt auch, er glaube nicht, dass die Probleme jetzt noch größer werden. Die Stadt sei stark.

Abends gilt die Ausgangssperre

Anders, als manche befürchtet haben, bleibt es nach dem Kurzbesuch tatsächlich ruhig. Das liegt wohl einerseits an der unübersehbaren Präsenz von Polizei und Nationalgarde in der Stadt. Sie füllen die Hotels auf, die ansonsten unter den ausbleibenden Touristen leiden, und stehen bereit, notfalls einzugreifen.

Es bleibt aber auch ruhig wegen der Ausgangssperre, die in Kenosha ab 19 Uhr gilt. Die Innenstadt nahe am Ufer des Lake Michigan leert sich bereits deutlich zuvor, die wenigen offenen Restaurants und Bars schließen frühzeitig. Es gibt wenig Grund, downtown zu verweilen – trotz immer noch sommerlicher Temperaturen.

[Mit dem Newsletter „Twenty/Twenty“ begleiten unsere US-Experten Sie jeden Donnerstag auf dem Weg zur Präsidentschaftswahl. Hier geht es zur kostenlosen Anmeldung: tagesspiegel.de/twentytwenty.]

Schwere Zeiten für amerikanische Innenstädte, die ohnehin schon unter der Corona-Pandemie leiden. Die Unruhen kommen noch dazu: In Kenosha sind eigentlich alle Fenster der innerstädtischen Gebäude mit Brettern vernagelt.

In einem rührenden Versuch, aus dieser gespenstischen Situation das Beste zu machen, hat die Marketing-Initiative der Stadt diese mit Botschaften von Liebe und Einheit, mit „Black Lives Matter“- und „Wir sind stark“-Sprüchen bemalen lassen. Auch Künstler von außerhalb sollen dafür eigens in die Stadt gekommen sein.

Und doch: Trotz der bunten Botschaften deprimiert der Zustand – auch, weil nicht absehbar ist, wann sich die Lage wieder ändert.

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