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Jeff Jarvis nimmt sich die Deutschen gerne zur Brust.

© Jake Jarvis

Tief im digitalen Graben: Jeff Jarvis fordert von Deutschen mehr Mut zu Innovationen

Angst vor Veränderung, Angst vor dem Scheitern, Angst um die Privatsphäre - der Medienwissenschaftler Jeff Jarvis sieht die Deutschen digital in der Defensive. Das bleibt nicht ohne Widerspruch.

Dorothee Bär hat Jeff Jarvis aus der Seele gesprochen. Gleich zwei Tweets generierte der mitteilsame amerikanische Medienwissenschaftler (137 000 Twitter-Follower) aus der Rede der CSU-Politikerin, die am Donnerstag eine Keynote auf der Google-Veranstaltung „Big Tent“ gehalten hatte. „Bravo. German MP @DoroBaer tells #BigTent audience that challenged biz models are not cause to call on regulators’ help“, zitierte er die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, die sich auf der Veranstaltung zwar als wertkonservativ, aber eben nicht als strukturkonservativ beschrieb. Dass die Politik als Regulierer gerufen werde, wenn das alte Geschäftsmodell nicht mehr funktioniere, könne sie nicht akzeptieren, hatte Dorothee Bär den Google-Gästen gesagt. „Darum habe ich im Bundestag auch gegen das Leistungsschutzrecht für die Verlage gestimmt.“ Es dürfe nicht sein, dass bei uns die Bildschirme dunkel blieben, während all die coolen neuen Sachen auf der anderen Seite des Atlantiks passierten, sagte die Politikerin. „German MP @DoroBaer cautions #bigtent that too much data protection could keep innovation in America.“

Ein treffenderes Statement hätte sich der Gastgeber nicht wünschen können. Außer von Jeff Jarvis. In Anlehnung an den Titel seines Buches „What would Google do?“ fragte er im „Google Tent“ nun „What would Germany do?“ und blickte dafür weit zurück in die Vergangenheit zu Gutenberg, der mit der Erfindung des Buchdrucks die Welt wie kein anderer verändert hatte. Heute jedoch sei Deutschland ein Land in Verteidigungshaltung, in dem sich die Menschen vor Veränderungen und dem Scheitern fürchteten. Deutschland solle wieder den Mut haben, zu einem Land der Innovationen und der Erschütterungen zu werden, forderte Jarvis.

"Wollen Sie Google so viel Macht geben?"

Mathias Müller von Blumencron, der Spiegel Online zu einer der bedeutendsten journalistischen Marken im Internet gemacht hatte und nach seiner Demission als „Spiegel“-Frontmann nun bei der „FAZ“ Chefredakteur Digitale Medien ist, hält ebenfalls viel davon, dass das Internet auch in Zukunft die Welt erschüttert. Doch nicht um jeden Preis und nicht in jedem Fall. Ein ums andere Mal versuchte der Deutsche dem US-Medienwissenschaftler zu erklären, warum der Europäische Gerichtshof mit seiner Entscheidung für das Recht auf Vergessen richtig geurteilt hat. Dass dies keine Beschränkung der Meinungsfreiheit bedeute. Dass es richtig sei, wenn ein Wirtschaftsunternehmen nicht darüber entscheiden darf, wie ein Mensch im Internet gesehen werde. Dass nicht jeder ein Prominenter sei. „Wollen Sie Google wirklich so viel Macht geben?“, fragte der „FAZ“-Mann Jarvis, jedoch vergebens. In der Frage der Privatsphäre ist der atlantische Graben tiefer denn je.

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