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Der Deutsche Bauernverband bezeichnet die Arbeit der Tierschutz-Aktivisten als „Selbstjustiz“.

© Ariwa

Dokumentation von Tierquälerei: Tierschutz-Aktivisten: Verbrecher, Spinner oder Helden?

Sie dringen mit Kameras in Zuchtbetriebe ein. Brechen das Gesetz für gequälte Schweine oder Rinder. Die Politik will die Tierschützer härter bestrafen.

Die Aufnahmen zeigen das Innere eines Schweinestalls. Links und rechts sind die ausgewachsenen Sauen aufgereiht, jeweils durch Metallgitter fixiert. Eine Frau greift sich mehrere Ferkel, zieht das erste Tier an den Hinterläufen in die Höhe. Dann holt sie aus, wie man mit einem Federballschläger ausholen würde, und klatscht es mit dem Kopf voran auf den Stallboden. Das Ferkel strampelt, ist offensichtlich noch bei Bewusstsein, doch die Mitarbeiterin beachtet es nicht weiter, sucht sich das nächste. 23 Ferkelschädel werden so nacheinander auf den Boden geschmettert.

Das Video stammt aus einem Schweinezuchtbetrieb im brandenburgischen Neißemünde, direkt an der polnischen Grenze. Es dokumentiert, wie Mitarbeiter der Agrargenossenschaft Neuzelle Tiere entsorgen, von denen sie vermuten, dass diese nicht schnell genug wachsen und später keinen Profit bringen werden. Nachdem das Video im Juli in der ARD ausgestrahlt wurde, versprach der Betreiber der Anlage Aufklärung.

"Wir brauchen keine Stallpolizei"

Das Filmmaterial gelangte nur deshalb an die Öffentlichkeit, weil sich Tierschützer nicht an das Gesetz hielten. Sie haben sich nachts in die Halle geschlichen und Kameras installiert. Das ist Hausfriedensbruch. Der „Bundesverband Rind und Schwein“ klagt, das Vorgehen solcher Aktivisten habe mit „Tierschutz nichts zu tun“, der Deutsche Bauernverband spricht von „Selbstjustiz“. Politiker von Union und FPD fordern, der Staat müsse härter gegen solche Tierschützer vorgehen. Genau das will auch Bundeslandwirtschaftsministeri Julia Klöckner (CDU). Sie plant noch für diese Legislaturperiode eine Gesetzesverschärfung. Klöckner sagt: „Wir brauchen keine selbsternannte Stallpolizei.“

Was sind das für Menschen, die nachts unerlaubt in Zuchtbetriebe eindringen? Die ein Recht brechen, um auf den Bruch eines anderen aufmerksam zu machen? Sind das Verbrecher, Spinner oder Helden?

Die Frau, die nachts in die Schweinezucht in Neißemünde schlich und dort Kameras installierte, lebt in Berlin, nicht weit vom S-Bahnhof Landsberger Allee. Sie stellt sich als Kirstin Hofler vor, es ist nicht ihr echter Name. Hofler ist 29 Jahre alt, zierlich, hat dunkles, zum Dutt gebundenes Haar. Sie sagt, sie mache das schon seit vier Jahren, überwiegend in den neuen Bundesländern. Sie nennt sich „Recherche-Aktivistin“.

Tagsüber studiert sie Mathematik. Kirstin Hofler sagt, sie sei keine Radikale. „Ich würde mich als vernünftigen, ziemlich maßvollen Menschen bezeichnen.“ Sie verspüre auch keine Freude darüber, nachts irgendwo in der Provinz über Zäune zu steigen und Illegales zu tun.

Warum tut sie dann genau das?

„Weil ich denke, dass es das Einzige ist, was wirkt.“

Ungefähr fünf Nächte im Monat ist sie unterwegs. Immer im Team mit einer Handvoll Gleichgesinnter. Kirstin Hofler sagt, ihre Gruppe habe einige Grundsätze. Sie brechen nirgends ein, knacken keine Schlösser. In großen Anlagen gebe es meistens offene Türen oder Luken, zur Not kröchen sie durch Müllklappen ins Innere. Und wenn sie partout keinen Eingang finden? „Dann ziehen wir wieder ab, auch das kommt vor.“

Sie hat gesehen, wie sich Tiere gegenseitig erdrücken

Bei ihren Einsätzen trägt die Gruppe Einweg-Overalls und -Schuhüberzieher, dazu Atemmasken, damit ihnen hinterher kein Landwirt vorwerfen kann, sie hätten Keime in den Stall gebracht. Einer aus dem Team lässt eine Kamera laufen. Zu Beginn hält er eine Tageszeitung und ein GPS-Gerät vor die Linse. So ist belegbar, wann und wo die Bilder entstehen.

Dazu kommen unzählige Stunden, in denen Hofler die Videoaufnahmen sichten muss. Sie hat gesehen, wie sich Tiere gegenseitig erdrücken, wie sie in ihrem Kot liegen, wie Ferkeln ohne Betäubung die Schwänze und Hoden entfernt, Eckzähne abgeschliffen werden. Sie sah, wie lebende Tiere in Kadavertonnen geworfen wurden. Alles Dinge, sagt Hofler, die von der Bevölkerungsmehrheit selbstverständlich abgelehnt würden.

Aber die Mehrheit zieht deshalb nicht los und begeht Hausfriedensbruch.

„Vielleicht unterscheidet uns, dass ich nicht gut verdrängen kann. Dass ich mich schnell verantwortlich fühle.“

Ein Problem sei, dass der Staat seiner Aufgabe nicht nachkomme. Und zwar in einem Ausmaß, das fassungslos mache. Kontrollen der Veterinärämter seien selten, weil es viel zu wenige Kontrolleure gebe. Kirstin Hofler sagt, in Deutschland werde ein Nutztierbetrieb im Durchschnitt alle 17 Jahre kontrolliert. Diese Zahl hat Hofler nicht selbst errechnet, sie kommt von der Bundesregierung, veröffentlicht im Juli dieses Jahres. Besonders dünn ist die Prüfdichte in Bayern: Hier werden Betriebe alle 48 Jahre aufgesucht. Die meisten Kontrollen sind vorher angekündigt.

Anzeigen, die Tierschützer stellen, bleiben oft folgenlos.
Anzeigen, die Tierschützer stellen, bleiben oft folgenlos.

© Ariwa

Was Kristin Hofler praktisch überall in der Schweinezucht vorfindet, sind zu enge Kastenstände. Das sind die körpergroßen Metallkäfige, in denen Sauen wochenlang fixiert werden. Laut Gesetz muss der Stand mindestens so breit sein, dass das Tier darin mit ausgestreckten Beinen liegen kann. In der Realität sind es meist nur 60 bis 70 Zentimeter, sagt Hofler, das reiche niemals.

Die nächtlichen Touren durch die Anlagen sind surreal. In den großen werden 60.000 Tiere gehalten. Manchmal läuft dort nachts Radiomusik, sagt Hofler, sie weiß nicht, ob das die Tiere beruhigen soll oder ob Mitarbeiter das Ausstellen vergessen haben. Immer jedoch seien die Hallen mit dem Quieken der Schweine erfüllt.

Sie sagt, es gehe besser, wenn sie diejenige im Team mit der laufenden Kamera sei. Weil sie dann alles nur durchs Display sehe, das sei ein Filter, um die Realität nicht so nah an sich heranzulassen. Richtig schlimm wird es, sobald eines der Tiere aus der Menge heraussticht, Blickkontakt aufnimmt. Oder noch ärger: wenn sie es anfassen muss. Wie das Ferkel, dass in einer Bodenspalte festklemmte, die Mutter lag halb auf ihm drauf. Hofler befreite es, ließ es dann zurück. „Es wird nicht mehr lange gelebt haben. Aber was hätte ich tun sollen?“

Ein paar Informationen will sie nicht offenlegen: Ob und wie lange sie eine Anlage vorher observieren, welche Hilfsmittel sie verwenden, wer ihnen die Tipps gibt, in welche Betriebe sich das Eindringen lohnt. Gäbe Hofler dieses Wissen preis, könnte es der Gegenseite helfen.

"Das Totschlagen von Ferkeln hat System"

Ihr Material veröffentlicht sie nie direkt. Zu riskant, dass ihr jemand auf die Spur kommt. Sie gibt es an Tierschutzorganisationen, die es dann den Medien zur Verfügung stellen. Im Fall der Schweinezucht in Neißemünde hat Hofler ihr Video „Animal Rights Watch“ zugespielt – einem Verein, der den Komplettausstieg aus der landwirtschaftlichen Tierhaltung fordert. Er unterhält ein Büro in der Hermannstraße in Neukölln. Sprecherin Sandra Franz sitzt im Konferenzraum und sagt: „Das Totschlagen von Ferkeln hat System.“ Nach ihrer Schätzung werden so jedes Jahr vier Millionen Jungtiere entsorgt. Im Einzelfall kann fachgerechtes Töten legal sein, nämlich wenn das Tier nicht lebensfähig ist und erlöst werden muss. Die Aufnahmen aus Neißemünde zeigen etwas anderes: Dort haben die Angestellten rein nach der Körpergröße der Schweine entschieden.

„Animal Rights Watch“ hat Strafanzeige gegen die Mitarbeiter in dem Video gestellt. Dass sie wirklich verurteilt werden, glaubt Sandra Franz nicht. „Wir mussten leider die Erfahrung machen, dass Ermittlungen gegen solche Verstöße gegen das Tierschutzgesetz fast immer eingestellt werden.“ Sie hat einen ganzen Aktenordner voller Beispiele: Die Staatsanwaltschaft Chemnitz weigerte sich in einem Fall, überhaupt Ermittlungen aufzunehmen, weil der betroffene Betrieb in der Vergangenheit nicht negativ aufgefallen sei. In einem anderen argumentierte die Staatsanwaltschaft Magdeburg, man wisse sehr wohl um die schweren Missstände, bei Kontrollen habe man aber keine Tiere gesehen, „die körperliche Verletzungen aufgrund der Haltungsbedingungen aufwiesen.“

Franz sagt, Teil des Problems sei, dass die Mitarbeiter der Veterinärämter nicht von Bund oder Land, sondern von der Kommune bezahlt werden. In der Provinz seien Zuchtbetriebe aber häufig ein wichtiger Steuerzahler. „Ist doch klar, dass man sich dann arrangiert.“

Ein FPD-Mann spricht von Manipulation. Belege hat er nicht

Stattdessen würden diejenigen kriminalisiert, die auf die Missstände aufmerksam machen – zum Teil mit grotesken Vorwürfen. Zum Beispiel dem, die Tierschützer würden ihre Videos manipulieren. Besonders energisch vertritt diese Behauptung der FDP-Bundestagsabgeordnete Gero Hocker. Er sagt, heimlich aufgenommenes Filmmaterial aus Tierställen sei in „99 Prozent der Fälle manipuliert“ und entspreche nicht der Realität. Es spricht nichts dafür, dass er recht hat. Wenn man Gero Hocker fragt, wie er auf die Idee komme und ob er ein Beispiel nennen könne, wo Bilder aus einem Mast- oder Zuchtbetrieb manipuliert wurden, kommt von Hocker auch auf mehrfache Bitte: nichts. Aus dem Umfeld seiner Fraktion heißt es, Hocker werde wohl auch in Zukunft keine Belege nennen können, sein Vorwurf sei nämlich ausgedacht. Auch dazu nimmt Hocker gegenüber dem Tagesspiegel keine Stellung.

Am Küchentisch ihrer Berliner Wohnung hat Kirstin Hofler den Laptop hochgefahren. Auf der Festplatte zeigt sie Dutzende Ordner mit Filmmaterial früherer Einsätze. Zum Beispiel der Schlachthof, in dem sie vergangenes Jahr war. Hofler öffnet die Datei. Man sieht, wie Männer mit Elektroschockern immer wieder einer Kuh ins Gesicht stechen. Sie wollen sie durch einen Gang ins Innere des Schlachthofs treiben. Der Mann brüllt „Du blöde Kuh, jetzt hab dich nicht so“ und sticht weiter zu.

Wenn Kühen bei Bewusstsein die Kehle durchschnitten wird

Hofler spult vor. Eine andere Kuh soll mit Bolzenschuss gegen den Kopf bewusstlos gemacht werden. Denn erst wenn das Tier bewusstlos ist, darf man die Kehle durchschneiden. Bei dieser Kuh funktioniert das nicht. Der Mitarbeiter schießt einmal, zweimal, dreimal, die Kuh liegt am Boden und strampelt mit den Füßen. Der Mann gibt zwei weitere Bolzenschüsse ab, dann noch zwei. Ohne Erfolg. Nach dem achten verliert er die Geduld, nimmt das Messer und ritzt der strampelnden Kuh die Kehle auf. Kein Kollege schreitet ein.

Als sie diese Szene das erste Mal gesehen habe, musste sie sich hinlegen, sagt Kirstin Hofler. Und dann abschalten. Sie ging rüber zu Freunden, ein Bier trinken, „The Big Lebowski” schauen. Änderte nichts an der Situation, sagt Hofler, aber half, den Abend zu überstehen. Am nächsten Tag ging es wieder.

Früher hat sie ehrenamtlich im Tierheim gearbeitet, einen Hund aus dem Heim zu sich genommen. Sie nahm an Protesten gegen Zuchtanlagen teil und gegen Tierversuche. Sie lebt vegan. Hofler sagt, sie verspüre, mit etwas Abstand, keine Wut auf die einfachen Arbeiter. Weder die Ferkeltotschläger noch die Kuhmisshandler. Die stünden unter Druck, seien schlecht bezahlt und schlecht ausgebildet. Das System sei schuld.

Sie ist bei ihren Einsätzen noch nie erwischt worden. Falls das passiere, sei es eben so. Deshalb werde sie ihre Arbeit nicht einstellen. „Außerdem ist es nicht sicher, dass ich tatsächlich bestraft würde.“

Ein Urteil, das vieles ändern könnte

Im Februar dieses Jahres gab es ein Urteil, Tierschützer halten es für eine Sensation. Sachsen-Anhalts Oberlandesgericht Naumburg sprach in dritter Instanz drei Tierschützer frei, die vor fünf Jahren in der Schweinezucht und -mast Sandbeiendorf Videos gemacht hatten. Die Sauen dort waren in zu engen Kastenständen eingesperrt, viele hatten keinen Zugang zu Trinkwasser, einige Buchten waren überbelegt. Das Gericht ging zwar von Hausfriedensbruch aus, sieht aber „rechtfertigenden Notstand“. Die Tierschützer hätten durch das heimliche Betreten der Ställe schwere Fälle von Tierquälerei aufgedeckt – und keine anderen Möglichkeiten gehabt, die Behörden zum Einschreiten zu bewegen. Tatsächlich hatte das zuständige Amt zuvor Hinweise erhalten, aber nichts unternommen. Erst der öffentliche Druck habe die staatliche Verfolgung ermöglicht.

Die drei Angestellten in Neißemünde, die beim Ferkeltöten erwischt wurden, dürfen weiter im Betrieb arbeiten. Frank Matheus, Vorsitzender der Agrargenossenschaft Neuzelle, sagt, jeder habe doch eine zweite Chance verdient. Und dass die Betroffenen noch einmal „geschult“ wurden. Ob er glaube, dass seine Mitarbeiter die Tiere systematisch, möglicherweise jahrelang misshandelten oder ausgerechnet an dem Tag anfingen, als die Kameras installiert waren, will Frank Matheus nicht sagen. Die Aktion der Tierschützer findet er jedenfalls kontraproduktiv. Unter anderem werde es so nämlich schwieriger, „junge Leute dazu zu bewegen, eine landwirtschaftliche Ausbildung zu machen.“

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