zum Hauptinhalt

Doktor Körners gesammeltes Schweigen: Jördis Triebel greift mit den Augen zu

Was erfährt man über einen Menschen, wenn man nicht mit ihm spricht? Diesmal: die Schauspielerin Jördis Triebel.

Die Schauspielerin Jördis Triebel in Prenzlauer Berg.
Die Schauspielerin Jördis Triebel in Prenzlauer Berg.

© Marcel Maffei

Wo man schweigt, wird es still, wird es Abend. Wo man schweigt, fangen Dinge an zu atmen, Menschen rauschen wie Bäume zwischen Herbst und Winter. So fühlt es sich an, wenn man mit Jördis Triebel durch den Palast der 1001 Pinsel stromert: Künstlerbedarf Boesner in Prenzlauer Berg. Weg mit Schal und Mütze, die Interaktionsfestspiele zwischen ihr und mir, Ding und Mensch, Schall und Raum beginnen. Sie taucht ihre Nase ins Papier, streicht über Leinwände, lässt ihre Fingernägel als Stepptänzer brillieren, prüft Farben hier und Pinsel dort. Plötzlich entdeckt sie den Klang von Pinselborsten, Daumenhörspiel fürs Ohr. Wir legen unseren Ohren verschiedene Pinsel ans Herz, einer klingt wie ein Vogel, der auffliegt, ein anderer wie ein sterbensmüder Reißverschluss, einer quiekt ... ach, nein, das war die Pinselleiter, die Jördis nun besteigt, um die obersten Reihen zu erkunden. Sie nimmt einen Pinsel, malt damit auf meine Wange, es könnte ein Fragezeichen sein oder die Ziffer Sieben. Wir schleichen in Zeitlupe durch den Laden, dennoch geht mir die Puste aus. Eben noch saßen wir stumm nebeneinander, jetzt prüfen wir Malerpaletten, blättern in Skizzenbüchern, spielen auf Leinwänden wie auf Gitarren, beobachten Menschen, die unversehens aussehen wie gerahmte Scherenschnitte.

Wald, Rummel, Kapelle, Raumkapsel, Atelier

Jördis ist ein Augenmensch, greift hier und da mit ihnen zu, malt Stürme ebenso wie Sonnenstrahlen, sie zaubert sich mit einer Glaskugel ein wahrhaftes Zyklopenauge auf die Stirn, man ahnt, dass ihr Blick versteinern oder erlösen, zum Tanz bitten und verdammen könnte. Das Schweigen zwischen uns lässt aus dem Laden vieles werden: Wald, Rummel, Kapelle, Raumkapsel, Atelier. Folge ich ihr auf ihren Wegen? Oder biete ich Wege an, die sie betritt? Sie bleibt ganz und gar fremd, steckt aber mit mir in einem Mantel aus nie gesprochenen Worten, der bullert wie ein Kohleofen. Vieles, das so oft getrennt scheint, muss in ihr dicht beisammen wohnen: Ruhe und Rastlosigkeit, Sorge und Sorglosigkeit, Pflicht und Spiel, Stolz und Demut, Tempo und Taumeln. Obwohl sie ne Berliner Pflanze ist, klingt ihr Schweigen wie von Joseph von Eichendorff geschrieben: Schläft ein Lied in allen Dingen. Dann verlieren wir uns aus den Augen. Draußen Krach und kalt.

Jördis Triebel, 41, studierte an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ und spielt heute in den besten deutschen Serie:  „Weissensee“, „Bad Banks“, „Dark“ und „Babylon Berlin“. Gerade dreht sie die neuen Staffeln der beiden letzteren.  

Dr. Torsten Körner, geboren 1965 in Oldenburg, ist Journalist und Schriftsteller. Für diese Kolumne führt er Interviews ohne Worte.  

Zur Startseite