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Ein Klassiker: Das Memory-Spiel.

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Kinder-Apps auf dem Tablet: So macht auch dem Vater das Vorlesen Spaß

Apps für die ganz Kleinen boomen. Was sie bringen, ist nicht ganz klar. Vielleicht eine Menge, denn die meisten Angebote drehen sich ums Lernen.

In keinem anderen Land der Welt werde so viel darüber nachgedacht, ob, wie und für wie lange ein iPad in Kinderhände gehört, wie in Deutschland, glaubt Verena Delius. Die App-Entwicklerin merkt es an ihrem eigenen Geschäft: 90 Prozent des Umsatzes macht ihr Studio Fox & Sheep, das sich auf Apps für Kleinkinder spezialisiert hat, im Ausland. USA, Russland, China, Brasilien, Türkei – von dort kommen die meisten Downloads. Deutschland steht für die Berliner Entwickler erst an siebter Stelle. „Die Eltern hierzulande sind sehr vorsichtig“, sagt Delius. Aber irgendwie findet sie das auch gut. Es gibt ihr das Gefühl „eine von den Guten“ zu sein.

Tatsächlich wirkt Delius nicht wie jemand, dem daran gelegen ist, eine Generation der bildschirmfixierten iPad-Zombies heranzuzüchten. Ihre eigenen Kinder lässt sie nur am Wochenende ans Tablet. Trotzdem kann sie nicht so ganz nachvollziehen, warum Mamas und Papas, die selbst die ganze Zeit am Smartphone hängen, ihren Kindern diese Technologie vorenthalten wollen. Das sei doch eine Doppelmoral, beschwert sie sich.

Auch Friederike Siller hat festgestellt: Wenn die Eltern selbst mit Begeisterung daddeln, landet das iPad doch früher oder später in den Händen der Kinder. „Es ist verblüffend, wie schnell dieses Medium Einzug gehalten hat in den Familien“, sagt die Medienpädagogin der Fachhochschule Köln. „Es gibt keinen Weg zurück.“ Mit normativen Debatten über den pädagogischen Wert der digitalen Medien halten sich die Eltern deshalb auch nicht mehr auf, sagt Siller. Die Realität hat sie längst eingeholt.

Im Appstore von Apple gibt es seit 2013 einen eigenen Bereich für Kinder. GooglePlay will bald nachziehen. Weit mehr als 200 000 Kinder-Apps werden angeboten und es werden täglich mehr. Besonders Apps für Kleinkinder boomen. Denn im Gegensatz zu ihren Vorfahren sind die Tafelcomputer sprichwörtlich kinderleicht zu bedienen. Kommuniziert wird über Bilder und Sprachausgabe. Schon Zweijährige sollen so auf dem Tablet spielerisch lernen können.

Ohne Lernanspruch sind Apps für die Kleinsten unverkäuflich

„Apps insbesondere für kleine Kinder haben immer einen Lernanspruch“, stellt Christine Feil vom Deutschen Jugendinstituts DJI fest. „Sonst wären sie nicht verkäuflich.“ Gleichzeitig warnt Feil vor zu hohen Erwartungen. Eine App, die schon Dreijährigen beibringen will, die Uhr zu lesen, kann das Kind schnell überfordern. „Das ist eigentlich erst Thema in der zweiten Klasse“, sagt Feil. Hinzu kommt: „Ohne pädagogische Begleitung wird auch nicht gelernt. Das Kind tippt und wischt dann vielleicht rum, aber lernen in dem Sinne tut es nicht, weil die App-Inhalte oft nicht selbsterklärend sind.“

Anfangs waren es noch Kinderbuchautoren, Pädagogen, sogar Hausfrauen und Mütter, die ihre eigene App herausbrachten. Heute bauen vor allem Kinderbuchverlage und Spielzeughersteller ihr digitales Geschäft aus. Auch Verbände, Kirchen, Bildungseinrichtungen und Nichtregierungsorganisationen haben die Tablets als pädagogisches Werkzeug für ihre Zwecke entdeckt. Kleine Entwicklerstudios wie Fox & Sheep spüren den wachsenden Konkurrenzdruck. Alle sechs Wochen muss eine neue App raus, sagt Delius. Sonst ist man schnell weg vom Fenster.

Aus pädagogischer Sicht sei vieles, was auf den Markt kommt „Schrott“, urteilt Siller. „Aber eine Qualitätsdebatte hat noch nicht stattgefunden.“ Bereits 2013 war sie deshalb zusammen mit Kollegen der Uni Mainz angetreten, um Ordnung in den wild wuchernden Angebotsdschungel zu bringen. 250 Studierende, Eltern, Lehrer und Medienpädagogen beteiligten sich an ihrem Online-Kurs „Gute Kinder-Apps“. So entstand ein umfangreicher Kriterienkatalog, auf dessen Grundlage die Community knapp 100 Apps rezensiert und in einem Wiki veröffentlicht hat. Orientierung bietet seit diesem März auch die App-Datenbank des Deutschen Jugendinstituts DJI (siehe dazu auch das Glossar) mit knapp 160 von Fachleuten rezensierten Programmen.

Die App als pädagogische Hilfe für Eltern

Viele Apps greifen Alltagsthemen auf und präsentieren sich den Eltern als pädagogische Hilfen für die verschiedenen Phasen im Tagesablauf. Bei den Erziehungsberechtigten kommt das offenbar gut an: „Es gibt hunderttausende Zähneputz-Apps“, stellt Feil fest. Dazu passt, dass der Bestseller aus dem Hause Fox & Sheep eine App namens „Schlaf gut“ ist, eine Art interaktive Gute-Nacht-Geschichte. Eltern auf der ganzen Welt nutzten die App, um ein abendliches Ritual zu etablieren, erzählt die Entwicklerin. „Das holt die Kinder runter“, so Delius.

Die Stiftung Lesen will sogar herausgefunden haben, dass, seitdem es Bilderbücher auch als Apps gibt, immer öfter auch die Väter Lust haben, dem Nachwuchs etwas vorzulesen. Da drängt sich der Verdacht auf: Es sind gar nicht die Kinder, die nach spielerischen Apps verlangen. „Man muss auch ehrlich sein: Digitale Medien werden auch häufig dann eingesetzt, wenn die Eltern ihre Ruhe haben wollen“, räumt DJI-Mitarbeiterin Feil ein.

Fast alle Apps werden für den internationalen Markt konzipiert. Für die Entwicklerstudios ist das überlebenswichtig. Die Medienpädagogen sehen darin aber ein Problem: „Da gelten die deutschen Gesetze nicht, sondern die amerikanischen Vorgaben für Kinder- und Jugendschutz“, sagt Feil mit Blick auf die Plattformanbieter Apple und Google. Selbst handwerklich schön gemachte Apps kassieren so bei den Experten Minuspunkte.

In-App-Käufe sind bei Kinder-Apps ein K.o-Kriterium

Auch viele bewährte Geschäftsmodelle der App-Welt gelten bei den Medienpädagogen als K.o.-Kriterium, wenn es um Kinder geht. So sind die meisten Spiele fürs Tablet in einer Basisversion kostenlos, also „free to play“. Erst im Spielverlauf wird der Nutzer dazu verführt, Geld für Gegenstände oder Spielerweiterungen auszugeben. „So etwas gehört in keine Kinder-App rein“, kritisiert Feil. Tatsächlich lassen die Hersteller von Kinder-Apps auch mehr und mehr von solchen In-App-Käufen ab oder verbergen sie in einem gut gesicherten Elternbereich.

Doch alle Versuche, das Tablet kindgerecht zu machen, werden die größten Skeptiker nicht überzeugen können. Kritiker argumentieren: Das haptische Erleben ist vor allem für die frühkindliche Entwicklung extrem wichtig. Das ist aber selbst bei den Befürwortern völlig unbestritten. Ein Tablet kann die Interaktion mit der Umwelt simulieren aber niemals ersetzen. Bisher hat aber auch noch kein elektronisches Spielzeug Buntstifte und Bauklötze vollständig aus dem Kinderzimmer verdrängen können, so die beruhigenden Stimmen.

Feil erkennt in der Kritik am Tablet-Einsatz im Kinderzimmer den „üblichen Kulturpessimismus gegenüber den Medien, vor allem wenn es um Kinder geht“ wieder, der jahrzehntelang die Debatte um das Kinderfernsehen am Laufen hielt. Wirklich geklärt ist dieser Konflikt bis heute nicht. Wenn es um Kindererziehung geht, hat eben jeder seine Vorstellung von Richtig und Falsch. Diese Erfahrung musste auch der App-Hersteller urbn pocket machen. In der App „Das ist mein Körper – Anatomie für Kinder“ lassen sich die Figuren nur noch bis zur züchtigen Unterhose ausziehen. Viele Eltern hätten das so gewollt, sagen die Macher. Der Kompromiss: In den hinter einer Kindersicherung verborgenen Einstellungen lassen sich die Geschlechtsteile wieder sichtbar machen.

DIE KINDER-APP-DATENBANK

Die Datenbank des Deutschen Jugendinstituts mit den bislang geprüften 160 Kinder-Apps befindet sich auf www.dji.de. Im Inhaltsverzeichnis auf der linken Seite wird zunächst der Bereich „Services“ und danach die Auswahl „Datenbanken“ angeklickt. Der Link unter „Datenbank: Apps für Kinder“ führt zur Suchmaske.

BEWERTUNG: EMPFEHLENSWERT

Über die Suchmaske können Titel gezielt gesucht werden. Das Angebot lässt sich zudem über Filter zu Zielgruppe, Genre oder Schlagwörter wie z.B. Alltagsthemen oder Märchen & Sagen sowie nach Plattformen (iOS, Android, andere) eingrenzen. Unsere Bewertung der Datenbank: absolut empfehlenswert. sag

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