zum Hauptinhalt
Zuhören, Fragen stellen, diskutieren. Der Austausch soll die Schüler zum Nachdenken anregen.

© Robert-Bosch-Gymnasium

„Das hat mich mega berührt“: Wie ein Ost-West-Schüleraustausch Klischees zerstörte

Elf Schüler aus Schwaben, elf aus Halle, 30 Jahre nach dem Mauerfall: Was denken sie über deutsche Geschichte – und übereinander?

Als das Schwarz-Weiß-Foto einer Guillotine auf dem großen Bildschirm erscheint, verstummen die 22 Schülerinnen und Schüler. Der Mitarbeiter der Gedenkstätte erklärt, dass hier in der Hallenser Haftanstalt „Roter Ochse“ während der NS-Zeit 549 Häftlinge hingerichtet wurden. Manche wurden geköpft, andere erhängt, „ein langsamer Erstickungstod“, sei das gewesen, „drei, vier, fünf Minuten lang“.

Später, erzählt er, hatte das Ministerium für Staatssicherheit im Roten Ochsen das Sagen, im ehemaligen Hinrichtungsraum ein Stockwerk tiefer reinigten Insassen die Gefängniswäsche – direkt unter dem Seminarraum mit den vergitterten Fenstern, in dem die Jugendlichen gerade sitzen. Deutsche Vergangenheit.

"Wegen des Mörders. Der sitzt hier."

Eine Frau mit kurzen blonden Haaren kommt herein, flüstert kurz mit dem Mann von der Gedenkstätte. Er nickt, wendet sich an die Schüler und sagt, der geplante Rundgang durch den noch als Justizvollzugsanstalt genutzten Teil des Roten Ochsen müsse leider ausfallen. „Wegen des Mörders“, sagt er. „Des Mörders von Halle. Der sitzt jetzt hier.“ Deutsche Gegenwart.

Deutsche Zukunft, so könnte man die 22 Jugendlichen bezeichnen. Zur Hälfte stammen sie aus Halle (Saale), zur Hälfte aus Gerlingen, einer 20.000-Einwohner-Stadt nahe Stuttgart. Seit 20 Jahren pflegen das Elisabeth-Gymnasium aus Halle und das Robert-Bosch-Gymnasium aus Gerlingen einen deutsch-deutschen Austausch, im Mittelpunkt der jährlichen Begegnungen steht die Geschichte des Landes, ihre Brüche, Abgründe, Wendungen.

Als die Mauer vor 30 Jahren fiel, waren die Schüler längst noch nicht geboren. Sie sind 15 oder 16 Jahre alt, Ost und West sind für sie keine Systeme und erst recht keine Überzeugungen, sondern in erster Linie Himmelsrichtungen. Sie sprechen dieselbe Sprache, ziehen sich gleich an, hören dieselbe Musik. Und doch scheint bei dem Schüleraustausch etwas Besonderes zu passieren.

Im Januar 2018 fordert der damalige Präsident der Kultusministerkonferenz, der Linken-Politiker Helmut Holter aus Thüringen, mehr Ost-West-Schüleraustauschprogramme. Sein Vorschlag stößt auf Spott und Kritik, die damalige Ostbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke von der SPD, erklärt die Idee für „nicht mehr zeitgemäß“. Sachsen-Anhalts Bildungsminister Marco Tullner von der CDU merkt an, „im Jahr 28 nach der Deutschen Einheit sollten wir keine ideologischen Mauern konstruieren, wo keine mehr sind“.

Es soll nicht um Unterschiede gehen. Sondern um Gemeinsamkeiten

Seit Holters Vorstoß sind 20 Monate vergangen, zwei Landtage im Westen und drei im Osten wurden neu gewählt. Und das Land scheint sich wieder fremder geworden zu sein. Beim Zusammentreffen der Schüler aus Halle und Gerlingen soll es aber nicht um Unterschiede gehen, sondern um Gemeinsamkeiten.

Freiwillige vor. Alle 22 Schüler haben sich bewusst für den Austausch entschieden.
Freiwillige vor. Alle 22 Schüler haben sich bewusst für den Austausch entschieden.

© Robert-Bosch-Gymnasium

Der Gedenkstätten-Mitarbeiter spricht über das Spitzelsystem in der DDR, erläutert das Organigramm der Staatssicherheit in Sachsen-Anhalt. Er neigt zu Wiederholungen. Vielen Schülern wird der Kopf schwer, immer tiefer rutschen sie in die Polster ihrer Stühle.

Am Tag zuvor sind sie mit dem Bus aus Nürnberg gekommen, dort haben sie das Reichsparteitagsgelände besucht und ausprobiert, wie es sich anhört, im Stechschritt über den Paradeplatz zu marschieren.

Am Grenzmuseum Schifflersgrund haben sie die Fahrt unterbrochen, den Todesstreifen besichtigt, den ganzen Tag waren sie auf den Beinen. In zehn Tagen hetzen sie gemeinsam durch 100 Jahre deutsche Geschichte, das diesjährige Austauschprogramm beschäftigt sich mit Jahreszahlen, die Deutschland im 20. Jahrhundert geprägt haben: 19, 29, 39, 49, 89.

Als "Wir sind das Volk" zu "Wir sind ein Volk" wurde

1989, die Wende – als es im Roten Ochsen darum geht, kommt wieder mehr Leben in die Jugendlichen. Der Zeitzeuge Matthias Waschitschka berichtet von der Vorwendezeit in Halle, von Montagsdemos, die von der Polizei niedergeknüppelt wurden. Von den Tagen, als der Ruf „Wir sind das Volk“ zu „Wir sind ein Volk“ wurde.

Und vom Gefühl der Befreiung, in der Nacht des 9. November ungläubig in Richtung West-Berlin aufgebrochen zu sein und dann hinter dem Grenzübergang vor Freude auf der Straße getanzt zu haben.

Wie klingen Stechschritte? Carola (Mitte) und die anderen Schüler probieren es aus.
Wie klingen Stechschritte? Carola (Mitte) und die anderen Schüler probieren es aus.

© Elisabeth-Gymnasium

„Was war das Erste, das sie in West-Berlin gemacht haben?“, will ein Schüler wissen. Eine Schülerin fragt: „Wie war die Atmosphäre in der Stadt?“ Und: „Gab es auch Menschen, denen das alles nicht gefallen hat?“ Waschitschka spricht davon, sich in West-Berlin „wie im Märchenland“ gefühlt zu haben.

Von einem Fremden, der ihm 50 Westmark geschenkt habe, einfach so. Er deutet auf die Gänsehaut auf seinem Unterarm, ist den Tränen nahe: „Wir haben uns gesagt: Jetzt geht es nicht mehr rückwärts.“

"Ich will erfahren, wie sich die Leute gefühlt haben"

Für Carola – 15 Jahre alt, Kapuzenpulli, weiße Turnschuhe, voluminöser Schal, Zahnspange – sind es Begegnungen wie diese, die sie mit zurück nach Gerlingen nehmen will. „Als er erzählt hat, wie erleichtert er war“, sagt sie. „Das war krass. Und schön. Das hat mich mega berührt.“ Die jüngere Geschichte interessiere sie nun einmal mehr als das, was vor 1000 Jahren passiert ist, sagt Carola. „Ich will erfahren, wie sich die Leute gefühlt haben.“

Wie alle anderen Schüler hat sich Carola freiwillig für das Programm gemeldet, sie hätte sich auch für einen Austausch mit Israel oder Spanien entscheiden können. 150 Euro bezahlen die Eltern, den Rest übernimmt der Schulförderverein. Carola übernachtet in Halle bei Marlene, in Gerlingen hat Marlene bei Carola übernachtet, der Austausch setzt sich am Abendbrottisch fort.

Nach einem Austauschtag gibt es zuhause viel zu besprechen

So erfuhr Carola, dass zum 50. Geburtstag ihrer Oma jeweils nur ein Ehepartner der Verwandten aus dem Osten in den Westen reisen durfte, um eine Flucht unwahrscheinlicher zu machen. Kurz darauf hatte ihr Opa Geburtstag, dann kam die andere Hälfte der Verwandtschaft zu Besuch.

„Eltern fragen ja immer: Und, was habt ihr heute in der Schule gemacht?“, sagt Carola. Nach einem normalen Schultag könne man nicht so viel erzählen, „aber nach einem Austauschtag hat man sehr viel zu besprechen“.

Die Lehrer Andrea Richardt, Markus Ciapura und Anja Beuchle (v.l.) leiten den Austausch, ihr Kollege Martin Scheibe fehlt auf dem Bild.
Die Lehrer Andrea Richardt, Markus Ciapura und Anja Beuchle (v.l.) leiten den Austausch, ihr Kollege Martin Scheibe fehlt auf dem Bild.

© Lars Spannagel

Wenn Markus Ciapura so etwas hört, kann er sich ein stolzes Grinsen nicht verkneifen. Der 44-Jährige ist einer der vier Lehrerinnen und Lehrer, die den Austausch seit Jahren organisieren. Eine Ost-West-Unterscheidung, sagt Ciapura in weichem Schwäbisch, also „eine Oscht-Wescht-Unterscheidung“, die gebe es in den Köpfen der Schüler nicht mehr.

Doch gerade deshalb sei der Austausch wertvoll. „Es entsteht ein Gespräch. Die Schüler kommen auf die Idee, bei ihren Eltern nachzufragen“, sagt Ciapura. „Vielleicht verstehen sie danach auch besser, wieso der Opa so denkt, wie er denkt.“ Würden die Schüler in einer Jugendherberge übernachten, würde die persönliche Verbindung fehlen, „aber die gehört zu einem gegenseitigen Verständnis dazu.“

Es entstehen Freundschaften

Die Kultusministerkonferenz hat keine Informationen darüber, wie viele Ost-West-Austauschprogramme es gibt. Ciapura und seine Kollegen wissen von keinem anderen, das bereits so lange läuft und das Hauptaugenmerk auf deutsche Geschichte legt.

Im Seminarraum des Roten Ochsen sitzen die Schüler durcheinandergewürfelt, nur bei einem Mädchen mit blondem Pferdeschwanz ist eindeutig zu erkennen, woher es stammt, dank einer Trainingsjacke mit der Aufschrift „SV Halle Sportakrobatik“. Ciapura sagt, die Schüler würden zu Beginn des Austauschs zunächst immer „sortenrein“ sitzen, nach zwei, drei Tagen gebe sich das aber. Freundschaften entstehen, noch Jahre später besuchen sich die Schüler gegenseitig.

"Die Schüler werden sich bewusst, was Geschichte bedeutet"

Deshalb sei der deutsch-deutsche Austausch auch gewinnbringender als ein reiner Sprachaustausch mit dem Ausland. „Die Schüler werden sich bewusst, was Geschichte bedeutet“, sagt Ciapura. „Dass Geschichte nicht für jeden gleich ist, dass Geschichte oft zwei Seiten hat.“

Im Roten Ochsen. Heute stehen die Türen im ehemaligen Zellentrakt der Stasi offen.
Im Roten Ochsen. Heute stehen die Türen im ehemaligen Zellentrakt der Stasi offen.

© Elisabeth-Gymnasium

Im Roten Ochsen ist das Zeitzeugengespräch vorbei, die Schüler schlendern durch die Ausstellungsräume, leise und ernst, fast andächtig. Überall machen sie Fotos. Von den Einzelzellen. Von der „Optima“-Schreibmaschine im Verhörzimmer der Stasi. Vom Abfluss, durch den das Blut der Guillotinierten floss. Um 15 Uhr endet der Tag im Roten Ochsen, die Schüler gehen nach Hause, paarweise, Ost und West.

Auch Ciapura schläft nicht im Hotel, die Lehrer übernachten bei ihren Kollegen. Die vier sind mittlerweile befreundet, zusammen kommen sie auf 40 Jahre Schüleraustausch.

Die liebste Erinnerung aus mehr als zehn Jahren Austausch

An den Abenden planen die Lehrer bereits das Programm fürs nächste Jahr. Zum Jubiläum der deutschen Einheit werden sie auch nach Berlin fahren, die Gedenkstätte an der Bernauer Straße besuchen. Vor ein paar Jahren haben sie das schon einmal gemacht.

Ciapura erinnert sich, dass ihn nach der Besichtigung Schüler um Feuer baten. Wofür braucht ihr das denn, fragte er. Die Schüler zeigten auf Fotos von Maueropfern, davor standen Kerzen, die Kerzen waren erloschen.

Es ist Ciapuras vielleicht liebste Erinnerung aus mehr als einem Jahrzehnt Austausch. „Da hat man gemerkt, dass was in den Köpfen passiert ist.“

Tunnelblick. Das Reichsparteitagsgelände hat die Schüler besonders beeindruckt.
Tunnelblick. Das Reichsparteitagsgelände hat die Schüler besonders beeindruckt.

© Robert-Bosch-Gymnasium

In der Vergangenheit haben sie sich mit der RAF beschäftigt, waren in Stammheim zu Besuch. Haben mit Olympiasiegern aus BRD und DDR über Medaillen, Doping und den Kampf der Systeme diskutiert. Das Europaparlament in Straßburg besichtigt. Sich mit europäischen Diktaturen auseinandergesetzt. Immer auch mit der Frage im Kopf: Was bedeutet das für uns?

Zehntklässler, sagt Ciapura, können da durchaus schon Parallelen ziehen. Und dann genauer schauen, was Parteien auf Wahlplakate schreiben. Es gehe also auch um politisches Bewusstsein, „auch wenn wir das nicht explizit machen“.

Das Ritual wird nicht mehr gebraucht

Die Idee für das Halle-Gerlingen-Programm hatte ein Lehrer, der von Sachsen-Anhalt nach Schwaben gezogen war und an beiden Schulen unterrichtet hatte. In den Anfangsjahren gab es ein Ritual: Beim ersten Treffen errichteten die Schüler eine Mauer aus Pappkartons.

Die Hallenser stellten sich auf eine Seite, die Gerlinger auf die andere, beide Gruppen schrieben ihre Vorurteile auf und pinnten sie an die Kartons, wechselten die Seite und lasen, was die anderen über sie dachten. Dann rissen alle gemeinsam die Mauer ein. Inzwischen haben die Lehrer das Ritual abgeschafft, sie sind sich sicher: Es wird nicht mehr gebraucht.

Wer viel lernt, braucht auch Pausen. Um das Gelernte sacken zu lassen.
Wer viel lernt, braucht auch Pausen. Um das Gelernte sacken zu lassen.

© Robert-Bosch-Gymnasium

Drei Tage nach dem Besuch im Roten Ochsen lümmeln die Schüler morgens um 8 Uhr im Foyer des Elisabeth-Gymnasiums herum. In einer Ecke des Raums stehen Kerzen, vor ein paar Tagen gab es in der Aula eine Gedenkfeier für die Opfer des Attentats von Halle. Auf nahezu jedem Foto von Gedenkveranstaltungen in der Stadt seien seine Schüler zu erkennen gewesen, sagt der Schulleiter.

In Raum 210 im ersten Stock beginnt der letzte Tag des Austauschs damit, dass Markus Ciapura aus der Stasi-Akte seines Hallenser Kollegen Martin Scheibe vorliest – „Ihr sagt, wenn es euch zu viel wird, okay?“

"Labil und leicht beeinflussbar"

Die Schüler aus Halle erfahren, dass ihr Lehrer nach den Erkenntnissen der Stasi vor rund 30 Jahren im Sommer Turnschuhe getragen hat, „in der kälteren Jahreszeit trägt er meist Stiefel, in welche die Hosen eingesteckt werden“. Im Allgemeinen sei Scheibe „labil und leicht beeinflussbar“. Er wird genau überwacht, weil sein Vater einen Ausreiseantrag gestellt hat und im Roten Ochsen saß, bis ihn die Bundesrepublik freikaufte.

Was hat euch bewegt? Carola (l.) und Marlene suchen nach einer Antwort.
Was hat euch bewegt? Carola (l.) und Marlene suchen nach einer Antwort.

© Lars Spannagel

Am letzten Austauschtag soll das Erlebte sacken, aus Anekdoten und Beobachtungen soll Wissen werden. Und ein Gefühl dafür entstehen, was beide Schülergruppen, beide Teile Deutschlands, verbindet. „Am letzten Tag sortiert sich alles in Schubladen ein“, sagt Ciapura.

Carola sitzt ganz hinten im Klassenzimmer mit Geron aus Gerlingen und Marlene und Jette aus Halle und versucht, einen Computer zum Laufen zu bringen. Und weil der Rechner noch ein bisschen braucht, holt Marlene Spielkarten aus ihrem Rucksack. Skat – noch so eine Sache, die Carola in Halle gelernt hat.

Carola nennt den Ordner für die Bilder "Halle ist cool".
Carola nennt den Ordner für die Bilder "Halle ist cool".

© Lars Spannagel

Dann funktioniert der Computer, Carola legt einen Ordner an, nennt ihn „Halle ist cool“ und fängt an, Fotos von den Kameras und Handys hineinzuziehen. Der Arbeitsauftrag lautet: Erstellt ein Plakat mit den Bildern, die ihr in den vergangenen Tagen gemacht habt. Und dann erklärt den anderen: Warum habt ihr diese Fotos ausgewählt, was ist euch wichtig an ihnen?

Carolas Ordner füllt sich, 365 Fotos von Geron, 233 Fotos von Jette, der Todesstreifen, Turnschuhe in Großaufnahme, Gitterstäbe, graue Wolken über dem Reichsparteitagsgelände, grinsende Teenager, manches scharf, manches verwackelt. Marlene schlägt vor, erst einmal einen Zeitstrahl auf das Plakat zu zeichnen. Das gehört zwar nicht zur Aufgabe, hilft aber bei Orientierung.

"Lass uns ein anderes Wort für krass überlegen"

Aus der Sicht der Schüler scheint 1989 fast so weit weg wie 1949 oder 1919, alles ist irgendwie Vergangenheit, sie werfen manchmal Jahreszahlen durcheinander, stolpern immer wieder über das Wortungetüm „Reichsparteitagsgelände“. Wie klein sie sich angesichts der riesigen Dimensionen des Aufmarschplatzes gefühlt haben, wissen aber alle noch.

Marlene sagt zu einem Foto des Grenzmuseums: „Wir könnten schreiben, wie krass es ist, dass man heute einfach zwischen BRD und DDR wechseln kann, wo vor 30 Jahren auf Menschen geschossen wurde.“ Carola stimmt Marlene zu, „weil das unsere Eltern betroffen“ hat. „Aber lass uns ein anderes Wort für krass überlegen. Das ist so umgangssprachlich.“

Am Ende des Austauschs sollen die Schüler ein Plakat erstellen.
Am Ende des Austauschs sollen die Schüler ein Plakat erstellen.

© Lars Spannagel

Jette schlägt vor, auch ein Bild vom Hinrichtungsraum aus dem Roten Ochsen für das Plakat zu nehmen: „Weil man sehen kann, wie es ganz früher war, wie es bei der Stasi war und wie es heute ist.“ Geron hadert damit, dass seine Fotos vom Grenzwachturm und vom Gefängniswachturm nicht genau gleich angeschnitten sind.

Geschichte als Leistungskurs? Das geht nicht mehr

Die Lehrer heben noch einmal hervor, wie engagiert die Schüler waren, Ciapura sagt, es komme nicht jedes Jahr vor, dass er Probleme habe, jemanden aus einem Museum herauszubekommen. Seine Hallenser Kollegin lobt die Zuverlässigkeit, das große Interesse, die Neugier: „Ihr habt viele Fragen gestellt“, sagt sie. „Das zeigt uns … nicht, dass wir das alles richtig machen – sondern dass wir das Richtige tun.“

Zumindest für die Hallenser wird es künftig schwerer, noch mehr über die Vergangenheit zu lernen. Im Frühjahr hat Sachsen-Anhalt seine Oberstufenverordnung geändert, das Fach Geschichte kann nicht mehr als Leistungskurs und erstes oder zweites Abiturfach gewählt werden. Der Schulleiter des Elisabeth-Gymnasiums nennt das eine „Marginalisierung gesellschaftlicher Bildung“.

Carola, Jette, Marlene und Geron gehen nach vorne an die Tafel, befestigen ihr Plakat mit Magneten, erklären den Zeitstrahl, sprechen abwechselnd darüber, welche Erlebnisse ihnen am wichtigsten waren. Als Carola an der Reihe ist, zeigt sie auf ein Foto, dass den Zellentrakt des Roten Ochsen zeigt. „Wir haben dieses Bild ausgewählt“, sagt sie, „weil auf dem Foto alle Türen offen stehen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false