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Familiensache. Vor zehn Jahren musste Alice Brauner den Vater einmal vertreten. Seitdem produziert die gelernte Journalistin selbst Filme.

© ullstein bild

CCC-Film Berlin: Alice Brauner - die Kronprinzessin

Die Tochter des Filmmoguls – das reicht Alice Brauner nicht mehr. Mit ihrer teuersten Produktion will sie jetzt aus dem Schatten ihres Vaters Atze Brauner treten.

Die Explosion, die abgerissenen Gliedmaße – das muss alles raus. Solche Szenen gehen gerade gar nicht. Viel zu drastisches Motiv bei der unruhigen Weltlage.

Der Film ist noch gar nicht gedreht. Aber was das dramatische Ende angeht, hat der zukünftige Verleiher jetzt schon mal interveniert: ändern bitte! So ist das dem Publikum nicht zuzumuten. Und dessen Wünsche gehören ernst genommen. So wie die von Fördergremien, Fernsehanstalten und eben Verleihern.

Davon können sie hier bei CCC-Film in Berlin-Schmargendorf ein Lied singen. Daran haben sie sich immer gehalten. Darauf beruht ein nicht ganz kleiner Teil des Firmenerfolgs. Seit nunmehr 70 Jahren.

Entsprechend gelassen geht Alice Brauner die Produktionsbesprechung an. Filmproduktion, das ist ein komplexes Wenn-Dann-Szenario, eine Rechnung mit unzähligen Unbekannten. Mit kostspieligen noch dazu. Für schwache Nerven ist das nichts. Trotzdem ist die Produzentin eher Teamchefin als Boss. Ihre Geschäftskleidung heißt nicht Twinset oder Hosenanzug, sondern schwarze Jeans zum weißen Konfirmandinnenkragen.

Die älteste Produktionsfirma in Familienbesitz

Über Brauner, ihrem Produktionsleiter Andreas Born und der Stoffentwicklerin Bettina Westhausen schweben die Geister der Vergangenheit: Romy Schneider, Paul Hubschmid und Caterina Valente blicken von gerahmten Filmplakaten herab, auf denen klingende Titel wie „Die Spaziergängerin von Sans-Souci“ und „Der Tiger von Eschnapur“ von der Langlebigkeit der Central Cinema Company künden. Im September 1946 vom Holocaust-Überlebenden Artur – „Atze“ – Brauner, Alice Brauners Vater, gegründet, ist CCC-Film die älteste unabhängige deutsche Filmproduktionsfirma in Familienbesitz.

„Crescendo“ lautet der Arbeitstitel des Kinodramas mit der zukünftig inhaltlich deutlich entschärften Detonation. Die Geschichte ist inspiriert von Daniel Barenboims West-Eastern Divan Orchestra, in dem junge Israelis und Palästinenser gemeinsam gegen den Nahostkonflikt anmusizieren. Mit dem Drehbuch ändern sich auch der Drehplan, die Kalkulation, die Förderanträge, womöglich die Besetzung. In diesem Monat laufen Einreichfristen für Fördergelder ab. 2,1 Millionen Euro Budget. So viel sei mindestens nötig, um einen anständigen Arthaus-Film zu drehen, sagt Alice Brauner.

Kirk Douglas, Romy Schneider oder Helmuth Kohl traf sie im Wohnzimmer

Auf einem glänzenden Metallschrank stehen die Preise, die die Produzentin in den letzten Jahren für Filme wie „Auf das Leben“ und „Wunderkinder“ gewonnen hat. „Das sind meine“, betont Alice Brauner. Nicht etwa die des Vaters, der sein Büro eine Etage höher hat. Auch das Geld, das derzeit in die Sanierung der CCC-Filmstudios in Haselhorst fließe, habe sie verdient, erklärt sie ungefragt. Die Geister der Vergangenheit sind zahnlose Gesellen gegen den langen Schatten eines berühmten Vaters.

Wo sie sich doch so ähneln, die Tochter und der Vater. Durch mehr als das Temperament und den Beruf. Alice Brauner hat ein Talent für Glamour, für Lebenslust, für Selbstinszenierung. Mit ihren Scheinwerferaugen, der Mähne, dem Lächeln, der Zugehörigkeit zum Brauner-Clan ist sie eine Erscheinung, mit der sich auch gern die Boulevardpresse schmückt. Sie hat die Offenheit und das Selbstbewusstsein eines Menschen, der von Kindesbeinen an daran gewöhnt ist, Kirk Douglas, Romy Schneider oder Helmut Kohl im Wohnzimmer der Eltern anzutreffen.

Artur Brauner hat jahrzehntelang keinen roten Teppich in Berlin ausgelassen. Alice Brauner macht sich dort ebenfalls gut, auch wenn sie ihren nach König David und Ben Hur benannten Zwillingen zuliebe längst nicht jede Premiereneinladung angenommen hat.

Bald will sie Chefin sein

Ihre erste Ehe begann mit einer unauffälligen Hochzeitsfeier – im Konzerthaus am Gendarmenmarkt. Heute ist sie in zweiter Ehe mit dem in München sehr bekannten Zigarren- und Hut-Hersteller Michael Zechbauer vermählt, der häufig als Koproduzent ihrer Filme firmiert und ihr zum Hochzeitstag schon mal ein nostalgisches Ferrari-Cabriolet verehrt.

Jüngst haben die Söhne ein sehr gutes Abitur hingelegt, erzählt Brauner. Im Januar ist sie 50 geworden. Das Firmenjubiläum fällt in eine Lebenswende. Als „typische jüdische Mutter, eine wirkliche Glucke“, wie sie sich nennt, hat sie bislang nie Reisen zu den Filmfestivals von Cannes oder Venedig gemacht. Nun, wo die Kinder studieren gehen, will sie genau das tun. Geschäftlich durchstarten. Und in den Augen der Welt endlich den entscheidenden Schritt von der Kronprinzessin des Filmmoguls zur CCC-Chefin machen.

2006 hat Artur Brauner sie als jüngstes seiner vier Kinder, die alle in verschiedenen Bereichen der Unternehmensgruppe Brauner arbeiten, in die Filmproduktion geholt. Die Feuertaufe der gelernten Journalistin, Fernsehmoderatorin und am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin promovierten Geisteswissenschaftlerin war das von Joseph Vilsmaier inszenierte Deportations-Drama „Der letzte Zug“. Da ist sie auf Bitten des erkrankten Vaters kurzfristig eingesprungen. Da hat sie Blut geleckt, festgestellt, dass auch in ihr eine Produzentin steckt und die bisherige Karriere ad acta gelegt.

"Wartet lieber bis ich da bin"

Zehn Jahre später ist sie immer noch nicht Geschäftsführerin. Sicher, sie leitet das operative Geschäft und hat Prokura, doch Geschäftsführer ist Artur Brauner. Auch im Alter von 98 Jahren kommt er noch einmal die Woche ins Büro. Er könne nun mal nicht loslassen, sagt sie. „Es wäre toll, wenn mein Vater sagen würde: Mach du jetzt in der Firma, was du dir vorstellst. Seine Stoffe soll er trotzdem entwickeln, aber mir keine Hindernisse in den Weg stellen.“ Nein, die Frau macht keinen Hehl aus dem Generationenkonflikt.

Ihr Telefon klingelt. Die Produktionsbesprechung ist vorbei, sie will in die CCC-Filmstudios nach Haselhorst fahren, den Fortgang der Sanierung begutachten. Der Studioleiter ist dran. Sie soll sich ein Foto der Malerarbeiten ansehen, das er gerade geschickt hat. Ob der Schriftzug für das neuerdings nach ihrem Vater benannte Atelier so recht sei? Brauner ist nicht ganz überzeugt. „Wartet lieber bis ich da bin.“ Die Studio-Betitelung war ihre Idee. Dass sie Vater und Mutter verehrt, ihnen dankbar für ihr glückliches Leben ist, auch das geht Alice Brauner leicht über die Lippen.

Mehr als 700 Filme entstanden

In der Tat hat der polnische Jude Artur Brauner, der den Nazis ebenso wie seine Ehefrau Maria Brauner nur mit viel Mut und Glück entkommen ist, eine erstaunliche Filmfülle produziert. Mehr als 250. Und damit Bundesfilmpreise, Golden Globes, Goldene Bären und als Koproduzent von „Der Garten der Finzi Contini“ sogar einen Oscar gewonnen.

Im jetzt von Alice Brauner im Lizenzgeschäft vermarkteten und nach und nach digitalisiertem Filmkatalog ist alles dabei: von Karl-May- und Wallace-Kassenknüllern bis zu Literaturverfilmungen. In den Filmstudios, die der Produzent ab 1948 in Spandau aufgebaut hat, sind rund 700 Filme entstanden. In den fünfziger und sechziger Jahren war CCC-Filmkunst ein entscheidender Motor der Filmstadt Berlin. Bis heute werden dort Musikvideos, Werbespots, Fernsehserien und Kinofilme gedreht. So ein Leben, so ein Werk – muss da ein Vater nicht froh sein, sein Erbe in die hingebungsvollen Hände der Tochter zu legen?

Am besten, ihn einmal selbst befragen. Zu Hause, in der Villenkolonie Grunewald. Die Haushälterin öffnet die Tür. Sie deutet auf die Garage. Ein Fahrer geleitet die Produzentenlegende ins Haus. Der zerbrechliche alte Herr, der zuletzt durch sein zähes Ringen mit Banken, Finanzämtern und Steuerfahndern Aufsehen erregte, kommt aus dem Büro in Schmargendorf. Auf die Minute pünktlich. Kaum, dass Artur Brauner am spiegelblanken Esstisch Platz genommen hat, packt er ein Aufnahmegerät aus und spricht Memos hinein. Für die Sekretärin offensichtlich. Das ist ja wie im Hollywood-Kintopp. Sofort wird klar: Maniacs seines Schlages hören niemals auf. Ruhestand? Er winkt ab. 70 unverfilmte Drehbücher habe er noch im Keller liegen. Millionen in deren Entwicklung gesteckt. Elf Jahre keinen Urlaub gemacht. Immer Arbeit, immer Verabredungen. „Mein Leben ist ein Riesenrad: Wenn ich hoch oben bin, kann ich nicht abspringen. Wenn ich unten bin, muss ich wieder Schwung holen, um nach oben zu kommen.“

Eins muss sie noch lernen: "Aufhören zu vertrauen"

Ob es da in seinem Alter nicht dringend an der Zeit sei, das Rad zu stoppen, den Lebensabend zu genießen und der Tochter die Geschäftsführung zu übergeben? Der Melancholiker mit dem Menjoubärtchen schweigt. Tod und Ruin sind vertraute Gegner für ihn. Beiden hat er oft ins Auge gesehen. Nichts hat ihn kleingekriegt. Da wird ihn doch jetzt das Alter nicht zu Kurzschlussentscheidungen zwingen. Ja sagt er nicht, Nein sagt er nicht, sondern „Ich muss meiner Tochter Zeit geben.“ Und mit dem Müßiggang hat es bei ihm ja eh nie geklappt. Als guter Vater, der er ist, hebt er zu Lobeshymnen an. Über ihr Talent, ihre Intelligenz, ihr Selbstbewusstsein. „Sie ist sehr ambitiös!“, was wie eine Warnung klingt. Eins allerdings müsse sie dringend lernen: „Aufhören zu vertrauen.“

Betrogen zu werden, das ginge im Filmgeschäft ganz schnell. Aus dem Greis spricht ein gebranntes Kind. „Alle Kalkulationen habe ich selbst geprüft, auch wenn sie mich deswegen Pfennigfuchser nannten.“ Millionen habe er so gespart. Artur Brauner ist skeptisch wie nur Patriarchen skeptisch sind. Er kräuselt die Stirn, wenn er an die Zukunft der Branche denkt. Anders als seine neuen Medien zugewandte Tochter, die schon vor einigen Jahren mit „Mission Housemen“ eine Comedy-Serie für YouTube produziert hat. Dass CCC-Filmkunst Zukunft hat, glaubt er trotzdem. „Schließlich existieren wir seit 70 Jahren. Keiner meiner Nachkriegskollegen hat das geschafft.“ Stolz setzt er nach: „Zu unserer Jubiläumsfeier am 23. September haben hunderte Gäste zugesagt!“ Jetzt ist er wieder ganz hoch oben das Riesenrad.

Ihr graut vor Familiengeschichten wie den "Buddenbrooks"

Am Nachmittag in Haselhorst. Alice Brauner führt über das Gelände der CCC-Film. Die Fassade der großen Halle leuchtet in Terracottarot. Eine Tradition fortsetzen, die Ateliers des Vaters erhalten, das ist Brauners erklärter Wille. „Die Studios sind die Keimzelle“, sagt sie. Das hat sie auch schon den Söhnen eingeimpft. Die Familie, das ist ihre oberste Priorität. Da geht nichts drüber. Das dämpft jeden Disput zwischen Tochter und Vater. Ihr graut vor Familiengeschichten, wie sie Thomas Mann in den „Buddenbrooks“ erzählt. „Der dort beschriebene Niedergang einer angesehenen Familie, das ist ein Schreckgespenst für mich, dagegen kämpfe ich an.“ Sieht aus, als sei sie erfolgreich damit.

Ein Maler kommt und legt ihr die Musterbeschriftung für das „Atelier Artur Brauner“ vor. Sie entscheidet schnell: „Die Buchstaben bitte noch ein bisschen zusammen, dann ran damit an die Tür.“ Nur das Grau, in dem die Ateliertore gestrichen sind, gefällt nicht recht. „Da muss mehr Glanz rein!“

Wo doch Glanz einmal das ureigene Geschäft dieser weitläufigen Hallen war. Stars wie Curd Jürgens, Maria Schell, Lex Barker und berühmte Regisseure wie Fritz Lang und Robert Siodmak gingen ein und aus. Letztere als zwei von vielen Emigranten, die Artur Brauner überredet hat, aus dem Exil nach Deutschland zurückzukehren, um bei ihm Filme zu drehen. Unglaubliche 20 Filme produzierte die CCC in ihren Rekordjahren. Jetzt sind es ein oder zwei pro Jahr. Oft kosten sie mehr, als sie einspielen. Das Geld bringen die Lizenzen und die Studiovermietung.

Ein Mogul, weil er fanatisch für den Film lebt

„Dort haben neulich gerade Martina Gedeck, Florian David Fitz und Burghart Klaußner gesessen.“ Brauner öffnet Türen und zeigt Garderoben. Sie riechen nach neuer Wandfarbe und verströmen doch Retrocharme. Das liegt am teils noch aus den Sechzigern stammenden Mobiliar. Die Aura weht im ganzen pittoresken Gemäuer. Hier und da kleben reißerische alte Filmplakate der CCC. Anders als die Konkurrenz in Babelsberg, die über einen kostenintensiven Apparat aus Technikern und Bühnenbauern verfügt, hat sich der sparsame Artur Brauner schon früh auf das reine Vermieten der Räume verlegt. Equipment und Arbeitskräfte bringt jede Produktion selber mit.

Das ermöglicht Alice Brauner, Leuten mit guten Geschichten, aber wenig Kapital entgegenkommen zu können. Die soziale Ader passt zu ihr. So wie der auch heute noch über Artur Brauner verwandte Begriff „Filmmogul“ zu ihm passt. „Er ist ein Mogul, weil er fanatisch für den Film lebt und – anders als ich – auch die betriebswirtschaftliche Seite stark ins Kalkül zieht.“ Sie sei anders strukturiert. „Für mich zählt das Team, nicht die Einzelleistung.“ Kann sein, dass es diese Haltung ist, die sie in den Augen des Vaters zu vertrauensselig macht.

Der wiederum lässt sich von ihr sogar seine Filmideen bezahlen, auch wenn sie daraus stark veränderte Drehbücher entwickelt. Im Fall des mit Hannelore Elsner und Max Riemelt besetzen Dramas „Auf das Leben“ kamen als Honorar 30 000 Euro für die Filmidee und 44 800 Euro für Ausschnitte aus einem seiner CCC-Filme zusammen. Alice Brauner lacht. „Ja, er ist teuer.“

Es wird ihr teuerster Film

So teuer, wie einer nur sein kann, dessen Leben auf der Flucht vor den Nazis keinen Pfifferling mehr wert zu sein schien. Von „Morituri“ bis „Hitlerjunge Salomon“ und „Wunderkinder“ hat CCC allein 24 Filme den Themen Nationalsozialismus, Judenverfolgung und Judentum gewidmet. Ein beispielloses filmisches Aufklärungsprogramm. Damit haben sie dem Publikum immer wieder Geschichte zugemutet, die es gerade in der Nachkriegszeit nicht sehen wollte. Die gnadenlos floppten. Bei CCC-Film haben sie dann rote Zahlen in die Bücher geschrieben und einfach weitergemacht.

„Crescendo" wird der 25. Film. Und der 26. ist schon in Arbeit: Die von Alice Brauner gerade entwickelte Neuverfilmung der mythischen jüdischen Figur „Golem“, den Dominik Graf als modernen Science-Fiction inszenieren soll.

Da liegt die Gleichung „CCC gleich jüdische Filme“ nahe, die Alice Brauners Augen aufblitzen lässt. Das Klischee hängt ihr in viel zu vielen Redakteursgehirnen. An die zwanzig andere Stoffe habe sie angeboten, aber nie einen Zuschlag für einen Krimi oder ein Sozialdrama ohne jüdische Bezüge erhalten. „Keine Ahnung warum!“ Das macht sie zornig. Genau wie das nicht tot zu kriegende Vorurteil, nicht mehr als die kleine Tochter des legendären Produzenten zu sein.

Mit „Golem“ will Alice Brauner allen zeigen, dass sie auch große Produktionen stemmt. Zehn Millionen Euro Budget sind für die Neuinterpretation des Stummfilmklassikers veranschlagt. Es wird ihr teuerster Film. „Ich hoffe darauf, dass er mehr als eine Million Zuschauer hat.“ Gewiss wird Artur Brauner vorher die Kalkulationen prüfen.

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