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Claudio Abbado regte 1981 die Gründung des Chamber Orchestra of Europe an. Seither wird das Ensemble für seine mutigen Programme und seine stilistische Wenigkeit geschätzt. Am 1. September treten die Musiker in der Philharmonie auf.

© Photowerk

Chamber Orchestra of Europe beim Musikfest: Von der Moderne bis Mozart

Vier verschiedene Komponisten, vier verschiedene Besetzungen: Bei seinem Musikfest-Auftritt zeigt sich das Chamber Orchestra of Europe mit Pierre-Laurant Aimard besonders flexibel.

Jede Stimme zählt – nicht nur bei der Bundestagswahl am 22. September, sondern auch in den Konzerten, die Winrich Hopp, dem künstlerischen Leiter des Musikfest Berlin, besonders am Herzen liegen: Vom Trio über sieben- respektive 14-köpfige Ensembles bis hin zur Besetzung mit drei Dutzend Instrumentalisten weitet das Chamber Orchestra of Europe (COE) im Laufe des Sonntagabend den Klangraum sukzessive aus. Während auf diversen TV-Kanälen die Kanzlerkandidaten ihre Argumente austauschen, ist in der Philharmonie ein Abend der bewundernswürdigen stilistischen Flexibilität zu erleben. Hellwach müssen die Musiker hier sein, sich blitzschnell gedanklich umstellen können, den Geist von vier verschiedener Komponisten erspüren, gewagte historische Sprünge inbegriffen.

Am Anfang steht gleich ein Glücksmoment: Gerade weil Lorenza Borrani, die Konzertmeisterin des COE, so vertraut ist mit dem Klarinettisten Romain Guyot und dem Pianisten Pierre-Laurent Aimard, gelingen Bela Bartóks „Kontraste“ so zwingend. Zum Äußersten entschlossen, traktiert die Geigerin im Kopfsatz ihr Instrument. Tänzerisch-virtuos hält der Holzbläser dagegen, im Ausdruck wie in der Körpersprache, und erinnert dabei durchaus an Benny Goodman, den Widmungsträger des 1938 vollendeten Werkes. Der Pianist wiederum bleibt zunächst im Hintergrund, setzt dann aber im langsamen Satz entscheidende, feine Akzente, während seine Partner murmelnd Innenschau betreiben. Im Finale sind dann derart virtuos vermittelte Stimmungswechsel zu erleben, dass man die drei eingeschworenen Kammermusikpartner glatt als Klangschauspieler bezeichnen möchte.

Zur interessanten Sozialstudie wird Leos Janaceks herbes Concertino: Pierre-Laurent Aimard versucht hier vom Flügel aus, Koalitionen zu schmieden, wird aber zu nächst von einem stoffeligen Horn, dann von der kecken Klarinette zurückgewiesen, bevor im dritten Satz schließlich alle sechs Mitspieler in Opposition gehen. Was den Solisten allerdings zu noch mehr Virtuosität anstachelt, so dass er am Ende die Kontrahenten vor sich hertreiben kann.

Beim Kammerkonzert von György Ligeti, das 1970 im Auftrag der Berliner Festwochen entstand, versammeln sich dann schon 13 Instrumentalisten unter Aimards Leitung auf dem Podium. Das Stück ist ein musikalischer Spaß, der bierenst vorgetragen wird. Nie passiert dabei, was der Zuhörer erwartet, das aber mit Konsequenz. Klassische Hörerwartungsverweigerungsmusik also, die ästhetisch mächtig angestaubt wirkt im direkten Vergleich mit den sie einrahmenden älteren Kompositionen.

In zeitloser Schönheit, ja geradezu im Goldglanz vergangener Zeiten leuchtet zum Abschluss Mozarts Klavierkonzert KV 453 auf. Eine ideale Wahl für diesen Teamgeist-Abend, weil in der 1784 entstandenen Partitur der solistische Schaueffekt zugunsten einer engen Verzahnung von Klavier- und Orchesterlinien weitgehend in den Hintergrund tritt. Wenn es zudem ganz ohne Dirigenten gehen soll, wenn Aimard sich nur auf seinen Part konzentriert und das Einsatz-Geben ganz der COE-Konzertmeisterin überlässt, dann muss im Kollektiv wirklich jeder mitdenken, aufmerksam die Stimmen der anderen nachverfolgen, deren Gedanken aufnehmen und fortspinnen. Gelebte Basisdemokratie in G-Dur.

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