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Die Zahl der minderjährigen Diabetes-Patienten in Deutschland steigt. In Berlin sind über 1300 Schulkinder betroffen.

© dpa

Diabetes im Klassenzimmer: Zucker im Blut: Wenn Kinder spritzen müssen

1300 Schulkinder in Berlin leiden an Diabetes. Lehrer wissen oft nicht, wie sie damit umgehen sollen. Jetzt können sie sich in Seminaren über die Krankheit informieren - und Tipps für den Alltag bekommen.

Man nehme eine Hautfalte am Bauch zwischen zwei Finger. „Und dann einfach reinpieksen“, sagt Diabetesberaterin Christa Lorenz. Beate Adamowicz sticht sich die Nadel des Insulinpens in die Haut. „Das war doch nix“, sagt die schlanke Frau erstaunt. Allerdings ist keine Insulinpatrone in dem stiftähnlichen Gerät mit der Injektionsnadel an der Spitze, schließlich leidet Beate Adamowicz nicht an der Zuckerkrankheit.

Sie ist Schulhelferin und nimmt an dem Projekt „Diabetes im Klassenzimmer“ teil: 15 Lehrerinnen, Lehrer und Schulhelferinnen verbringen drei Stunden in einem Seminarraum der Innungskrankenkasse Berlin Brandenburg (IKK) in Schöneberg und lernen mit Grundschulkindern umzugehen, die an Diabetes Typ 1 erkrankt sind. Der Deutsche Diabetikerbund, Landesverband Berlin, (DDB) hat für September, Oktober und November mehrere dieser Seminare organisiert. Im nächsten Jahr soll es weitere geben.

Das sei ein ganz neues und bisher einmaliges Projekt in Deutschland, heißt es beim Diabetikerbund. Partner sind die IKK, die AOK Berlin, das DRK Klinikum Westend, die Asklepios Klinik Birkenwerder und die Senatsbildungsverwaltung. „Es gab eine riesige Nachfrage bei den Lehrern“, sagt Fabian Thümer, zweiter Vorsitzender des DDB Berlin. Die Idee zu dem Projekt kam ihm, als er merkte, dass ein diabeteskranker Mitschüler seines Sohnes Probleme hatte – seine Blutzuckerwerte waren nach einem Schultag oft viel zu hoch. Wie groß die Unsicherheit der Lehrer ist, wird schon bei der Vorstellungsrunde sichtbar. Fast alle Teilnehmer unterrichten oder betreuen mindestens ein Kind mit Diabetes Typ 1 und sie haben viele Fragen und Anmerkungen:

„Darf und soll ich die Insulinspritzen setzen?“ - „Kann das Kind am Schwimmunterricht teilnehmen oder besteht die Gefahr, dass es im Becken ohnmächtig wird?“ - „Ich tue dem Kind gegenüber immer so, als wüsste ich ziemlich viel. Aber ich würde auch tatsächlich gern mehr wissen als der Schüler.“ - „Nach den Sommerferien war ich plötzlich für ein Kind mit Diabetespumpe verantwortlich. Die angekündigte Schulhelferin ist bis jetzt nicht aufgetaucht.“

Die meisten Lehrer sind erst vor kurzem mit der Krankheit in Berührung gekommen. „Ich bin seit 1979 Lehrer und hatte nie ein zuckerkrankes Kind im Unterricht “, sagt Rainer Belusa, Sportlehrer und Leiter der Kronach-Grundschule in Lichterfelde. „Und jetzt sind es auf einmal gleich drei an meiner Schule.“

Kinder erkrankten immer früher an Diabetes Typ 1, sagt Jürgen Raabe, Leiter der Diabetesabteilung des Asklepios Klinikums in Birkenwerder, der beim Seminar für die medizinischen Hintergründe zuständig ist. Es gebe keine Erklärung dafür. Altersdiabetes, der sogenannte Typ 2, sei hingegen an der Grundschule „praktisch ausgeschlossen“ – auch wenn man immer mehr über extrem fettleibige Kinder hört. Typ 2 ist jene Form von Diabetes, die mit dem Körpergewicht und Bewegungsmangel in Zusammenhang steht. Typ 1 dagegen wird meist durch einen Virusinfekt ausgelöst. Die Zahl der Kinder mit Typ-1-Diabetes werde weiter zunehmen, heißt es beim Diabetikerbund. In Berlin sind nach Schätzungen rund 1300 schulpflichtige Kinder erkrankt.

Um zu erklären, was bei Diabetes im Körper passiert, setzt Mediziner Raabe eine Powerpointpräsentation ein: „Wenn man Brot, Kartoffeln und andere Kohlenhydrate isst, werden die im Blut zu Zucker.“ Mit diesem Zucker werden die Zellen versorgt. „Aber damit er da auch tatsächlich reingeht, müssen die Zellen geöffnet werden. Und das Insulin fungiert als Schlüssel.“

Gar nicht so schwer. Diabetesberaterin Christa Lorenz und Fabian Thümer vom Diabetikerbund demonstrieren, wie ein Blutzuckermessgerät funktioniert.
Gar nicht so schwer. Diabetesberaterin Christa Lorenz und Fabian Thümer vom Diabetikerbund demonstrieren, wie ein Blutzuckermessgerät funktioniert.

© Mike Wolff

Bei Typ-1-Diabetikern wird in der Bauchspeicheldrüse jedoch einfach kein Insulin, also kein „Schlüssel“, produziert – der Zucker bleibt im Blut. So entstehen die erhöhten Blutzuckerwerte, die Schäden im Körper anrichten können, wenn sie zu häufig vorkommen. Deshalb brauchen die Diabetiker Insulin, um die Zellen „aufzuschließen“.

Nach den medizinischen Erklärungen gibt Diabetesberaterin Christa Lorenz, die ebenfalls am Asklepios Klinikum in Birkenwerder arbeitet, Alltagstipps: „Wenn die Kinder Insulin gespritzt haben, müssen sie auch wirklich ihr Frühstück essen und dürfen sich nicht ablenken lassen.“ Sonst kommt es zur Unterzuckerung. Dann erklärt sie, wie Insulinpumpen funktionieren. Und sie empfiehlt, den Katheter der Pumpe mit einem Pflaster zu fixieren, damit die Nadel nicht herausrutscht. Sie beruhigt eine Schulhelferin, dass die Kinder eine Stunde lang ohne Pumpe aushalten können, falls der Katheter tatsächlich einmal herausrutscht. „Es erwartet niemand von ihnen, dass sie die Nadel wieder einstechen“, sagt die Diabetesberaterin. „Und auch nicht, dass sie bei Überzuckerung eine Notfallspritze setzen“, fügt der Arzt hinzu. „Wenn der Blutzucker mal zu hoch ist, ist das gar nicht dramatisch“, beruhigt er. „Nur Unterzuckerung kann akut gefährlich werden. Nur dafür müssen sie sich wirklich zuständig fühlen.“

Ganz blass um die Nase würden die Kinder dann, sie bekämen Heißhunger und könnten ein völlig untypisches Verhalten zeigen, etwa aggressiv werden. In so einem Fall gelte: „Erst essen, dann den Blutzucker messen. Und dabei nicht kleckern, sondern klotzen.“ Man müsse mindestens zwei Broteinheiten geben. Das entspricht einer Banane. Nur bei schwerer Unterzuckerung, wenn das Kind tatsächlich ohnmächtig werden sollte, muss der Lehrer einen Krankenwagen rufen und das Kind in die stabile Seitenlage bringen. Selbst eine schwere Unterzuckerung verursache aber „praktisch keine Dauerschäden“. Der Rat soll den Teilnehmern helfen, in so einer Situation ruhig zu bleiben.

Sie ist aber leicht zu verhindern: Vor dem Sport und vor allem vor dem Schwimmen sollen die Kinder etwas essen – und bei Doppelstunden zwischendurch noch einmal. Details dazu müssten mit den Eltern geklärt werden: „Die Verantwortung der Diabetesbetreuung ist nicht Ihr Job“, sagt Raabe. „Es wird aber zu unserem gemacht“, widerspricht eine Lehrerin. „Die Eltern haben Ängste und geben ihre Unsicherheit an Sie weiter“, erklärt der Arzt. Doch nach dem Seminar sagen viele Teilnehmer: „Jetzt fühle ich mich schon viel sicherer.“

Weitere Informationen im Internet unter www.diabetikerbund-berlin.de.

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