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Diwan mit Mohamed Amjahid: Liebe Biodeutsche!

„Unter Weißen“ ist es nicht immer angenehm: Der ZEIT-Journalist Mohamed Amjahid hat ein Buch über Ausgrenzung und versteckte Privilegien geschrieben. Im "Diwan" von Tagesspiegel und Friedrich-Naumann-Stiftung stellt er es vor.

Es fängt schon damit an, dass viele Weiße sich gar nicht als „weiß“ empfinden. Sie finden sich selbst einfach – normal! Es ist für viele, gerade Ältere, auch völlig normal, sich in Beruf oder Freizeit vor allem mit anderen Weißen abzugeben. Das ist halt so, da braucht man gar nicht länger drüber nachzudenken.

„Unnormal“ ist derjenige, der hinzukommt und anders aussieht. So wie Mohamed Amjahid zum Beispiel. Der Sohn marokkanischer Gastarbeiter ist in Deutschland geboren, hat seine Kindheit und Jugend weitgehend in Marokko verbracht und ist zum Studium nach Deutschland zurückgekehrt. Er hat beim Tagesspiegel ein Volontariat gemacht und ist jetzt Reporter und Redakteur beim „Zeit-Magazin“. Aber da er nicht weiß ist, fühlt er sich noch immer „anders“ als die Mehrheit – oder „anders gemacht“, von denen, die es für normal halten, weiß zu sein. Und sich ihrer eigenen Privilegien meist gar nicht bewusst sind, weil sie sie eben normal finden. „Rassisten“ sind diese Menschen in der Regel nicht, oft halten sie sich sogar für aufgeklärt und tolerant. Aber sie tragen dazu bei, so empfindet es jedenfalls Mohamed Amjahid, das Gefühl des „Andersseins“ bei Nichtweißen aufrechtzuhalten: durch Blicke, Witze, vergiftetes Lob oder problematische Verhaltensweisen.

"Ich dachte, Sie wären arbeitslos"

In seinem neuen Buch „Unter Weißen – Was es heißt, privilegiert zu sein“ (Hanser Berlin, 187 Seiten, 16 Euro) schildert Mohamed Amjahid einige typische Situationen: die Frau, die in der U-Bahn ihre Handtasche besonders fest hält, wenn er sich neben sie setzt; der Polizist am Bahnhof, der ihn kontrolliert und seinen weißen Begleiter nicht; oder die Maklerin, die seine Bewerbung um eine Wohnung nicht beachtet und das so begründet: „Ich dachte, Sie wären arbeitslos“. Drei Menschen, die ihn allein aufgrund seiner äußeren Erscheinung in eine Schublade stecken. „Wahrscheinlich haben alle drei noch nie selbst die Erfahrung gemacht, grundlos als kriminell, gefährlich oder faul dargestellt zu werden“, schreibt Amjahid. Aber er fühlt sich auch nicht wohl, wenn er etwa dafür gelobt wird, wie gut er Deutsch spricht oder was für liberale Ansichten er hat – denn damit werde er implizit zur Ausnahmeerscheinung erklärt. „Wenn ich zum Vorbild erkoren werde, werden andere Nichtweiße automatisch als Integrationsverweigerer abgetan.“

Mohamed Amjahid wird sein Buch in der neuen gemeinsamen Veranstaltungsreihe „Diwan“ von Tagesspiegel und Friedrich-Naumann-Stiftung vorstellen. In dieser Reihe geht es um Themen rund um Flucht, Integration, Migration, eine Simultanübersetzung ins Arabische erlaubt es auch Geflüchteten und Menschen mit schwachen Deutschkenntnissen teilzunehmen. Bei der letzten Veranstaltung war Firas Alshater, ein syrischer Youtuber, zu Gast, der betonte, er selbst habe in Berlin noch keinerlei Rassismus erlebt. Es ist offenbar sehr unterschiedlich, was ein Individuum als „rassistisch“ oder als ausgrenzende Verhaltensweise interpretiert.

Das Privilegien-Spiel

Dass Ausgrenzung und Herabwürdigung nicht nur zwischen Weißen und Nicht-Weißen vorkommen, versteht sich von selbst. Auch andere Bevölkerungsgruppen wie Homosexuelle, Frauen oder Menschen mit Behinderungen können davon berichten – und nicht zuletzt gibt es pauschale Abwertung anderer auch innerhalb von migrantischen und benachteiligten Gruppen selbst. Um herauszufinden, wo man selbst im komplexen sozialen Gefüge steht, kann man das „Privilegien-Spiel“ spielen, von dem Mohamed Amjahid im Buch berichtet. Dabei stellen sich die Teilnehmer in einer Reihe auf und gehen jeweils einen Schritt nach vorne oder zurück, je nachdem ob sie eine „Privilegien-Frage“ für sich mit Ja oder Nein beantworten. Wer auf die Frage „Können Sie problemlos ins Ausland reisen?“ mit Ja antwortet, geht einen Schritt nach vorne, wer auf die Frage „Werden Sie von der Polizei an Bahnhöfen und Flughäfen ignoriert?“ Nein antwortet, geht zurück. Am Ende haben sich die Teilnehmer im Raum verteilt, und zwar meist so: Die Weißen, in Deutschland Geborenen, sind vorne, die Nichtweißen hinten. Und die „Biodeutschen“ wundern sich am meisten über dieses Ergebnis, denn sie hätten nicht gedacht, dass sie so viele Vorteile haben!

Kein Mensch ist frei von Vorurteilen

Mohamed Amjahid jedenfalls möchte „der biodeutschen Mehrheit den Spiegel vorhalten“, sie dazu ermuntern, über ihre eigenen Gewohnheiten nachzudenken. Kein Mensch sei frei von Vorurteilen, auch er selbst nicht, gibt er zu. Aber der erste Schritt sei Ehrlichkeit gegenüber sich selbst – und das ernsthafte Bemühen, die Perspektive des jeweils anderen einzunehmen. Und so spricht Amjahid im Buch die „biodeutsche Mehrheit“ ganz direkt an: „Nur mit Ihnen als reflektierter, engagierter und denkender weißer Person können wir gemeinsam unsere Gesellschaft ein bisschen gerechter, friedlicher und angenehmer gestalten.“

BUCHVERLOSUNG

Wir verlosen Exemplare des Buchs. Mitmachen können Sie hier, oder Sie schreiben eine Postkarte an Der Tagesspiegel, Askanischer Platz 3, 10963 Berlin, Stichwort: Salon, bis zum 23. April.

Diwan mit Mohamed Amjahid: Montag, 22. Mai, 19 Uhr. Mit Simultanübersetzung ins Arabische. Veranstaltung in Kooperation mit der Friedrich-Naumann-Stiftung. Zur Anmeldung.

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