zum Hauptinhalt
Wohlfahrt? Anja Blanke und Bernd Pfeiffer streiten in Friedenau, wie mit Flüchtlingen in Seenot umzugehen ist.

© Michele Galassi

Deutschland spricht: „Du bist so deutsch“

...sagt der Steuerberater zur Sinologin. Im Rahmen der Aktion "Deutschland spricht" streiten Anja Blanke und Bernd Pfeiffer über Grenzen der Verantwortung.

Von Barbara Nolte

Friedenau, „S-Café“. Unter einem Sonnenschirm, der den Regen abhält, sitzen Anja Blanke und Bernd Pfeiffer. Blanke ist 32, Sinologin aus Pankow. Eine zierliche Frau mit schwarzen Locken. Pfeiffer, 52, wohnt in Friedenau. Ein massiger Mann mit kahlgeschorenem Kopf und rauschendem Bart, von Beruf Steuerberater. Nicht nur äußerlich sind sie ein gegensätzliches Paar: Sechs der sieben Fragen, auf deren Grundlage die Paare von „Deutschland spricht“ zusammengestellt wurden, haben sie unterschiedlich beantwortet. Anderthalb Stunden streiten sie. Ein Auszug.

Blanke: Wir können uns ja an den Fragen entlanghangeln. Die erste lautet: „Sollte Deutschland seine Grenzen strikter kontrollieren?“ Da habe ich mit ,Nein’ geantwortet. Bist du wirklich der Meinung, dass die wunderbare Entwicklung, die wir mit dem Entstehen der europäischen Union hatten, wieder zurückgenommen werden sollte?

Pfeiffer: (lacht) Nein. Ich komme jetzt einfach mit dem tollen Schlagwort: Freie Grenzen für freie Bürger und geschlossene Grenzen für Illegale. So. Wann warst du zuletzt in Dänemark?

Blanke: Ich war noch nie in Dänemark.

Pfeiffer: Seit drei Jahren stehen die mit Maschinenpistolen wieder an den Grenzen.

Blanke: Und das ist schön?

Pfeiffer: Nein, ist es nicht. Aber die Mehrheit der Dänen empfinden es als notwendig. Ich war zum Schüleraustausch, mit 14 oder 15, in Südfrankreich: Das war total toll. Es funktioniert leider zurzeit leider nicht so toll.

Blanke: Es kostet wahnsinnig viel Geld, die Grenzen zu kontrollieren. Wenn wir dieses Geld nehmen würden und in die Bekämpfung von Fluchtursachen steckten, wäre der Sache viel mehr geholfen.

Pfeiffer: Da bin ich bei dir. Es gibt volkswirtschaftliche Untersuchungen, die besagen: Menschen flüchten nicht, wenn ihr Einkommen unter 2000 Dollar und wenn es über 8000 Dollar im Jahr liegt. Zurzeit liegt es in Afrika jedoch zwischen 2500 und 3000 Dollar. Das heißt, wir müssen deren Einkommen auf über 8000 Dollar anheben, damit sie aufhören, zu fliehen. Das Problem ist, dass das Jahrzehnte dauern wird.

Blanke: Deshalb sollen wir es nicht tun?

Pfeiffer: Das habe ich gar nicht gesagt. Wir können nur nicht die Welt retten, vor allem nicht wir in Deutschland. Wir müssen sagen: ,Achtung, Ihr könnt hier reinkommen, wenn ihr bestimmte Rahmenbedingungen erfüllt.’ Deshalb sage ich: Wir machen erst mal die Grenzen zu, damit wir uns klar darüber werden: Wen wir wann hier haben wollen.

Blanke: Was du sagst, läuft auf eine Zerstückelung von Europa hinaus – der Preis ist zu hoch.

Pfeiffer: Nimm Spanien: Dort haben die Afrikaner in den Nullerjahren versucht, auf die Kanaren zu kommen. Da war die spanische Regierung total hart. Auf Korsika kommt kein Boot an, da passen die Franzosen schon auf. Die Italiener machen auch gerade zu. Wenn die Griechen das auch machen würden, wären wir unten erst mal safe.

Blanke: Und das fänden Sie, äh, fändest du, in Ordnung, die Leute sich selbst zu überlassen auf dem Meer.

Pfeiffer: Das ist eine böse linke Diffamierung. Nein, natürlich nicht. Wenn jemand in Seenot gerät, braucht er Hilfe. Doch dann wird der nächste Hafen angefahren, und der liegt in Afrika. Punkt. Dann sind die Menschen gerettet. Mehr wollen wir doch gar nicht.

Blanke: Dann überträgt man die Verantwortung auf das Land, in dem der nächste Hafen liegt.

Pfeiffer: Wir helfen denen, bringen sie an Land, aber wir sind doch nicht für deren Wohlfahrt zuständig.

Blanke: Wohlfahrt ist ein diffamierendes Wort, wenn man überlegt, welche Schicksale diese Leute haben.

Pfeiffer: Ja, aber warum bin ich verantwortlich dafür, was in Afrika abgeht?

Blanke: Weil die Welt vernetzt ist. Alle reichen Industrienationen sollten gemeinsam Verantwortung tragen.

Pfeiffer: Du bist so deutsch. Geh in die Nachbarländer Europas, die Mehrheiten sehen das alles anders.

Blanke: Ich kann doch mein Handeln nicht von populistischen Strömungen in anderen Ländern abhängig machen.

Pfeiffer: Wir wollen mit diesen Ländern zusammenarbeiten. Das hat in letzter Zeit nicht geklappt. Wenn wir in dieser Weltgemeinschaft mitspielen wollen, müssen wir uns fragen: Vielleicht ist das, was wir uns vorstellen, einfach zu hoch.

Blanke: Ich behaupte, die Mehrheit der Deutschen möchte nicht, dass die Grenzen dichtgemacht werden.

Pfeiffer: Das mag ja sein, trotzdem darf ich ja meine meine Meinung sagen. Darum geht es ja hier gerade.

Außerdem streiten die beiden über Wohnungsnot, autofreie Städte und Donald Trump. Dann muss Pfeiffer zum Lauftraining.

Protokoll: Barbara Nolte

Zur Startseite