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Jaafar Abdul Karim thematisiert in seiner Sendung "Shababtalk" auch Homosexualität und Gleichberechtigung für arabische Zuschauer.

© Deutsche Welle

Diwan am 17. Januar 2019: Freiheit gilt für alle

Deutsche-Welle-Moderator und Buchautor Jaafar Abdul Karim erklärt, warum ihn die Benachteiligung von Frauen in der arabischen Welt so aufregt.

Wie tickt die junge arabische Community – in den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens und hier in Deutschland? Jaafar Abdul Karim, Journalist bei der Deutschen Welle und Leiter der Jugendsendung „Shababtalk“, hat dazu das Buch „Fremde oder Freunde?“ geschrieben. Abdul Karim stellt sein Buch am 17. Januar 2019 im Rahmen der Reihe „Diwan“ im Tagesspiegel-Haus vor. Der folgende Text ist ein leicht bearbeiteter Auszug aus Jaafar Abdul Karims Buch.

Ich als Mann habe mehr Rechte als eine Frau – das gilt in den arabischen Gesellschaften als unumstößlich. Das ist mein persönliches Gefühl, das ich hatte, als ich in arabischen Ländern lebte, und auch jetzt, wenn ich in diesen Ländern unterwegs bin, noch habe. Es ist das Gefühl, dass ich als Mann automatisch privilegiert werde, dass ich mehr Rechte habe, dass meine Meinung, meine Autorität, meine Haltung in der Familie mehr Gewicht haben. Dabei gibt es nichts, was mich mehr stört als Diskriminierung, sei es aufgrund des Geschlechts oder der Herkunft, aufgrund der Hautfarbe oder auch der sexuellen Ausrichtung. Seit ich denken kann, werde ich wütend, wann immer ich auf Diskriminierung stoße.

Eine große Sehnsucht

Die arabischen Länder sind eindeutig konservativ, religiös und traditionell geprägt. Trotzdem ist spürbar, dass sich etwas bewegt. Das erlebe ich immer wieder, wenn ich mit meiner Sendung „Shababtalk“ für die Deutsche Welle in den arabischen Ländern unterwegs bin und mit jungen Menschen diskutiere. Viele von ihnen wünschen sich mehr Freiheit: Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und individuelle Freiheit. Es gibt eine große Sehnsucht danach, so zu sein, wie man ist – unabhängig von der Schicht, Religion, vom Clan, vom Stamm oder von der Familie, in die man geboren wurde. In unserer Sendung kommen junge Frauen zu Wort, die ihre Lebensbedingungen nicht einfach so hinnehmen wollen, junge Männer, die nicht einfach ihre Privilegien als Mann genießen wollen. Männer, die eben nicht denken, dass sie mehr Rechte haben, nur weil sie Männer sind.

Die UN veröffentlichten 2017 die spannende Studie „Understanding Masculinities“, in der mehrere zehntausend Männer und Frauen im Libanon, in Marokko, in Ägypten und palästinensischen Autonomiegebieten nach ihrem Selbstbild befragt wurden. Erstaunlich ist, dass jeweils 50 Prozent der Männer – genau wie 50 Prozent der Frauen – die Ansicht vertraten, dass Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern nicht zu ihrer Tradition und Kultur gehöre. 80 Prozent der befragten Palästinenser sind der Meinung, die wichtigste Aufgabe der Frau seien Haus und Kinder. Genauso waren 80 Prozent der an der Umfrage teilnehmenden Männer der Meinung, dass Arbeitsplätze zunächst ihrem Geschlecht vorbehalten sein sollten. 66 Prozent der Männer erklärten, dass sie die Chefs in der Familie seien und bestimmen würden, welche Freiheiten die Frauen bekämen. Die Ehemänner bestimmen zu zwei Dritteln, was ihre erwachsene Frau tragen darf, wohin sie gehen darf und ob sie – und wenn ja, was – arbeiten darf.

Viele Gesetze benachteiligen Frauen

Frauenunterdrückung ist in vielen arabischen Ländern auch auf Gesetzesebene festgeschrieben. Mich überrascht immer wieder, dass viele Frauen diese Gesetze nicht als diskriminierend wahrnehmen. Viele haben diese Haltung: „Alles ist doch gut, ich darf doch auf die Straße gehen, und wenn mein Mann oder Bruder wissen wollen, wo ich bin, was ich mache und wann ich nach Hause komme, dann ist das doch nur, weil sie sich um meine Sicherheit sorgen und das Beste für mich wollen.“ Ich hinterfrage, wenn Gesetze, welche die Erbschaft, die Heirat, die Scheidung und das Sorgerecht für die Kinder nach der Scheidung regeln, sich an der für Muslime von Gott gegebenen Scharia statt an der Menschenrechts-Charta orientieren.

Ich höre jetzt schon die Stimmen, die dem Westen, der diese Missstände benennt, vorwerfen, dass er den Islam beleidigen oder beschmutzen wolle. Aber so ist es nicht! Man muss 2018 einfach aufhören, Menschen aufgrund ihres Geschlechts zu diskriminieren – und das tun viele dieser Gesetze.

Impotenz des Mannes ist ein Scheidungsgrund

So ist es für die Frauen in den meisten Ländern schwieriger, sich scheiden zu lassen. Als ein Grund, der eine Frau legitimiert, die Scheidung einzureichen, gilt die Impotenz des Mannes. Weitere Gründe sind körperliche Misshandlungen oder die Weigerung des Mannes, für Unterkunft und Nahrung aufzukommen. Wie aber soll eine Frau auf Scheidung wegen „Impotenz“ beharren in der arabischen Welt, in der alles, was mit Sexualität in Verbindung steht, mit Verboten und Strafen belegt wird? Welche Frau traut sich, aufgrund von körperlichen Misshandlungen, die pseudoreligiös begründet oder verteidigt werden können, laut aufzubegehren?

Die libanesische Schriftstellerin Joumana Haddad bringt das Dilemma um Sex, Weiblichkeit und Tabus in der arabischen Welt auf den Punkt: „Die Frau muss sich verschleiern, um den Mann nicht in Versuchung zu führen. Weil die Männer sich nicht kontrollieren können und vor sich selbst geschützt werden müssen. Eigentlich sollten die Männer an die Leine genommen werden und nicht ihre Frauen verschleiern.“

Warum trägt der Mann kein Kopftuch?

Wenn eine Frau eigenständig, frei und selbstbestimmt entscheidet, das Kopftuch zu tragen, dann respektiere ich das, denn das ist ihr Recht, ihre Entscheidung. Allerdings verstehe ich genau, was Joumana meint. Es geht immer um den Mann. Immer muss der Mann vor Sex geschützt werden! Und das scheint nur zu gehen, wenn die Frau sich anpasst. Warum muss der Mann sich nicht anpassen, warum trägt er kein Kopftuch?

Mich persönlich freut es sehr, dass ich von den Vereinten Nationen zum „He for She“-Botschafter ernannt wurde, um diese Missstände direkt und mit noch viel mehr Nachdruck anprangern zu können. „He for She“ ist eine gemeinnützige Solidaritätskampagne von UN Women Deutschland, die sich weltweit für Frauenrechte sowie die Gleichstellung von Männern und Frauen engagiert. Jeder, egal ob Mann oder Frau, kann sich für die weltweite Stärkung der Frauen und ihrer Rechte engagieren: Einfach auf die Website gehen und sich registrieren!

Abdul Karim stellt sein Buch am 17. Januar im Rahmen der Reihe „Diwan“ vor, die der Tagesspiegel seit über zwei Jahren zusammen mit der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit veranstaltet (Beginn 19 Uhr). Moderation: Dorothee Nolte (Tagesspiegel) und Andrea Nüsse (Friedrich-Naumann-Stiftung), musikalische Begleitung: Ajo Emin (Saz) und Gregor Graciano (Piano). Die Reihe „Diwan“ist Teil des Tagesspiegel-Projekts #jetztschreibenwir mit Exiljournalisten. Der Abend mit Jaafar Abdul Karim ist zugleich Auftakt für eine Workshopreihe und eine weitere Beilage mit Exiljournalisten. Infos und Anmeldung zum Diwan.

BUCHVERLOSUNG

Wir verlosen Exemplare des Buchs. Mitmachen können Sie bis zum 5. Januar.

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