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Dschungelliebhaber. Die Chinesin Rongrong und ihr Berliner Ehemann Ralf Szydlewski sind unter die Gärtner gegangen. Auf 1400 Quadratmetern Gewächshausfläche ziehen sie seit dem Frühjahr asiatisches Gemüse und Kräuter zum Verkauf an Restaurants und Händler. Auch Einzelkunden können das Grün bei ihnen bestellen.

© Kai-Uwe Heinrich

Da wächst was: Asiagemüse aus Berlin: Kladows kletternde Gärten

Ein deutsch-chinesisches Ehepaar züchtet fernöstliche Kräuter im großen Stil - ein Startup mitten im Gewächshaus

Von Susanne Leimstoll

Botanisch gesehen kann Kladow auch asiatisch. In einem kleinen Teil einer ehemaligen Gärtnerei mit zwei Gewächshäusern auf anderthalb Hektar Freigelände findet seit dem Frühjahr ein grüner Feldversuch statt. Asia-Gemüse und -kräuter auf 1400 Quadratmetern, ganzjährig frisch gezogen zum Verkauf an Einzelhändler und Restaurants. Welkanfällige, empfindliche Blattpflanzen, die normalerweise von weit her importiert werden und dann in Berlin gar nicht mehr so frisch in den Handel kommen.

„Das hier ist lediglich ein proof of concept“, sagt Ralf Szydlewski, 42, von Beruf eigentlich Elektrotechniker und jetzt, zusammen mit seiner chinesischen Frau Rongrong, einer Sprachwissenschaftlerin, Inhaber des grünen Start-up-Unternehmens „Fresh Tasia“. „Wir sind noch nicht in der Optimierung“, sagt er und schaut mit gewissem Stolz in den Augen und ein paar Sorgenfalten auf der Stirn auf das, was sie seit dem Frühjahr hier geschaffen haben.

Ein Dickicht von Kletterpflanzen belegt, als wachse es auf Ackerfurchen, die Hälfte des hinteren Gewächshauses. Aus Kokosfaser-gefüllten Kunststoffsäcken schrauben sich Triebe und Blätter an Drähten den Oberlichtern entgegen – ein weitverzweigter Vorhang aus Gemüse, gefüttert durch Tröpfchenbewässerung.

Nur 2,40 Meter Stehwandhöhe plus Dachschräge haben Schlangenbohnen, indischer Spinat, Schwamm- und Bittergurke hier zur Verfügung, um die sechs Meter Stehwandhöhe hätten sie gern.

Außerdem konstante Temperaturen, nicht nachts 18 und tagsüber 24 Grad. Und Luftbewegung, die in den niedrigen Kladower Gewächshäusern unter der Abhängung ein Gebläse simulieren muss. Dennoch gedeiht hier alles brav und schiebt ständig schmackhafte Früchte und Blätter.

Ranken und schwimmen. Manche Pflanzen, wie Bittergurke oder Schlangenbohne, brauchen Rankhilfen und lichte Höhe, andere, wie Shiso oder Speisechrysantheme, holen sich ihre Nahrung aus dem Wasser. Ein Experiment: Bei „Fresh Tasia“ dümpeln die Töpfe mit Styroporplatten auf dem Wasser (vorne).
Ranken und schwimmen. Manche Pflanzen, wie Bittergurke oder Schlangenbohne, brauchen Rankhilfen und lichte Höhe, andere, wie Shiso oder Speisechrysantheme, holen sich ihre Nahrung aus dem Wasser. Ein Experiment: Bei „Fresh Tasia“ dümpeln die Töpfe mit Styroporplatten auf dem Wasser (vorne).

© Kai-Uwe Heinrich

Entlang der Glasfront gegenüber dem Rankdschungel wuchern hinter steinernen Einfriedungen große Beete voller buschiger, schnell wachsender Kräuterstauden: Wasserspinat und Shiso, vietnamesischer Koriander und Speisechrysantheme. Kommt man näher, wird klar: Die Pflanzen dümpeln in großen Wasserbecken und lassen ihre Wurzeln im temperierten Nass schleifen. Dies ist der zweite Teil des Experiments. Denn normalerweise werden solche Nutzpflanzen auf Tischen mit einem Ebbe-und-Flut-Rinnensystem kultiviert. Zu teuer, dafür hätten die Szydlewskis noch öffentliche Zuschüsse zusätzlich zu den mehreren 100 000 Euro an investiertem Eigen- und Sanierungskapital benötigt. Also fanden sie eine Notlösung, die bisher bestens funktioniert, schlugen die 25 Zentimeter flachen Becken des Gewächshauses mit Teichfolie aus, schnitten Styroporplatten zurecht und setzten die Töpfe mit den Jungpflanzen hinein. Die schwimmen nun und versorgen sich selbst mit gefiltertem, algenfreiem Wasser. Hydroponik in ihrer einfachsten Form.

Sehnsucht nach der Heimatküche

Wie kommt man auf die Idee, in Berlin Asia-Gemüse ziehen zu wollen? Schuld ist eigentlich Rongrong, 32. Ihren Mann hatte sie in ihrer Heimat China kennengelernt und folgte ihm vor sieben Jahren von Schanghai nach Deutschland.

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In Berlin fehlte ihr beim Kochen vor allem frisches Grünzeug, wie sie es von zu Hause gewohnt war: der im Abgang leicht scharfe vietnamesische Koriander als Würze. Shisoblätter, in denen sie am liebsten Fleisch schmort. Speisechrysantheme, deren Blätter in Asien für Salate verwendet werden oder die als Gewürz im Hotpot nicht fehlen darf. Indischer Spinat für chinesische Suppen mit Ei. Wasserspinat, dessen Stiele am besten als Gemüse schmecken und dessen Blätter, mit Knoblauch angebraten, sehr schmackhaft sind. Bittergurke, die die Chinesen, klein geschnitten, mit Ei und roter Paprika braten oder sie, mit Hackfleisch gefüllt, dämpfen. Schlangenbohnen, die Rongrong auch gerne einlegt. Das alles boten Asia-Läden ihr allenfalls in der warmen Jahreszeit in einigermaßen frischer Qualität. Im Herbst und Winter herrschte Ebbe.

In Asien ein beliebtes Gemüse, das vor allem geschmort, mit Fleisch oder Fischpaste gefüllt, schmeckt: die Bittergurke.
In Asien ein beliebtes Gemüse, das vor allem geschmort, mit Fleisch oder Fischpaste gefüllt, schmeckt: die Bittergurke.

© Kai-Uwe Heinrich

So reifte der Gedanke, asiatische Pflanzen selber anzubauen. Warum also dann nicht gleich im größeren Stil? Schließlich erkannten die beiden darin eine Marktlücke. Ein Wissenschaftler der Humboldt-Universität, Spezialist auf dem Gebiet der Hydroponik, lieferte sein Know-how für das Projekt und brachte Saatgut aus Vietnam mit. Der Versuch konnte starten, als die beiden die lange leer stehende Gärtnerei am Kladower Damm mieten konnten. Als es dann ohne den Uniprofessor weitergehen sollte, bemerkten die Szydlewskis: Es war keinerlei Dokumentation angelegt worden. Sie hatten keine gesicherten Daten, auf die sie hätten zurückgreifen können. Und dennoch betrieben sie ihren Feldversuch weiter. Denn ihr Plan umfasst weit mehr: in Brandenburg einen Standort für moderne, große, mit Biogas geheizte Gewächshäuser zu etablieren, in denen Aufzucht und Ernte der Asiapflanzen automatisiert erfolgen. Kladow soll als Schau-Standort bleiben, damit Kunden sich vor Ort ansehen und verkosten können, was hier ohne Einsatz von Chemie kultiviert wird.

Das zaubern Profis aus Asia-Kräutern: Den Wasserspinat macht Felix Thoms von „Bob und Thoms“ in Schöneberg zu Mousse-Steinen, die Bittermelone mariniert er und dekoriert das Ganze mit Ess-Chrysantheme und Haselnuss.
Das zaubern Profis aus Asia-Kräutern: Den Wasserspinat macht Felix Thoms von „Bob und Thoms“ in Schöneberg zu Mousse-Steinen, die Bittermelone mariniert er und dekoriert das Ganze mit Ess-Chrysantheme und Haselnuss.

© Ralf Szydlewski / promo

Die Profis experimentieren mit

Von den Zukunftsplänen sind die Szydlewskis noch ein Stück entfernt, dennoch sehen sie große Chancen, sich mit „Fresh Tasia“ und ihrem ganzjährigen Angebot am Markt zu etablieren. Rongrong hat schon eine Gruppe von rund 400 chinesischen Endabnehmern in Berlin, es gibt für Besteller einige Abholstandorte bei Läden in der Stadt, im November soll der eigene Onlineshop fertig aufgebaut sein. Küchenchefs aus Berliner Restaurants haben bereits mit der „Fresh Tasia“-Ware gearbeitet: Philipp Vogel vom Kreuzberger „Orania“ servierte Szydlewskis Schlangenbohnen zu Lamm, „Bob und Thoms“ in Schöneberg probierten Shiso und Bittermelone. Das „Grill Royal“ kaufte Wasserspinat, Shiso und Bohnen, das indische Restaurant „Moksa“ bezieht Malabarspinat. Zur Kundschaft gehören das „Kochzimmer Potsdam“, das „Lucky Leek“, das „Slate“, das „Volt“, „Dae Mon“, das „Blend“. Eben haben die Szydlewskis erfolgreich Zuchtversuche mit Schwammgurke, Okinawa-Spinat, pfeffrigen Betelblättern gestartet. „In dieser Vielfalt“, sagt Ralf Szydlewski, „macht das sonst niemand in Deutschland.“ Der große Konkurrent Koppert Cress sitzt in den Niederlanden.

Spektakulär auf einem Stein serviert Lukas Bachl vom Restaurant "Slate" Betel: das Blatt mit Senfmayonnaise bestrichen, dazu Salzzitrone. Das Blatt reibt er mit Bärlauchöl ein und wälzt es in gepufftem Quinoa.
Spektakulär auf einem Stein serviert Lukas Bachl vom Restaurant "Slate" Betel: das Blatt mit Senfmayonnaise bestrichen, dazu Salzzitrone. Das Blatt reibt er mit Bärlauchöl ein und wälzt es in gepufftem Quinoa.

© Ralf Szydlewski / promo

Um die 50 Kilo ihrer Gemüsezüchtungen setzen die „Fresh Tasia“-Gründer bisher pro Woche ab, 300 Kilo sind ein erstes erklärtes Ziel. Ihre Chance kommt gerade jetzt: In der kalten Jahreszeit werden sie berlinweit die einzigen sein, die Frischware anbieten können. Die ist teuerer als im Großhandel – 20 Euro kostet zum Beispiel das Kilo ihres indischen Spinats – doch Ralf Szydlewski ist sich sicher: „Wir bekommen die Kunden alle über den Geschmack.“ So viel Qualität hat es verdient, geadelt zu werden. Auf seine erste selbst geerntete Bittermelone war Szydlewski so stolz, dass er sie taufte. Er nannte sie „Bernd“.

- Fresh Tasia. Asiatisches Gemüse und Kräuter direkt vom Erzeuger. Kladower Damm 320 g, Kladow. Mo–Fr 10–18 Uhr. Tel. 0177-312 71 11 (vorab Warenverfügbarkeit erfragen). fresh-tasia.com

Abholstellen z. B. Fruitshop Berlin, Ludwigkirchstr. 2; Tian Fu Supermarkt, Berliner Str. 15, Wilmersdorf; Biofreunde GmbH, Bahnhofstr. 44, Falkensee

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