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Alltagstauglich und feminin. Die Entwürfe von Steven Tai.

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Designer Steven Tai: Nach eigenen Regeln

Steven Tai hat einen eigenwilligen Schönheitsbegriff. Damit liegt er im Diversity-Trend – aber was Tai interessiert, ist Langlebigkeit.

Steven Tai wäre gerade gerne in Berlin. Doch weil sein Visum nicht rechtzeitig ankam, musste er auf die Reise verzichten. Der Spross einer Textilfabrikantenfamilie aus Macao wuchs in Kanada auf, lebt und arbeitet aber mittlerweile als Modedesigner in London. An seiner Stelle haben es nur zwei seiner Entwürfe zur Fashion Week geschafft. Die sind nun im Rahmen einer öffentlichen Retrospektive im Pavillon vor dem E-Werk zu sehen, die der Automobilkonzern Mercedes Benz anlässlich des zehnjährigen Bestehens seines Förderprogramms für internationale Modetalente in Berlin organisiert hat.

In jeder Saison lädt das Unternehmen einen Nachwuchsdesigner ein, um seine Kollektion während der hiesigen Modewoche zu präsentieren. Für viele ist es der erste große Auftritt auf dem Laufsteg – und der Impuls, sich ernsthaft ins Modegeschäft zu wagen. So war es auch bei Steven Tai. Sechseinhalb Jahre ist es her, dass er sich als Gast des Autobauers mit seiner ersten, bereits preisgekrönten Kollektion in Berlin vorstellte. Die Entwürfe, die in der Tradition von Tais Vorbildern standen – japanischen Avantgardisten wie Comme des Garçons oder Yohji Yamamoto –, aber schon eine klare Handschrift und vor allem ein sehr individuelles Konzept verrieten, sorgten im Sommer 2012 für Aufsehen.

Tais Models entsprechen nicht den gängigen Idealen

Das hatte Folgen: „Vorher hatte ich nicht unbedingt über ein eigenes Label nachgedacht. Aber die Aufmerksamkeit, die ich nach der Show bekommen habe, gab mir das Selbstvertrauen, meine Marke zu gründen“, sagt der 34-Jährige am Telefon. Inzwischen sind seine Kollektionen auf der Modewoche in seiner Wahlheimat London zu sehen. Verkauft werden sie vor allem in asiatischen Metropolen, bald soll ein eigener Online-Store eröffnet werden.

Doch bis heute folgt Steven Tai eigenen Regeln, auch wenn seine Entwürfe nicht mehr ganz so eigenwillig aussehen wie bei seinem Berliner Debüt. „Meine erste Kollektion war eine Abschlussarbeit, daher sehr experimentell und nicht sonderlich praktisch. Als die Marke wuchs, wurde sie alltagstauglicher und femininer. Aber die Geschichte dahinter ist geblieben“, sagt er.

Zu der gehört Steven Tais unkonventioneller Schönheitsbegriff. Schon die erste Kollektion hatte er von Models vorführen lassen, die nicht den gängigen Idealen entsprachen, eher intellektuell als glamourös wirkten und zudem dicke Brillen und Zahnspangen trugen. Nicht um des bloßen Effekts willen, sondern weil sie die Essenz der Kollektion verkörperten, und die war von der Liebe des Designers zu Büchern inspiriert.

Die Suche nach Schönheit jenseits aller Normen hat ihn seither nicht losgelassen. Das sieht man auf seinen Modenschauen, aber auch an einem Projekt mit dem britischen Starfotografen Rankin, einer Serie stolzer Porträts eigenwillig aussehender Frauen, die teilweise von Narben und Krankheiten gezeichnet sind. Inzwischen treten unter dem Schlagwort „Diversity“ überall in der Modebranche immer mehr Models ins Rampenlicht, die nicht den klassischen Klischees entsprechen.

Die Digitalisierung ist ein echtes Anliegen für den Designer

So könnte sich Steven Tai als Pionier fühlen. Doch er sieht die Entwicklung zwiespältig. Für das breite Publikum sei sie positiv: „Je häufiger solche Menschen zu sehen sind, desto vertrauter und normaler wird es. Das ist natürlich gut.“ Gleichzeitig fürchtet er aber, dass es sich um ein kurzlebiges Phänomen handeln könnte. „Das Problem an einem Trend ist: Er kann in der nächsten Saison schon wieder vorbei sein. Das finde ich beunruhigend“, sagt Tai. „Ich möchte nicht, dass diese Menschen aus der Mode kommen, denn sie können sich nicht verändern. Sie sind für den Rest ihres Lebens, wie sie sind, und ich möchte, dass sie auf Dauer geschätzt werden. Das ist für mich eine sehr ernsthafte Sache.“

Steven Tai mit einem Model
Steven Tai mit einem Model

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Ernst nimmt der Designer auch die Digitalisierung – noch so ein Begriff, der derzeit in der Modeindustrie allenthalben kursiert, für Steven Tai aber ein echtes Anliegen ist. Digitale Neuerungen sieht er als Chance, dem angestaubten Format Modenschau wieder Sinn zu geben. „Es geht darum, eine Umgebung zu schaffen, in der man die Kollektion erklären und einmalige Eindrücke erzeugen kann“, sagt er. Wohin das führen kann, war vor einem Jahr auf der London Fashion Week zu sehen. Da arbeitete er bei seiner Show mit der Firma ILMxLab zusammen, einer Sparte des Filmstudios Lucasfilm, die unter anderem digitale Effekte für das Star-Wars-Universum realisiert. Nach dem Prinzip der Augmented Reality wurde die reale Modenschau in Echtzeit mit digitalen Elementen bis hin zu virtuellen Models ergänzt.

„Ich fühlte eine große Verantwortung, weil es eine der ersten Shows dieser Art war. Wir wollten ein Zeichen setzen“, sagt Tai. „Daher sollte es nicht aufdringlich kommerziell werden, im virtuellen Raum sollte man nicht nur Preisschilder und Bestellknöpfe sehen. Ich wollte mit digitalen Mitteln die Geschichte der Kollektion erzählen.“ Zuallererst war das Projekt für den oft so nachdenklichen Designer aber ein großer Spaß. „Ich bin eben immer noch ein ziemlicher Nerd – das hat sich nicht verändert“, sagt er.

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