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Langeweilemacher Lockdown.

© imago images/Ikon Images

Die große Langeweile: Ich erlebe überhaupt nichts mehr ...!

Zumindest nichts, worüber ich hier berichten könnte – vom Lockdown-Leid eines Kolumnisten.

Ich bin ja an dieser Stelle alle zwei Wochen so eine Art Stadtkolumnist. Zwar keiner, der allzu häufig die großen Themen der hohen Politik aufgreift, aber ich bin doch zumindest ein Chronist der kleinen Dinge des Berliner Alltags.

Nun bin ich aber auch eine Privatperson. Und muss mich in dieser Funktion an aktuelle Verordnungen halten. Und – nur zur Sicherheit, falls Sie die letzten zwölf Monate bei einem Survival-Camp im Brandenburger Wald ohne Strom und Internet verbracht haben oder in der Toilette des Berghain eingesperrt waren und sich jetzt erst befreien konnten – aktuell gibt es ja immer noch so eine Art Lockdown.

Britische Mutanten und britische Easy-Jet-Touristen

Dieser Lockdown, wie die meisten bereits durch Partizipation an selbigem erfahren haben werden, beschränkt weiterhin das Stadtleben. Clubs geschlossen, Bars trocken, Geschäfte zum größten Teil nicht geöffnet. Wilde Partys erst recht nicht erlaubt. Sogar Karstadt am Hermannplatz ist dicht – und das hat immerhin einen Weltkrieg überstanden.

Aber der Lockdown ist natürlich dennoch ziemlich sinnvoll, erst recht, da wir noch nicht so genau wissen, ob der Besuch der britischen Mutanten genauso anstrengend wird wie jener der britischen Easy-Jet-Touristen.

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Allerdings ergibt sich aus meiner Rolle als Stadtchronist und meiner Rolle als braver Bürger, der sich fast vorbildlich an alle Verordnungen und Einschränkungen hält, ein gewisser Konflikt, welcher sich vor allem auf diese Kolumne auswirkt. Um es mal ganz sachlich auszudrücken: ICH ERLEBE EINFACH ÜBERHAUPT NICHTS MEHR! Zumindest nichts, worüber ich hier berichten könnte.

Tagesspiegel-Kolumnist Peter Wittkamp.
Tagesspiegel-Kolumnist Peter Wittkamp.

© Peter von Felbert

Ich stehe morgens auf, arbeite, esse zu Mittag, setze mich manchmal mit einem Bier an den Landwehrkanal, esse zu Abend, setze mich mit einem Bier auf einen Sessel, zappe durch Twitter, Netflix, Instagram oder zu Markus Lanz. Und dann ist irgendwann auch schon wieder Schlafenszeit, weil ich am nächsten Tag haargenau (wobei ich von Haaren und Frisuren besser gar nicht erst anfange) denselben monotonen Ablauf wiederhole.

Leuchttürme im Meer der Eintönigkeit

Das ist zu Vermeidung der weiteren Ausbreitung der Pandemie vorbildlich und akkurat nach den strengen Lehren des Karl Lauterbach gelebt. Nur geschieht einfach nichts mehr, worüber ich hier berichten könnte.

Da diese Kolumne aber trotzdem geschrieben werden muss, bleibt mir nichts anderes übrig, als über die spärlichen, ja geradezu kümmerlichen drei Erlebnisse meiner letzten zwei Wochen zu berichten. Meine traurigen Highlights. Kleine Leuchttürme im Meer der Eintönigkeit.

Auf Platz drei: mein Innenhof. Da ist immerhin etwas los! Denn dort quellen gerade die Papiercontainer über. Ich nehme an, es hängt damit zusammen, dass alle Nachbarn in meinem Haus wie verrückt Dinge online bestellen, weil sie ebenfalls nicht allzu viel sonstige Abwechslung in ihrem Alltag haben. Der Online-Kapitalismus ersetzt die Freuden des Stadtlebens.

Teigtaschen bei Edeka

Verständlich, aber darauf waren die beiden einsamen Papiercontainer im Innenhof natürlich überhaupt nicht vorbereitet. Vor allem, weil längst nicht alle meine Nachbarn die hohe Kunst des Pappkartonkleinreißens beherrschen. Selbst ich manchmal nicht. Zumindest abends, wenn niemand zuguckt. Auf Platz zwei: Bei Edeka haben ich im Tiefkühlregal japanische Teigtaschen entdeckt. Sie sind mittags als kleine Mahlzeit ziemlich einfach zuzubereiten (in Wasser erwärmen) und schmecken mit Sojasoße oder Maggi sehr solide.

Es geschieht einfach nichts mehr, worüber man berichten könnte.
Es geschieht einfach nichts mehr, worüber man berichten könnte.

© Getty Images/iStockphoto

Ja, Entschuldigung. Das war es schon. Ich erlebe so wenig, dass japanische Teigtaschen bei Edeka zu den Höhepunkten meines Alltags zählen. Ich habe nie behauptet, dass meine Aufzählung hier spektakulär werden würde.

Von der Eiszeit zur Eissaison

Kommen wir nun zu Platz eins. Das Wetter. Auf das Wetter ist wirklich immer Verlass. Ständig ist es da und macht irgendwas. In den letzten zwei Wochen sogar etwas Erstaunliches. Es hat sich so stark verändert, dass aus einem zugefrorenen Landwehrkanal ein Landwehrkanal wurde, an dessen Rändern, Gehwegen und Bänken seit ein paar Tagen der Frühling begrüßt wird. Von Eiszeit zu Eissaison in drei Tagen, sozusagen.

Die Hipster tauen auf, die Kinder toben, die Flirter flirten, die Pfandflaschen blühen unter den Mülleimern auf. Es ist beinahe Frühling in Berlin. Vielleicht sogar der vorerst letzte im Zeichen einer Pandemie und eines Lockdown. Und falls nicht, bleiben mir immer noch japanische Teigtaschen mit Maggi.

Peter Wittkamp ist Werbetexter und Gagschreiber. Er ist derzeit Hauptautor der „Heute Show Online“ und hat die Kampagne #weilwirdichlieben der Berliner Verkehrsbetriebe mit aufgebaut. Ab und zu schreibt er ein Buch, publiziert bei Instagram als Peter_Wittkamp oder twittert unter dem leicht größenwahnsinnigen Namen @diktator. Peter Wittkamp lebt mit Frau und Kind in Neukölln. Im Tagesspiegel beleuchtet er alle 14 Tage ein Berliner Phänomen.

Peter Wittkamp

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