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Viel ist schon gesagt worden zu Griechenland - aber noch nicht von jedem. Der Ton im Bundestag jedenfalls wird rauer.

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Debatte zu Griechenland: Es geht um Milliarden - und um Schicksale

Viel ist schon gesagt worden zu Griechenland im Bundestag. Auf Begriffe wie Vertrauen, Solidarität und Leistung berufen sich alle. Doch jetzt hat Sigmar Gabriel mit einem einzigen Wort gezeigt, wie ernst die Lage in der Griechenland-Krise wirklich ist.

Von Robert Birnbaum

Das sagt sich so leicht dahin: ein Wortgefecht. Geht es nicht um viel Größeres – Milliarden, Prinzipien, Schicksale? Hier im Plenarsaal unter der Reichstagskuppel sind in den letzten Jahren schon viele Worte verloren worden über Griechenland und über den Euro und die Krise. Die meisten kennt man inzwischen: Solidarität. Verantwortung. Leistung und Gegenleistung. Aber ein Wort hat man hier jetzt länger nicht mehr gehört, und schon gar nicht so. Sigmar Gabriel hat sich nämlich wahrscheinlich nichts weiter dabei gedacht, als er es beiläufig fallen lässt. „Weder die Europäische Union noch die Troika sind schuld an den Problemen in Griechenland“, ruft der Vizekanzler vom Rednerpult.

Niederlage im Wortgefecht

Er sagt das wirklich: „Troika“. Wenn in der griechischen Regierung irgendjemand feine Ohren hat, dann weiß er spätestens jetzt, dass es ernst wird. Seit die neue Regierung in Athen angetreten ist, hieß das Trio aus EU-Kommission, Zentralbank und Weltwährungsfonds amtlich nur noch „die Institutionen“. Alexis Tsipras und Yanis Varoufakis hatten darauf bestanden. Die 18 übrigen Euro-Europäer hatten ihnen den Gefallen getan, mit amüsiertem Kichern, aber doch – eine Geste des Respekts für die Empfindlichkeiten der anderen. Ein Sieg im Wortgefecht. Und jetzt – wieder verloren.

Am Mittwoch Mittag kommt der Bundestag zur Sondersitzung zusammen. Das ist ja schon auch seine Pflicht, weshalb am Montag im Kanzleramt sich darüber alle einig waren, als Angela Merkel die Chefs der Parteien und Fraktionen über das turbulente Wochenende in Brüssel unterrichtete. Es geht turbulent weiter, neue Briefe aus Athen, der letzte gerade erst eingegangen. Die Demokratie ist manchmal nicht so schnell wie die Wirklichkeit. Aber wer sieht, wie die Kanzlerin während der Rede ihres Vizekanzlers das Gähnen nicht zurückhalten kann – also, etwas weniger Tempo tut der Sache vielleicht auch mal ganz gut.

Ein bisschen Entschleunigung tut der hektischen Debatte um Griechenland gut.
Ein bisschen Entschleunigung tut der hektischen Debatte um Griechenland gut.

© AFP

Merkel ist ohnehin entschlossen, das Tempo vorerst radikal zu drosseln. Als die Kanzlerin als erste ans Rednerpult tritt, verkündet sie im Namen der Regierung ein Bremsmanöver: Vor dem Referendum, in dem der griechische Ministerpräsident Tsipras sein Volk über seinen Kurs abstimmen lassen will, gibt es keine neuen Verhandlungen. „Wir warten jetzt das Referendum ab“, sagt Merkel. „Wir können auch in Ruhe abwarten. Denn Europa ist stark.“ Für die anderen 18 in der Währungsunion sei die schwierige Situation eine Herausforderung – „eine Qual, das ist sie vor allem für die Menschen in Griechenland.“

"Es muss ein Mindestmaß an Vertrauen geben"

Das ist zusammengenommen eine sehr deutliche Botschaft nach Athen, und keine freundliche. Natürlich sind Merkel die Hinweise und Berichte nicht unbekannt, dass mancher in der griechischen Regierungspartei Syriza dieses Referendum auf einmal für gar keine so gute Idee mehr hält. Die jüngsten Umfragen zeigen einerseits eine Mehrheit für Tsipras’ hartes „Nein“ zum letzten Angebot der Gläubiger, andererseits aber, dass die Zustimmung rapide sinkt, seit die Banken geschlossen sind und die Geldautomaten geizig.

Ob Tsipras’ neuestes Angebot ein Versuch ist, in letzter Sekunde eine vorteilhafte Einigung zu erzwingen, oder doch schon ein Ausfluss von Panik – keiner weiß es. „In dieser Situation ein solches Hin und Her zu machen ist ohne Sinn und Verstand“, schimpft Wolfgang Schäuble später. Der Finanzminister erzählt dann noch eine Episode aus dem letzten Treffen mit dem Kollegen Varoufakis. Den habe einer aus dem Euro-Ministerkreis gefragt, wie er sich denn vorstelle, dass seine Regierung ein „Ja“ des eigenen Volkes gegen ihre eigene Überzeugung umsetzen wolle. Das habe der Grieche nicht sagen können. „Es muss ein Mindestmaß an Vertrauen geben“, sagt Schäuble.

Finanzinister Wolfgang Schäuble bleibt hart. "Vertrauen" - dieses Wort hat für ihn in Bezug auf die griechische Regierung schon lang keine Bedeutung mehr.
Finanzinister Wolfgang Schäuble bleibt hart. "Vertrauen" - dieses Wort hat für ihn in Bezug auf die griechische Regierung schon lang keine Bedeutung mehr.

© AFP

Vertrauen – auch so ein Schlüsselwort. Es gibt davon eine ganze Reihe in dieser Krise. Ernst zu nehmende Leute in der Regierung glauben zum Beispiel, dass die Einigung zwischen Griechenland und seinen Gläubigern zuletzt an dem Wort „Schuldenschnitt“ gescheitert ist – an dem Wort wohlgemerkt; über etwas im Effekt Vergleichbares hätte sich womöglich reden lassen, wenn man es vor der grummelnden Unionsfraktion etwas versteckt hätte hinter Finanz-Kauderwelsch.

"Sie wollen die linke Regierung in Griechenland beseitigen!"

Aber das hat sich ja jetzt erst einmal erledigt. Das zweite Hilfspaket ist um Mitternacht ausgelaufen, das Angebot der Gläubiger theoretisch gegenstandslos, und praktisch verschränkt die Bundesregierung die Arme. Gregor Gysi und seine Linksfraktion regt das furchtbar auf. Gysi hat mehrfach mit Tsipras telefoniert, am Samstag, am Montag und am Dienstag. „Er hat mehrere Tage nicht geschlafen“, hat der Linken-Fraktionschef neulich erzählt. „Ich habe ihm darauf gesagt: Das ist nicht gut.“ Die Linke hat zuletzt für die Verlängerung des Griechen-Hilfspakets gestimmt, gegen alle Tradition, aus Solidarität mit der griechischen Schwesterpartei. Jetzt wirft Gysi einen bösen Verdacht auf gegen die Bundesregierung: „Sie wollen die linke Regierung in Griechenland beseitigen, das ist Ihr Ziel!“ Merkel und Gabriel wollten nicht weiter verhandeln, „weil Sie hoffen, am Sonntag stürzt die Regierung!“

Er, sagt Gysi, er würde das niemals so machen. Wenn er, mal vorgestellt, in Deutschland regieren würde, und dann käme eine erzkonservative Regierung in einem anderen Land und bitte um Hilfe – also er würde helfen. „Wir können uns einen Crashkurs nicht leisten“, ruft der Linksfraktionschef. Niemand wisse, was ein Grexit wirklich bedeuten würde: „Wir tun immer alle so oberschlau!“

Gregor Gysi macht der Bundesregierung schwere Vorwürfe. Schlagfertig ist er wie üblich.
Gregor Gysi macht der Bundesregierung schwere Vorwürfe. Schlagfertig ist er wie üblich.

© AFP

Im Plenarsaal bricht Heiterkeit aus, wegen des allumfassenden „Wir“. „Schlaumeier!“ ruft einer aus der Union dazwischen. Gysi stutzt kurz. „Ja, ich auch – aber bei mir stimmt’s wenigstens!“ Die zweite Welle Heiterkeit, diesmal anerkennend: Schlagfertig ist er!

"Wir können uns nicht leisten, diesen Zirkus aufzuführen"

Aber das bleibt der einzige leichte Augenblick in dieser Debatte. Der Rest des Wortgefechts ist ernst, manchmal bitter ernst. Ist der der bessere Europäer, der den Griechen weit entgegenkommen will – oder der, der auf Regeln pocht und Gegenseitigkeit? Welche Bedeutung haben die Worte, die alle im Munde führen? „Solidarität“ zum Beispiel? Gysi hat den Begriff verwendet: Solidarität mit den Griechen jetzt! Dem SPD-Chef Gabriel gefällt das nicht. „Solidarität ist ein alter Begriff der Arbeiterbewegung“, sagt Gabriel, „aber er meint nicht Kumpanei.“ Worte sind Kampfmittel in der Schlacht um die Deutungshoheit.

Ein Wort steht dabei im Zentrum, eine Wortkombination genauer gesagt: „die Idee von Europa“. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter ruft sie an als Begründung für den Ruf nach Umschuldung. „Wir können es uns in Europa nicht leisten, alle fünf Monate diesen Zirkus aufzuführen!“ Gysi bringt sie vor als Warnung: Merkel habe die Wahl, zur Retterin dieser Idee zu werden oder zu ihrer Zerstörerin.“

CDU-Fraktionschef Volker Kauder und Vizekanzler Sigmar Gabriel während der Debatte. Ob Gabriel gemerkt hat, dass er plötzlich wieder von der "Troika" sprach?
CDU-Fraktionschef Volker Kauder und Vizekanzler Sigmar Gabriel während der Debatte. Ob Gabriel gemerkt hat, dass er plötzlich wieder von der "Troika" sprach?

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Merkel hat eine andere Idee. Es gehe bei dem Streit mit der Athener Regierung nicht um 400 Millionen Euro oder 2,5 Milliarden mehr oder weniger, sondern um das Prinzip einer Rechts-, einer Verantwortungsgemeinschaft. „Ein guter Europäer ist nicht der, der eine Einigung um jeden Preis sucht“, sagt die CDU-Chefin. Gabriel assistiert: Es dürfe keine Lösung geben um den Preis einer „bedingungslosen Transferunion“ – dann könnte jeder kommen, der irgendwie Schulden los werden wolle, und dann wäre die Eurozone überfordert.

Ein Wortgefecht – aber das sagt sich so einfach dahin. Bevor jetzt über Geld geredet werde und über Regeln und Verträge, hat Bundestagspräsident Norbert Lammert ganz zu Beginn der Sitzung gesagt, müsse er an ein „wirklich traumatisches Ereignis erinnern“. Das Massaker von Srebrenica vor 25 Jahren. Das gemahne daran, womit die europäische Idee wirklich verbunden sei: mit einer Gemeinschaft des Friedens und des Rechts. Da kam der Beifall ausnahmsweise von allen Seiten.

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