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Geringer Ressourcenverbrauch, wenig Emissionen. Chemie ist nicht das Problem, sondern die Lösung.

© Getty Images/iStockphoto/dmbaker

Chemical Invention Factory: Eine neue Adresse für Kreative

Das deutschlandweit erste Gründerzentrum für grüne Chemie entsteht an der TU Berlin.

Sie sind renommierte Wissenschaftler, aber ihr ausgeprägtes Unternehmer-Gen können beide nicht verleugnen: Wenn Matthias Drieß und Reinhard Schomäcker, beide Professoren für Chemie an der TU Berlin, von ihrem jüngsten Projekt berichten, der Chemical Invention Factory (CIF), springt der Funken der Begeisterung über. Das deutschlandweit erste Gründerzentrum für Start-ups aus der grünen Chemie soll auf dem Campus Charlottenburg der TU Berlin entstehen.

„Grüne Chemie“ – das weckt bei vielen Widerspruch. Saubere und grüne Technologien kommen aus der solaren Energieerzeugung, Elektromobilität oder auch der Abfallindustrie. Ein Tesla-Elektroauto ist sexy – Chemie ist dreckig, giftig und umweltschädlich – so der Eindruck vieler Deutscher. Aber: „Es gibt keine Elektromobilität ohne leistungsfähigere Batterien, kaum einen Produktionsprozess, der ohne Chemie auskommt“, weiß Matthias Drieß, Sprecher des Exzellenzclusters UniCat. „Chemie ist nicht das Problem, sondern die Lösung.“

Moderne Chemie bemüht sich intensiv um geringen Ressourcenverbrauch, wenig Emissionen, Recycling und den Verzicht auf umweltgefährdende Substanzen. Das reicht aber nicht aus. „Wir brauchen eine echte Chemiewende, die auf den zwölf Prinzipien der grünen Chemie beruht“, so Reinhard Schomäcker. Diese zwölf Prinzipien wurden 1998 von John Warner vom Warner Babcock Institute for Green Chemistry in Boston formuliert, der weltweit als Wegbereiter der grünen Chemie gilt. Ein wichtiger Baustein dieser Chemiewende soll das CIF werden, für das John Warner die Namenspatenschaft übernommen hat.

Über zehn Millionen Euro für Labore, Büros und Konferenzräume

Für Labore, Büros und Konferenzräume werden über zehn Millionen Euro zur Verfügung stehen, sieben Millionen vom Berliner Senat, 3,8 Millionen von der TU Berlin. 2020 soll das Gebäude bezugsfertig sein. Umsetzen soll diese ehrgeizigen Pläne Sebastian Müller, der neu eingestellte Geschäftsführer des CIF, bislang beschäftigt bei Berlin Factory, dem Berliner Business Club für Start-ups. Langjährige Erfahrung in der Gründerszene der Stadt und anderen Innovationsstandorten weltweit prädestinieren ihn für diese Aufgabe. „Das CIF ist kein Luftschloss, sondern organisch aus dem Exzellenzcluster UniCat gewachsen und damit absolut überzeugend. Die Rahmenbedingungen sind ideal: die wissenschaftliche Exzellenz ist unumstritten, Berlin bietet eine hohe Lebensqualität und mit dem neuen Gründerzentrum dann auch kreativitätsfördernde Räumlichkeiten.“

Starthelfer. Reinhard Schomäcker, Sebastian Müller und Matthias Drieß (v. li.)
Starthelfer. Reinhard Schomäcker, Sebastian Müller und Matthias Drieß (v. li.)

© TU Berlin

„Die Chemiewende wird nicht von den verlängerten Werkbänken der etablierten Industrieunternehmen getrieben, dafür braucht es eine exzellente akademische Umgebung mit kreativen Freiräumen“, ergänzt Matthias Drieß.

„Abfallvermeidung“ heißt eines der zentralen zwölf Prinzipien der grünen Chemie – und im übertragenen Sinne gilt das auch für das CIF: In den klassischen Naturwissenschaften verschwinden gute Ideen oder erfolgversprechende Patente schon mal in der Schublade – es fehlt an Möglichkeiten für den Transfer. Das CIF will diese ‚Verschwendung’ guter Ideen beenden: „Da geht es nicht um die Vermarktung von Erfindungen etablierter Professoren, sondern wir wollen jungen, internationalen Wissenschaftlern ermöglichen, ihre eigenen Ideen für eine begrenzte Zeit auf Markttauglichkeit zu testen“, sagt Reinhard Schomäcker. Echtzeitanalysen zu die Qualität und Wirtschaftlichkeit von Produkten , spielen eine wichtige Rolle in chemischen Verfahren – und im CIF: Potenzielle Gründer müssen mit ihren Ideen den wissenschaftlichen Beirat und einen Professor oder eine Professorin als Mentor oder Mentorin überzeugen, bevor sie in den Genuss der Förderung kommen. Der Exit ist vorprogrammiert – irgendwann muss sich die Gründungsidee durchgesetzt haben – oder auch nicht.

"Die wissenschaftlich exzellente Umgebung ist unsere wichtigste Ressource"

„Atomökonomie“ ist ein weiteres Stichwort der modernen Chemie. Das bedeutet: Möglichst viele Atome, die im Laufe einer Synthese eingesetzt werden, sollten sich auch im Endprodukt wiederfinden. Ökonomisch will Sebastian Müller auch mit den Ressourcen des CIF umgehen und daraus eine eigene Marke kreieren: „Die wissenschaftlich exzellente Umgebung ist unsere wichtigste Ressource: Das CIF soll zu einer Marke mit einem hohen Wiedererkennungswert werden. Nicht weil wir hier die coolsten Büros zur Verfügung stellen, sondern weil kreative Wissenschaftler nur hier ihre besten Ideen verwirklichen können.“

„Ungefährliche Synthesen“ und „sichere Chemikalien“ sind weitere Überschriften in der grünen Chemie. Berlin ist nicht nur die digitale Hauptstadt. Mit dem Exzellenzcluster UniCat hat sich die Stadt auch einen Ruf als Standort für bahnbrechende Chemieforschung erworben. 2018 geht es für die TU Berlin darum, den Status Exzellenzcluster auch für den neuen Antrag UniSysCat zu erreichen. Die etablierte chemische Industrie profitiert gerne von der guten Ausbildung - sichtbar unter anderem in der Kooperation der BASF mit UniCat in Form des Labors BasCats. Aber: neue Produktionsstandorte sind so kaum zu erwarten. „Mit dem CIF erhält Berlin die Chance, innovative, saubere und vor allem auch sichere Technologien dauerhaft in der Stadt anzusiedeln und schafft damit nicht zuletzt auch neue Arbeitsplätze", ist Matthias Drieß überzeugt.

Junge Chemiker können Erfahrung als Unternehmer sammeln

Chemische Verfahren werden als „grün“ bezeichnet, wenn sie möglichst wenig Energie verbrauchen. Doch Sebastian Müller sieht seine Aufgabe auch darin, geistige Energie zu sparen: „Ich will mit dazu beitragen, Strukturen und Möglichkeiten zu realisieren, die die meist zufälligen und individuellen Interaktionen und Begegnungen von Wissenschaftlern, Gründungswilligen, Investoren, Industrie oder auch Politikern systematisieren, ohne dabei die wichtige Unabhängigkeit des Zentrums aufs Spiel zu setzen.“

Grüne Chemie basiert auf der Verwendung nachwachsender Rohstoffe: Hier schließt sich mit dem CIF auch für die TU Berlin ein Kreislauf, findet Reinhard Schomäcker: „Seit Jahren bilden wir junge Chemiker für die Wissenschaft aus. Jetzt bieten wir ihnen zusätzlich die Möglichkeit, unternehmerische Erfahrungen zu sammeln und schließen damit eine Lücke im Curriculum unserer Studierenden. Inkulab, der Laborcontainer für Chemie-Start-ups, war ein erster Schritt in diese Richtung. Das CIF wird jetzt der große Wurf.“

Katharina Jung

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