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Die Arbeit „Technik Hybride“ von Valentin Jauch bewegt sich an der Schnittstelle von Mensch und Maschine, Gehäuse und Gewebe.

© Valentin Jauch

Die Raumklasse an der UdK Berlin: Zwischen den Disziplinen

Die Raumklasse ist ein Ort, an dem viele der Themengebiete, mit denen sich die Studierenden der UdK sonst beschäftigen, zusammenlaufen.

Die Figur rennt, aber kommt nicht so richtig weiter, sie scheint gefangen zu sein. Ein Ventilator schaufelt Schübe frischer Luft in den Raum, auf einem Display, das an den Bildschirm eines Intensiv- Bettes erinnert, scheint ihr Herzschlag erkennbar. Später springt sie auf einem Trampolin, ertüchtigt sich an einem viereckigen Stangengebilde.

Ab und zu sehen wir, woraus sie anscheinend besteht: eine Art Hackfleischmasse, sie wabert, wuchert. Einmal sehen wir ein großes Fleischstück. Ist das ein Herz? Die Figur, das scheinbare Herz und auch die Masse pumpen sich durch ein abgesteckt erscheinendes und doch endloses Raumgebilde. Pillen fallen vom Himmel, beziehungsweise: Sie fallen durch den Raum, wo sie herkommen, bleibt unklar. Farbe fehlt völlig – bis auf das Schlachtereirot des Fleisches.

„All Time High“ heißt das Projekt. Gezeigt werde, so der Begleittext, der „konditionierte Körper, der Verlust von Emotion und das blinde Vertrauen in messbare Ergebnisse“ und die damit verbundene Entfremdung. Es ist eine recht verstörende Arbeit, die Lukas Graf abgeliefert hat, man muss an Sisyphos denken, auch an die deutsche Popgruppe Blumfeld, die Anfang der 90er Jahre skandierte: „Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg.“

Kommunikation im Raum

Gleichzeitig ist „All Time High“ ein ziemlich gutes Beispiel für das, was in der „Raumklasse“, dem Entwurfsbereich, der in seiner Langform den Titel „Raumbezogenes Entwerfen und Ausstellungsgestaltung“ trägt und im Medienhaus an der Grunewaldstraße beheimatet ist, untersucht wird.

Es geht um „künstlerisch-experimentelle Methoden in der Gestaltung von Kommunikation im Raum in unterschiedlichen Maßstäben und Kontexten“, so heißt es auf der Seite der UdK, und weiter: „Experimentelle Gestaltungsmethoden und die daraus folgende Konzeption sowie das Entwerfen und Realisieren von Strukturen, Räumen, Objekten, Situationen und Ausstellungen fließen ineinander.“

Knapper könnte man sagen: In der Raumklasse, die bis 2018 den Namen „Entwerfen Raumbezogener Systeme und Ausstellungsdesign“ trug, vereinigen sich die Kompetenzen der Visuellen Kommunikation, wie zum Beispiel räumliche Gestaltung, Grafikdesign, Typografie, Ausstellungsgestaltung, Architektur, Bewegtbild und Neue Medien.

Es wird nicht nur die Frage gestellt, wie man in einem Raum kommuniziert und wie man diese Kommunikation gestalten kann, sondern weiter gedacht: Wie definiert sich ein Raum überhaupt?

Der Pariser Platz als Spielfeld

Schnitt, eineinhalb Jahre zurückgespult: In dem Projekt „Embodied Peripheries“ setzte sich die Raumklasse im Wintersemester 2019/20 mit dem Brandenburger Tor und dem Pariser Platz auseinander. Sie untersuchte Geschichte und Geschichten, förderte Vergessenes oder Verdrängtes zutage, hinterfragte Verhältnisse.

All das übersetzten die Studierenden in eine Ausstellung, die quasi an den eigenen Körpern getragen wurde. Die Studentinnen Lara Nelke und Anna Osterberg ermächtigten sich der rot-weiß-gestreiften Absperrgitter, die den Platz oft zu einem Parcours machen. Meret Schmiese und Zora Hünermann gingen der Frage nach, wofür die Quadriga steht, Elisa Broß untersuchte den Klang des Ortes. Timur Emir Tokdemir und Julian Loscher positionierten Inventar aus dem Hotel Adlon auf dem Pariser Platz.

Zwei Beispiele dafür, was in der „Raumklasse“ passiert. Und: zwei völlig unterschiedliche Definitionen vom Themenkomplex Raum. Bei Graf ist er virtuell und eher eine Interpretation tatsächlicher Räume. Der Raum wird dystopisch gesehen, auch als Debattenraum.

Im zweiten Projekt ist ein prominenter öffentlicher Raum der Ausgangspunkt, den es neu zu lesen gilt. Eigentlich sollte die Arbeit auch aus dem Klassenraum in den öffentlichen Raum geholt und am Pariser Platz gezeigt werden. Doch erst machte der Orkan Sabine, der Anfang 2020 über Europa wütete, der Klasse einen Strich durch die Rechnung – und dann Corona.

Schade, denn interessant wären ja auch die Reaktionen gewesen: Wie gehen Passantinnen und Passanten, aber auch Ordnungspersonal am Platz mit so einer Situation um? Beschäftigen sie sich mit den einzelnen Projekten? Oder nur mit der Disruption, die so eine Aktion zwangsläufig mit sich bringt?

Arbeit mit dem multisensorischen Raum

Rund 20 Studierende umfasst die „Raumklasse“ aktuell, Bachelor- und Master-Absolventinnen sowie Meisterschüler eingeschlossen. Von gelegentlichen Gästen abgesehen stammen sie alle aus dem Studiengang Visuelle Kommunikation, wobei die Schwerpunkte völlig unterschiedlich sind: Typografinnen und Grafikdesigner sind ebenso dabei wie Studierende, die eine Affinität zu neuen Medien und deren Programmierung haben. Diese Vielfalt ist wichtig, weil es zwar Einzelprojekte gibt, aber doch viel in der Gruppe gearbeitet wird.

Die meisten von ihnen haben eine Sache gemeinsam, wie Professorin Gabi Schillig erzählt, die die Klasse seit 2018 leitet und mit Ruven Wiegert als künstlerischem Mitarbeiter zusammenarbeitet. „Viele, die zu uns kommen, denken, visuelle Kommunikation sei, zum Beispiel, Grafikdesign oder Illustration.

Projekt mit der Bewegtbild-Klasse

Für viele Studierende ist räumliches Denken zunächst einmal eine Herausforderung. Wir vermitteln ihnen dann, dass es sehr wichtig ist, auch andere Werkzeuge zu kennen, Modelle bauen, mit Materialität umgehen, räumlich zeichnen und in 3D modellieren zu können.“ Kurzum: Die Klasse schiebt die Studierenden von der zweidimensionalen Fläche in den multisensorischen Raum.

Sie zeigt ihnen Möglichkeiten auf, die mal eng mit jenen der bildenden Künste verzahnt sind, an anderer Stelle aber durchaus eine enge Verwandtschaft zum Ausstellungsdesign – Schillig bevorzugt den Begriff Ausstellungsgestaltung – besitzen.

Dabei ist die Dreidimensionalität keinesfalls aufs Digitale beschränkt: Wer in der „Raumklasse“ studiert, arbeitet auch am Objekt: So wird etwa „Tales Of Nature“, das Entwurfsprojekt des Wintersemesters 20/21, zusammen mit Projekten der Bewegtbildklasse von Professorin Anna Anders ab Oktober unter dem Ausstellungstitel „MORGEN. Experimentelle Untersuchungen und Zukunftsmodelle“ in der Domäne Dahlem gezeigt.

Während der Pandemie brach die Arbeit an Modellen weg

Das ist interessant, weil die bisherige Evolution der Arbeiten – eingangs erwähntes „All Time High“ ist ein Teil davon – in erster Linie im digitalen Raum stattfand. Dass sich die Klasse wegen Corona monatelang nicht treffen konnte, wurde dabei durchaus zu einer Chance.

Denn zwar brach die Auseinandersetzung mit Material, die Arbeit an Modellen und Objekten weg. Doch die Studierenden entdeckten neue Möglichkeiten, forschten an der Definition des Raums, entwickelten online neue Kommunikationskanäle.

Eine der interessantesten Arbeiten aus dem Projekt trägt den Titel „Technik Hybride“. Sie stammt von Valentin Jauch, und betrachtet man sie auf der Projekthomepage, die ebenso von den Studierenden gestaltet und realisiert wurde, stehen oben links, direkt nebeneinander, die Begriffe „Mensch“ und „Maschine“. Man denkt sofort an den beinahe gleichnamigen Track von Kraftwerk und dessen posthumanistischen Slogan „Halb Wesen und halb Ding“. Doch wo bei den Düsseldorfer Elektronikern aus der Liaison ein Körper wird, der sich strukturiert durch die Räume bewegt, ist bei Jauch alles in einer Schwebe begriffen.

[Infos: www.spacesofcommunication.de, www.talesofnature.de]

Bewegungs- und Schallsensoren, Gehäuse und Gewebe ergeben gemeinsam mit Mensch und Maschine ein ratterndes Ding, das beim Zuschauer weite Referenzfelder aufzieht, von den Höllenmaschinen eines Jean Tinguely über Halbleiterschaltungen oder Kfz-Motoren bis zur Bionik in der Medizin. Es sei, so sagt Gabi Schillig, durchaus eine Herausforderung, so etwas in ein Ausstellungsobjekt zu übersetzen.

Andererseits geht es in der „Raumklasse“ genau darum: aus einer eher diskursiven, künstlerischen Arbeit Erkenntnisse abzuleiten, die sich auch praktisch anwenden lassen.

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