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Mike Mohring, Spitzenkandidat der CDU in Thüringen

© Reuters/Michael Dalder

CDU-Spitzenkandidat in Thüringen: Mike Mohring, der leise Kämpfer

Thüringens CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring schaut nur noch die Wahlprognosen im ZDF. Die zeigen ihm: Mitregieren ist möglich.

Von Robert Birnbaum

Der Waldi hat sehr klare Ansichten, und er hält damit überhaupt nicht hinterm Berg. Schließlich ist er auf Rente, der Waldi Hartmann. „Ich kann das sagen, was ich fühle und denke“, findet er und drückt sich noch etwas behaglicher in den Sessel mit dem Rankenmuster, den ihm das Hotel Lindenhof in Gotha auf die kleine Tribüne gestellt hat. Links von ihm beugt sich der Moderator neugierig vor, noch einen Sessel weiter sitzt Mike Mohring im offenen Hemd.

Der Thüringer CDU-Spitzenkandidat hat sich den früheren Fußball-Moderator als Wahlkampfhelfer geholt. Gerade hat Mohring berichtet, dass seine Parteivorsitzende zum 24-Stunden-Endspurt aus Berlin nach Erfurt kommt. Der Waldi schüttelt den Kopf. „Das ist ganz gut, dass die Kramp-Karrenbauer erst am Samstag kommt, da kannse nichts mehr falsch machen.“

Aus dem Publikum kommt raunende Zustimmung. „Da hat er mal recht“, sagt halblaut der ältere Mann, „unmöglich, diese AKK!“ Das Ehepaar aus dem Nachbardorf nickt. Mohring schaut dem Satz mit diesem besonders treuherzigen Blick hinterher, auf den er in schwierigen Momenten oft verfällt, während der Waldi weiter Fahrt aufnimmt und über den „Berliner Rückenwind“ höhnt: „Der kommt schon – als Orkan von vorne!“

Der Waldi wohnt seit Kurzem in Leipzig

Mohring sagt nichts dazu. Erstens, weil sein Gast sowieso nicht zu stoppen wäre, und zweitens – was denn auch? Er sieht die Windverhältnisse schließlich genauso. Mehr als einmal hat er höflich-verzweifelt darum gebeten, mit Personaldebatten aufzuhören. Und da war von Annegret Kramp-Karrenbauers Syrien-Offensive noch gar keine Rede.

Normalerweise haben Landtagswahlkämpfer Anspruch darauf, dass ihre Bundesspitzen Rücksicht nehmen und ihnen aufreibende Debatten ersparen. Vor den Wahlen in Sachsen und Brandenburg hat das schon nicht gut geklappt – der Waldi wohnt seit Kurzem in Leipzig und hat schon Michael Kretschmer unterstützt, kann also aus erster Hand berichten, dass der sächsische Ministerpräsident sich Tourneeauftritte mit Bundespolitikern sicherheitshalber verbeten habe.

Vor der Thüringen-Wahl wird man den Eindruck nicht los, dass sie vielen in Berlin geradeheraus schnurz ist. Das Phänomen zeigt sich großkoalitionär übergreifend. Es gibt dafür Gründe. Wenn Olaf Scholz an diesem Freitag zum Wahlkampfabschluss nach Gera kommt, ist völlig unklar, ob da oben der künftige SPD-Chef steht oder der künftige große Verlierer. Bei der CDU-Vorsitzenden – siehe oben. In Dresden und Potsdam ging es für CDU und SPD wenigstens noch ums Symbol: Behaupten wir die Macht, auch gegen die AfD?

„Das sind die Seriösen!“

In Thüringen ist für die SPD wenig zu behaupten – sie fürchtet den Absturz in die Einstelligkeit, Spitzenkandidat Wolfgang Tiefensee hat mehr Vergangenheit als Zukunft. Und Mohring muss am Sonntag viel Glück und die FDP im Landtag haben, um mit einem komplizierten Vierer-Bündnis aus CDU, SPD, Grünen und FDP die Staatskanzlei zu erobern.

Die Chancen sind relativ überschaubar. Die FDP war im Erfurter Landtag öfter draußen als drin; in Umfragen steht sie auf der Kippe. Ihr Spitzenmann Thomas L. Kemmerich kultiviert das L. und seine Cowboystiefel, macht aber sonst eine seriöse Figur. Letzte Woche rückte eine Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF das Vierer-Konstrukt in den Bereich des Möglichen. Seither, sagt Mohring, gucke er nur noch das Zweite. Der Waldi als Fachmann für alles auf Erden sekundiert: „Die Forschungsgruppe Wahlen, das sind die Seriösen!“

Die Berliner elektrisiert das alles aber nicht einmal so weit, dass es einen Kompromiss im Grundrenten-Streit befördert. „Ich bin enttäuscht, dass es immer noch keine Einigung gibt“, klagt Tiefensee per Twitter, als die Koalitionsarbeitsgruppe am Mittwoch wieder ergebnislos bleibt. Mohring flucht schon seit Januar ununterbrochen. Da hatte er – noch angeschlagen von der Chemotherapie, die Mütze auf dem kahlen Kopf – den CDU-Vorstand bei der Klausur in Potsdam regelrecht beschworen, ihm dieses Wahlgeschenk zu machen.

Die illegitime Machtübernahme

Alles vergebens. Thüringen, sagen Unionsmitglieder der Grundrenten-AG, spiele für sie gar keine Rolle, es gehe um Prinzipielles. Mohring sitzt mit in der Arbeitsgruppe. Auch deshalb heißt sein bitteres Fazit: „Die Berliner neigen dazu, sich nur mit sich selbst zu beschäftigen.“

Also muss er alleine kämpfen oder wenigstens zusammen mit dem Waldi. Im Hotelsaal verteilen sich ungefähr 60 Zuhörer um die Tische, darunter zwei CDU-Landtagskandidaten nebst Anhang; hinten bleibt viel frei. Am nächsten Tag wird es hier rappelvoll. Da kommt Boris Becker. Das Gebälk im Saal ist für ihn mit Tennisbällen dekoriert. Den angewitterten Tennisstar live zu sehen kostet ab 230 Euro inklusive Aperitiv und Vier-Gänge-Menü. Gregor Gysi ist demnächst für 99 Euro zu haben. Mike und Waldi sind umsonst. Nur, sagt die Frau aus dem Nachbardorf: „Es stand ja nichts in der Zeitung.“ Dann kommt halt kaum einer.

Als wäre Mohrings Wahlkampf nicht auch so schon schwer genug. Der 47-Jährige kämpft zum Beispiel mit der Vergangenheit. Die CDU hat Thüringen regiert, seit es das Bundesland gibt – Bernhard Vogel, Dieter Althaus, Christine Lieberknecht. Dann kam der Wahlabend 2014 und in der Folge etwas, was viele Christdemokraten im Land bis heute als illegitime Machtübernahme empfinden: Der Linke Bodo Ramelow, obwohl nur zweiter Sieger, zog im Bund mit SPD und Grünen in die Staatskanzlei ein.

Höcke verkneift sich Provokationen

Vor der Ministerpräsidentenwahl demonstrierten damals Hunderte wütend gegen die Ex-DDR-Staatspartei. In Erfurt prägt bis heute viel Wut unterschwellig das politische Klima, und keineswegs nur, wenn Björn Höcke sie schürt.

Mohring hat sie früher selbst bedient. Das tut er jetzt nicht. Aber die Vergangenheit bleibt ein Problem. Im Fernsehduell mit Ramelow, im Fernseh-Sechskampf mit allen Spitzenkandidaten, selbst aus dem Publikum im Hotelsaal in Gotha fragt garantiert irgendjemand mit spitzem Unterton, wieso die CDU sich über den Unterrichtsausfall im Land errege, wo sie doch seinerzeit selbst keine Lehrer eingestellt habe. „Also“, sagt Mohring, „es ist kompliziert.“ Es folgen viele Zahlen, zwischendurch der Satz: „Auch wir haben ’ne Menge Fehler gemacht.“ Und zuletzt ein: „Jeder ist für seine Regierungszeit verantwortlich.“ Die Antwort dauert ungefähr drei Minuten, ist also zirka zwei Minuten zu lang für einen Wahlkampfhit.

Dann ist da Höcke, der Rechts-Rechtsaußen von der AfD. Die Partei dürfte ihr Zehn-Prozent-Ergebnis von 2014 verdoppeln; offen scheint nur, wie weit sie über die 20 hinausgeht. Höcke versucht selbst bei den „Familienfesten“, wie seine eigenen Wahlkampfveranstaltungen heißen, ein möglichst harmloses Große-Buben-Gesicht zu ziehen. In Fernsehrunden verkneift er sich schlagzeilenträchtige Provokationen.

Die anderen versuchen ihn möglichst zu ignorieren. Erst als er sich im „Sechskampf“ zum legitimen Erben der DDR-Bürgerrechtler zu machen versucht, faucht Mohring den West-Zuwanderer aus Hessen an: „Sie haben wenig mit der Vollendung unserer friedlichen Revolution zu tun!“ Als 17-Jähriger war Mohring daheim in Apolda auf der Straße. Dass die AfD „Wende 2.0“ plakatiert und „Kein Bock auf Block-Parteien“, nimmt er persönlich.

Eine Welle des Mitgefühls - und eine Welle von Mützen

Kurz danach ging er auf einem Podium in Erfurt Höcke direkt und hart an. „Ich finde, Höcke ist ein Nazi.“ Er schob aber gleich hinterher: „Das haben auch andere festgestellt“ – nämlich das Verwaltungsgericht Meiningen, das „Faschist“ als Bezeichnung für den AfD-Chef zuließ. Mohring will eigentlich nicht aggressiv auftreten. Sein Wahlkampf kreist um die Formel „Das Land zusammenhalten“. Mit den Leuten reden, Verständnis zeigen, zuhören – er nimmt sich Zeit, ob im Zentralkrankenhaus Bad Berka, wo ihn sein alter Polit-Kumpel Jens Spahn unterstützt, auf Marktplätzen oder hier im Hotelsessel.

Irgendwann kommt die Rede auf seine schwere Krebserkrankung: ein akuter Tumor, ganz plötzlich im Winter 2018. Als die Therapie anschlug und die Prognose hoffnungsvoll wurde, machte er die Krankheit öffentlich. Dem Mann mit der Mütze schlug eine Welle des Mitgefühls entgegen und eine Welle von Mützen, gekauften, selbst gestrickten. Noch heute, sagt er, umarmten ihn jeden Tag wildfremde Menschen und erzählten von eigenen Krebsschicksalen. „Wenn ich damit anderen Menschen auch Mut machen kann, umso besser“, sagt er, und dass das doch zeige, wie viel Mitmenschlichkeit es in der Gesellschaft gebe.

Den Hass hat er dann genau so öffentlich gemacht. Diese Woche bekam er wieder ein anonymes Drohschreiben: Wenn er nicht sofort den Wahlkampf einstelle, warte eine Bombe auf ihn oder ein Messer. Mohring ist nicht der Einzige, der bedroht wird. Auch andere Landesspitzen gingen nach ihm an die Öffentlichkeit. Polizeischutz hat er nicht: „Ich will mich nicht einschüchtern lassen.“

Verrückte sind nicht sein Hauptproblem. Höcke ist es auch nicht. Sein Problem heißt Ramelow. Der gläubige Christ, der sein Parteibuch wie ein Versehen erscheinen lässt. Der Winfried Kretschmann der Linken, der sich auf Wahlplakaten lässig aus dem Fenster einer alten Dampflok lehnt. Der Ministerpräsident, von dem sehr viele sagen, dass er das doch anständig gemacht habe. Der Mann, der den Konkurrenten im Fernsehduell hinterlistig umarmt: „Wir gehen ja auch gemeinsam wandern.“

„Es geht nicht um Berlin“

Als Ramelow neulich bestritt, dass die DDR ein „Unrechtsstaat“ gewesen sei, witterte Mohring eine Chance. Dass genau dieses Wort im Koalitionsvertrag steht, war für Grüne und SPD 2014 die Bedingung für ihre Unterschrift. Damals hätte der Linke für seinen Satz Kerzen- Demos vor dem Erfurter Dom riskiert. Diesmal erregten sich ein paar Leitartikler und ein paar ergraute Bürgerrechtler. Wenn die Provokation als Test gedacht war, dann hat Ramelow ihn bestanden.

Im Hotel Lindenhof ist es spät geworden. Der Waldi hat eine Anekdote nach der anderen aus seinem Leben erzählt, die allesamt von verflossenen Größen handelten, angefangen von Franz Josef Strauß (Trauzeuge) bis Mario Basler (Auf-dem-Platz-Rumsteher): „Das gibt es alles nicht mehr!“ Er ist halt schon ziemlich von gestern. Mohring ist aber Handballer – den Thüringer Waldpokal hat sein Team schon einmal gewonnen. Und er wäre gern einer von morgen. „Es geht nicht um Berlin“, beschwört er am Ende noch einmal die Zuhörer. „Es geht um dieses Land!“

Das letzte Wort hat aber praktisch doch der Waldi. Sein Gastgeber solle zusehen, dass er in der 89. Minute einköpfe: „Am Schluss müssen’s halt mehr sein als die Linken und die Blau-Braunen!“

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