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Am Seiteneingang. Der Empfang der zentralen Coronavirus-Verdachtsstelle auf dem Gelände des Virchow-Klinikums in Berlin-Wedding, hier sollen sich Patienten mit Covid-19-Symptomen melden.

© DAVIDS/Sven Darmer

Coronavirus in Berlin: So erlebt ein Berliner die Quarantäne

In Berlin gelten rund 200 Menschen als Kontaktpersonen von Coronavirus-Infizierten. Bernd Neff ist einer von ihnen, ängstlich ist er nicht – aber wütend.

Teller, Tassen, medizinische Geräte: Alles, was das Krankenzimmer verlässt, muss sofort desinfiziert werden. Die Pfleger und Ärzte der Abteilung für Infektiologie im Virchow-Klinikum der Berliner Charité tragen Gesichtsmasken, Handschuhe und blaue Schutzkleidung aus dichtem Kunststoff.

Hier auf der Station wurden schon Patienten mit gefährlichen Tropenkrankheiten untergebracht, selbst auf Ebola ist man hier eingestellt. Zum momentan prominentesten Patienten der Isolierstation gelangt das medizinische Personal, berichten es Klinik-Mitarbeiter, durch eine Art Vorraum, der als Schleuse dient – eine der beiden Türen muss immer geschlossen sein.

Hinter den Türen lebt seit einigen Tagen ein 22-Jähriger Berliner – der erste Patient, bei dem in der Stadt eine Ansteckung mit dem Coronavirus festgestellt wurde. Sein Zimmer verfügt über Fernseher und Telefon, verlassen darf er den Raum aber nicht. So lange, bis das Virus nicht mehr in seinem Körper nachweisbar ist. Der Zustand des Patienten ist stabil, er wird wohl in wenigen Tagen entlassen werden.

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Für ihn könnte die Begegnung mit dem Coronavirus dann erst einmal beendet sein, für die Stadt scheint sie gerade begonnen zu haben. Bislang wurden etwa 60 Personen ermittelt, mit denen er Kontakt hatte – seine Eltern aus Nordrhein-Westfalen, Freunde, Mitbewohner, Kollegen, Mitarbeiter der Rettungsstelle des Virchow-Klinikums. Inzwischen gibt es mehrere weitere bestätigte Krankheitsfälle, die Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci sprach am Dienstag von rund 200 identifizierten Kontaktpersonen.

Bei allen Infizierten kommt es nun darauf an, sie zu isolieren und nachzuvollziehen, mit wem sie in den vergangenen Tagen in Kontakt waren. Die ersten Folgen für Berlin sind bereits spürbar, die komplette Tragweite ist aber noch nicht absehbar.

Mit Frau und Kindern seit Montag in der Wohnung

Weil Bernd Neff dem jungen Mann, der nun auf der Isolierstation liegt, vor Kurzem über den Weg gelaufen ist, sitzt er seit Montagmorgen in seiner Wohnung in Berlin-Mitte fest, gemeinsam mit seiner Frau und seinen Kindern, vier und sechs Jahre alt. Häusliche Quarantäne.

„Ein Vorhang samt Vorhangstange ist schon runtergefallen. Die Kinder stellen uns hier die Bude auf den Kopf!“, erzählt er am Telefon. Doch sollte irgendwer aus seiner Familie das Haus verlassen und jemanden anstecken, so habe die Frau vom Gesundheitsamt ihm am Tag zuvor gesagt, drohten ihm bis zu 450.000 Euro Strafe.

"Die haben uns vergessen!"

Nun ist Bernd Neff nicht krank. Er ist auch nicht positiv auf das Coronavirus getestet worden, er ist noch gar nicht getestet worden, und deshalb klingt er am Dienstagmittag am Handy, seiner Hauptverbindung nach draußen, mehr verärgert als verängstigt. „Die haben uns vergessen!“

Bernd Neff zählt für die Behörden zum Umfeld des ersten Berliner Infizierten. Seine Veranstaltungsagentur „I Love Travel GmbH“ teilt sich in der Falckensteinstraße in Kreuzberg ein Großraumbüro von 800 Quadratmetern mit sechs anderen Firmen – in einer davon machte der 22-jährige Mann ein Praktikum in der Grafikabteilung. „Ich habe ihn mal im Vorbeigehen gesehen“, sagt Neff, „mehr nicht.“

Noch nicht mal den Computer konnte er holen

Am Montagmorgen um 7 Uhr erfuhr er vom Krankheitsfall des Praktikanten; dessen Chef hatte ihm eine SMS geschrieben. Kurz vor 8 Uhr verhängte die Amtsärztin vom Gesundheitsamt Mitte, die er nach vielen Anrufen endlich ans Telefon bekam, Quarantäne.

„Ich habe noch mal kurz ins Büro gehen wollen“, sagt er, „den Computer holen.“ Die Ärztin hat ihm das verboten – zu gefährlich. Schnell sollte er seinen 22 Mitarbeitern Bescheid sagen, die bereits auf dem Weg zur Arbeit waren. Auch sie sollten sofort zurück in ihre Wohnungen.

Geradezu detektivische Fähigkeiten sind gefragt

Die beste Methode, um eine Ausbreitung von Keimen wie dem Coronavirus zu unterbinden, ist das konsequente Nachverfolgen und Isolieren von Kontaktpersonen nachweislich Infizierter. Dafür bedarf es einer systematischen Recherche – und viel Personal mit geradezu detektivischen Fähigkeiten.

Kontaktpersonen sind, laut Definition des Robert-Koch-Instituts, alle „die Kontakt zu einem bestätigten Fall von Covid-19 hatten“ und zwar „ab dem zweiten Tag vor Auftreten der ersten Symptome“ bei dem Infizierten.

Dabei wird dem Umstand Rechnung getragen, dass Infizierte die Krankheit schon übertragen können, wenn sie sich selbst noch nicht krank fühlen. Diese symptomfreie Phase kann allerdings weit länger als zwei Tage dauern – zumal es Infizierte gibt, die keine oder nur sehr leichte Anzeichen einer Erkrankung zeigen.

Am Dienstagabend tagte im Bundesinnenministerium ein Krisenstab.
Am Dienstagabend tagte im Bundesinnenministerium ein Krisenstab.

© John MacDougall/AFP

Das RKI unterscheidet drei Kategorien von Kontaktpersonen: Solche, die in engem Kontakt mit dem Infizierten waren, ihm also mindestens 15 Minuten Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden, ihn berührt oder geküsst haben oder von ihm angehustet oder angeniest worden sind. In der Regel sind das enge Familienangehörige.

Auch Personen zwei Sitzreihen entfernt gelten als Kontaktperson

Aber auch Personen, die im gleichen Flugzeug bis zu zwei Sitzreihen entfernt saßen, inklusive der Crew. Die Regel gilt theoretisch auch für Sitznachbarn im Bus oder der U-Bahn – nur lassen sich die Personen in diesen Beförderungsmitteln ohnehin nicht nachverfolgen.

Alle Kontaktpersonen, die zu ermitteln sind, werden vom zuständigen Gesundheitsamt informiert, über Covid-19 aufgeklärt und aufgefordert, sich von anderen fernzuhalten, möglichst in häuslicher Isolation zu bleiben und dort den Gesundheitszustand zu kontrollieren, etwa durch regelmäßiges Fiebermessen. Sollten sich Symptome zeigen, entscheidet das Gesundheitsamt, das täglich anrufen soll, über die weiteren Schritte, etwa die Einweisung in eine Klinik.

"Häusliche Absonderung" wird empfohlen.

Kontakte der zweiten Kategorie, darunter fällt Bernd Neff, sind etwa Personen, die sich im gleichen Raum – zum Beispiel einem Klassenzimmer oder einem Büro – aufgehalten haben wie Infizierte. Die Kategorie-II-Personen werden nicht täglich kontrolliert, sie sollen sich nach 14 Tagen beim Gesundheitsamt melden, das ihre Namen optional aber nicht zwingend registrieren soll. Häusliche Absonderung wird empfohlen.

Die dritte Kategorie ist nur für medizinisches Personal relevant, das sich Infizierten mit Schutzkleidung auf weniger als zwei Meter genähert hat. Sie werden registriert, da sie durch den ständigen Kontakt mit Infizierten ein erhöhtes Infektionsrisiko haben, aber auch im Fall einer Infektion zum Risiko für andere Patienten werden können.

In diesem Zelt können sich Patienten aufhalten, bevor sie am Virchow-Klinikum untersucht werden.
In diesem Zelt können sich Patienten aufhalten, bevor sie am Virchow-Klinikum untersucht werden.

© Mike Wolff

Seit Montag sitzt Neff am Handy, um sein Leben draußen recht und schlecht zu ordnen, oder er versucht, seine Kinder zu beschäftigen. „Vor mir liegt gerade ein 2000-Teile-Puzzle“, sagt er lachend. Gleich ist er mit seinen Mitarbeitern zu einer Videokonferenz verabredet.

Seine Firma hatte seit Monaten das „Berlin Travel Festival" vorbereitet, das am Wochenende in der Arena in Treptow stattfinden sollte. Gleich am Montagmorgen, als feststand, dass seine Belegschaft in Quarantäne geschickt wurde, hat er es abgesagt. „Jetzt konferieren wir über Ausweichtermine, Schadensersatz – solche Dinge“, sagt er.

"Ich hätte schon gern Gewissheit"

Bei den vielen Telefonaten, die sie seit Montag permanent miteinander führen, hat Neff festgestellt, dass die Gesundheitsämter der einzelnen Bezirke unterschiedlich vorgehen. Er selbst hat am Montagmittag einen Anruf vom Gesundheitsamt Mitte bekommen: Ein Amtsarzt würde bald vorbeikommen, um eine Probe für den Coronavirus-Test zu nehmen.

Es könne etwas dauern, denn der Arzt müsse 13 Personen abklappern. Bis zum Telefonat mit dem Tagesspiegel am Dienstagmittag, war der Arzt noch nicht da gewesen. „Nicht, dass ich mir ernstlich Sorgen mache, krank zu sein“, sagt Neff. „Aber ich hätte schon gern Gewissheit.“

Entlassen aus der Quarantäne – ohne Coronavirus-Test

In Pankow sei dagegen eine seiner Mitarbeiterinnen bereits aus der Quarantäne entlassen worden, sagt er – ohne Test. Ihr Kind dürfe sogar wieder in die Schule.

In Kreuzberg habe eine Mitarbeiterin gesagt bekommen, der Bezirk habe keine Kapazitäten, sie zu testen. Wenn sie eine Infektion ausschließen wolle, solle sie zum Arzt gehen und sich für 100 Euro testen lassen. Die Kinder eines anderen Mitarbeiters, stünden, anders als seine, nicht unter Quarantäne. Die Schule schicke sie aber nach Hause. „Er hat Angst, dass sie gemobbt werden“, sagt Neff.

Er hofft, bald wieder rauszudürfen

Nur eine von Neffs Mitarbeiterinnen sei schnell getestet worden, vom Gesundheitsamt Treptow. „Die Gesundheitsämter haben keinen Plan“, schimpft Neff. „Als ob das mit dem Virus vom Himmel gefallen wäre!“

Ein Kind ruft im Hintergrund. Neff muss weiter puzzeln. Daran, dass das Ganze zwölf Tage so weitergehen könnte, so lange dauert eine reguläre Quarantäne, will er nicht denken, sagt er. Er hofft, bald wieder rauszudürfen wie die Kollegin aus Pankow – wenn nur endlich der Amtsarzt käme. Nachbarn, erzählt er, hätten ihm Brot vor die Tür gelegt.

Vorsichtsmaßnahme. Die Berlin Metropolitan School, eine Privatschule in Mitte, blieb am Dienstag geschlossen.
Vorsichtsmaßnahme. Die Berlin Metropolitan School, eine Privatschule in Mitte, blieb am Dienstag geschlossen.

© Annette Riedl/dpa

Auch das Familienleben von Sarkis Bisanz ist kompliziert geworden, auch er ist nicht krank, er hatte auch keinen Kontakt mit Infizierten. Am Montag um Viertel vor zwei, erzählt der 40-Jährige, sei eine E-Mail von Silke Friedrich in seinem Postfach aufgeploppt.

Silke Friedrich ist die Leiterin der Berlin Metropolitan School, eine englischsprachige Privatschule in der Linienstraße, die seine achtjährige Tochter besucht. Eine Familie aus der Schule habe Kontakt mit einer nachweislich mit Corona infizierten Person gehabt, schrieb sie, deshalb sollten Eltern ihre Kinder unverzüglich abholen. „Na klar war ich ein bisschen nervös“, sagt Bisanz. „Zum ersten Mal war das Phänomen Corona im eigenen Leben angekommen.“

Bisanz sitzt in Sportkleidung und mit Mütze auf dem Kopf in einem Café in der Otto-Suhr-Allee. Das E-Bike hat er vor der Tür geparkt. Er wohnt in Charlottenburg und arbeitet als Referent bei der Bundestagsfraktion der Grünen. Gleich trifft er Kollegen zum Frühsport. Seine Frau, die bei einer Venture-Capital-Firma arbeitet, hatte glücklicherweise am Tag zuvor frei.

Die Stimmung beim Tochter-Abholen habe sie als unaufgeregt beschrieben: Viele Eltern waren in Eile, weil die meisten ihre Kinder noch mit ins Büro nehmen mussten.

"Wenn das Coronavirus einmal in der Schule ist, explodiert das"

Am Abend sei in den verschiedenen Whatsapp-Gruppen der Schule noch viel diskutiert worden. Manche, sagt Bisanz, äußerten Angst, andere hätten die Maßnahme übertrieben gefunden. In der Schule gibt es keinen nachgewiesenen Fall. Er selbst findet es richtig, wie Silke Friedrich entschieden hat. „Wenn Corona einmal in der Schule ist, explodiert das“, sagt er.

Am Dienstagvormittag um halb zehn kommt eine Frau in Jeans, Parka und blau-gelber Bommelmütze zu Fuß auf das Gelände des Virchow-Klinikums in Berlin-Wedding. Sie klingelt am Empfang der zentralen Coronavirus-Verdachtsstelle, einem schmucklosen Seiteneingang im Erdgeschoss eines separat stehenden Krankenhausgebäudes. Hier sollen sich Patienten mit Covid-19-Symptomen melden, auch um die Notaufnahme zu entlasten, wie die Charité mitgeteilt hat.

Die meisten Wartenden stehen lieber im Freien

Ein Mitarbeiter mit Schutzmaske, Handschuhen und blauer Plastikschutzkleidung öffnet die Tür, gibt der Frau eine Atemmaske und eine Wartenummer. Das Wartezelt neben dem Eingang will sie anscheinend lieber nicht betreten, sie steht in der Kälte, ab und zu hustest sie.

Im Zelt sind ein paar der weißen Plastikstühle besetzt, die meisten der etwa zehn Wartenden stehen ebenfalls lieber im Freien, jeder für sich allein. Ein Mann raucht, den Mundschutz hat er unters Kinn gezogen. Neben dem Zelt steht ein mobiler Toilettenwagen.

Etwa alle zehn Minuten taucht ein neuer Patient auf. Es sind Alte wie Junge, Frauen und Männer, Kinder sieht man kaum. Es wird kaum gesprochen. Nach einer Weile werden drei Menschen in das Besprechungszimmer gerufen, sie folgen dem Mitarbeiter mit der blauen Schutzkleidung ins Innere der Klinik.

Viele, bei denen lediglich der Hals kratzt

Am Dienstagmittag habe es bereits eine Schlange mit rund 100 Patienten gegeben, sagt der Ärztliche Direktor der Charité, Ulrich Frei, am Nachmittag. Er hoffe nicht, dass die Untersuchungsstelle zu einer Dauereinrichtung werde. Das Pilotprojekt soll Vorbild für andere Krankenhäuser sein, auch der Vivantes-Konzern will nun in Tempelhof und Prenzlauer Berg Einrichtungen zur Abklärung von Verdachtsfällen eröffnen.

Frei sagt, unter den Menschen, die zur Untersuchungsstelle kommen, seien viele Fälle, bei denen es lediglich im Hals kratze oder der Nachbar in Italien gewesen sei. „Auch solche Patienten kann man nicht einfach wegschicken, die muss man untersuchen“, sagt Frei.

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