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Die Vorleserin: Die Frage, was wir wirklich brauchen

Das Magazin "Tagesspiegel BERLINER" ist erschienen. Worum geht es darin eigentlich? Oft hilft der Blick von außen. Ein Gast-Editorial.

Fünf Tage, nachdem Donald Trump zum Präsidenten der USA gewählt worden ist, gibt er ein Fernsehinterview. Er sitzt mit seiner Familie in einem Penthouse in der 5th Avenue, goldlastig, 100 Millionen Dollar wert. Dass sich ein Politiker als Stellvertreter der Abgehängten stilisiert und es nicht lassen kann, mit seinem Reichtum anzugeben, ist der eine erschreckende Widerspruch. Der andere ist Trumps Tochter Ivanka, die während des Interviews ein diamantenbesetztes Armband aus ihrer eigenen Schmuckkollektion trägt. Im Anschluss lässt sie per Massenmail Werbung für das Teil machen. Preis: mehr als 10.000 Dollar.

Diese Pointe wäre selbst für die „Simpsons“ zu billig; dass sie Realität ist, macht es schwierig, besonnen zu reagieren. Jeder, der genug Geld, Zeit und Interesse hat, um ein Magazin mit Lifestyleschwerpunkt aufzublättern, fühlt sich wahrscheinlich ähnlich wie ich: Die bisherige Weltordnung droht im Chaos zu versinken, von dem niemand weiß, was es für ihn selbst bedeutet. Zugleich hört man nicht auf, darüber nachzudenken, ob man wirklich geliebt wird. Oder wirklich depressiv ist. Oder wirklich zu wenig Geld verdient und deshalb bald selbst zu den Abgehängten gehört, deren Rechte von populistischer, konservativer Hardlinerpolitik mit Füßen getreten werden.

Der Tagesspiegel hat jetzt eine Zeitschriftenbeilage: den Berliner. Sie haben gerade die erste Ausgabe aufgeschlagen. Darin überlegt Laura Naumann, was es bedeutet, wenn man den Begriff „Beziehung“ seinen Ansprüchen entsprechend umdefiniert. Johannes Laubmeier schreibt über einen sizilianischen Friedhof, auf dem Messingschilder die Gräber unidentifizierter, im Mittelmeer ertrunkener Flüchtlinge kennzeichnen - und über einen Polizisten, der ihre Identitäten recherchiert. Fabian Federl arbeitet sich an Peter Altmaier als politischem Vorbild für die eigene Millenial-Generation ab. Und der Fotograf Ashkan Sahihi porträtiert junge, schwule Männer, nackt, die nach Berlin gekommen sind, um die Menschen werden zu können, die sie werden wollen.

Es geht um Vielfalt. Um Freiheit, die immer schwieriger von Konkurrenzkampf zu unterscheiden ist. Und um Produkte. Um das, was wir haben wollen, was wir haben können - und deshalb zwangsläufig auch um die Frage, was wir wirklich brauchen.

Helene Hegemann, geboren 1992 in Freiburg, ist Autorin und Regisseurin. 2017 kommt die Verfilmung ihres Romans "Axolotl Roadkill" in die Kinos, Hegemann führte selbst Regie.

Dieser Text ist zuerst gedruckt im Magazin "Tagesspiegel Berliner" erschienen, das Sie hier online lesen und herunterladen können.

Helene Hegemann

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