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In Prozentpunkten hat die Union am meisten verloren.

© Pawel Kopczynski/ Reuters

Bundestagswahl: Angela Merkel einsam an der Spitze

Zum vierten Mal hat sie gewonnen. Aber dieser Sieg ist für Angela Merkel kein Triumph. Partner zu finden, wird der wahre Kampf. Wo es hingeht, bleibt völlig offen.

Von Robert Birnbaum

Gewinnen kann sehr bitter sein. Im Konrad-Adenauer- Haus scharen sich Angela Merkels Unterstützertruppen vor dem Podium, auf dem nachher die Chefin auftreten wird. Um sie herum drängt sich die Weltpresse mit allem, was bewegte Bilder machen kann, von der Fernsehkamera bis zum Smartphone auf dem Selfie-Stick. Um 18 Uhr brechen die Unterstützertruppen beim Blick auf den riesigen Fernsehschirm in frenetischen Jubel aus. Der schwarze Balken der Union zeigt 32,5 Prozent. Das wäre das schlechteste Wahlergebnis, das CDU und CSU seit 1949 je erzielt haben. Vielleicht sind die Unterstützertruppen einfach zu jung, um das zu wissen? Oder sie glauben wirklich, sie hätten gesiegt, weil der schwarze Balken ja immerhin noch der größte ist. Dabei steht er doch nur dafür, wie bitter gewinnen sein kann.

Die Union ist abgestürzt. Die SPD ist abgestürzt. Die AfD sitzt stärker im nächsten Bundestag als es sich die anderen in Albträumen ausgemalt haben. Die FDP ist wieder da, die Grünen immer noch, die Linke hat das Beben auch überlebt. Deutschland wird regiert werden, aller Voraussicht nach von Angela Merkel. Aber bis dahin und ab dann wird es – wie hieß noch das Wort des Abends? Bitter.

Die CSU ist am heftigsten abgestürzt

Man kann das am deutlichsten am Gesicht des Horst Seehofer ablesen. Die CDU ist nicht alleine abgestürzt, sondern die CSU noch mehr. Etwas mehr als 38 Prozent haben die Christsozialen in Bayern bekommen. Das ist meilenweit weg von der absoluten Mehrheit. Seehofer hat es einmal als sein Lebenswerk bezeichnet, die Vorherrschaft seiner Partei zu bewahren. In ziemlich genau einem Jahr muss er sich der Probe aufs Exempel bei der Landtagswahl stellen. Jetzt auf dem Podium der Parteizentrale in München hat er dieses schmale, halbe Lächeln um die Mundwinkel, das bei ihm für äußerste Anspannung steht. „Eine herbe Enttäuschung“, presst Seehofer hervor. „Ich bin entschlossen, dass wir das so schnell wie möglich wieder ausbügeln.“

Angela Merkel lächelt deutlich entspannter, als sie eine Dreiviertelstunde nach der Schließung der Wahllokale im Konrad-Adenauer-Haus auf die Bühne marschiert. Die Unterstützertruppen brechen wieder in diesen außerirdischen Jubel aus, das CDU-Präsidium, soweit anwesend, klatscht gemessenen Beifall. Das Präsidium und Merkel kennen die Parteigeschichte. Andererseits ist Merkel inzwischen ein Teil davon und weiß also zum Beispiel, dass sie selbst vor acht Jahren hier mit einem ähnlich mauen Wahlergebnis stand. Und außerdem hat sie die Probe ja nun hinter sich und nicht vor sich wie Seehofer.

„Wir brauchen nicht drumrum zu reden, natürlich hätten wir uns ein wenig ein besseres Ergebnis gewünscht“, sagt die CDU-Chefin. Aber die „strategischen Ziele“ habe die Union trotzdem erreicht: stärkste Fraktion, gegen die niemand regieren kann, Auftrag zur Regierungsbildung. Ach ja, und da liege dann noch „eine große neue Aufgabe vor uns“. Große neue Aufgabe. Aha. So kann man das natürlich auch nennen, wenn einem eine neue Rechtsbewegung gerade – das besagen die ersten Wählerwanderanalysen – eine Million Wähler weggenommen hat und jetzt auf einen Schlag drittstärkste Kraft im Bundestag ist. Auf die Aufgabe wird gleich noch zurückzukommen sein. Sie hat einiges mit der anderen Aufgabe zu tun, die nun auf Merkel zukommt: eine Regierung bilden.

Schulz hat tapfer seine Rolle gespielt

Auf den ersten Blick ist das sogar simpel. Es bleibt nämlich nur eine. Die ersten Prognosen sind kaum über die Fernsehschirme gelaufen, da sagt die SPD- Spitze der großen Koalition adieu. Auch Martin Schulz’ Partei ist abgestürzt, auch sie auf ein historisches Tief – grad mal so die 20 Prozent gehalten. Alle Wahlziele verfehlt, dazu es „offensichtlich nicht geschafft, unsere traditionelle Wählerbasis zu erhalten“ – für den SPD-Chef und seine Partei bleibt nur ein Schluss: Nicht noch mal mit Merkel.

Schulz wirkt da oben auf dem Podium im Willy-Brandt-Haus übrigens ziemlich bei sich. Ihm ist ja seit Tagen, vielleicht seit Wochen klar gewesen, dass es nichts wird mit dem Kanzleramt. Wer genau hinhörte, konnte unter seinem rheinischen Singsang verzweifelte Ironie herausklingen hören, wenn er Merkel die Vizekanzlerschaft anbot oder für den Wahlabend Prozessionen von Koalitionswilligen ins Willy-Brandt-Haus prophezeite. Er hat tapfer weiter seine Rolle gespielt, aber jetzt ist es überstanden.

Abgefallen. Langsam werden für die SPD die Ausreden knapp: Falscher Kandidat? Falsches Thema? Falscher Zeitpunkt?
Abgefallen. Langsam werden für die SPD die Ausreden knapp: Falscher Kandidat? Falsches Thema? Falscher Zeitpunkt?

© dpa

Eine bittere Niederlage kann eine Erleichterung sein. Der Gang in die Opposition auch. „Wir sind das Bollwerk für die Demokratie“, ruft Schulz, und dass die SPD für Respekt und Toleranz kämpfen werde, „unsere Werte“. Sich nicht mehr dem Kompromisszwang beugen müssen – die Aussicht ist, bei allem Entsetzen über die eigene Niederlage, immerhin ein Trost. Dass die AfD nicht die Rolle der Oppositionsführerin übernehmen wird, ist ja sogar ein Trost für die liberale Demokratie insgesamt.

Lindner empört sich: "Sie wollen uns in eine Regierung zwingen!"

Außerdem können sie sich dann mit etwas mehr Ruhe eine Antwort auf die bitterernste Frage überlegen, die der niedersächsische Ministerpräsident Stefan Weil aufwirft: „Warum haben wir eigentlich die dritte Bundestagswahl in Folge verloren?“ Aber darauf müssen vielleicht die zwei Frauen antworten, die am Abend neben Schulz stehen: rechts von ihm Manuela Schwesig, Ex-Familienministerin, jetzt Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, links die Arbeitsministerin Andrea Nahles. Wer wo steht an diesem Abend ist ganz sicher kein Zufall bei der SPD. Von Sigmar Gabriel zum Beispiel sieht man nur ganz hinten den schwarzen Schopf.

Die SPD ist also raus. Merkel appelliert zwar später in der Parteichef-Runde im Fernsehen an „jeden“, dass er „in stürmischen Zeiten“ seine Pflicht wahrnehmen müsse. Man könne ja auch noch mal über alles schlafen: „Verantwortung ist hier nicht nur eine theoretische Frage.“ Seehofer appelliert auch: „Wir können jetzt nicht am Wahlabend erklären, wir reden gar nicht miteinander.“ Kann die SPD aber doch. Sollen die doch sehen, was sie anfangen mit ihrem großartigen Sieg! Da hilft es nicht mal, wenn sich der FDP-Chef Christian Lindner leise empört: „Sie wollen uns in eine Regierung zwingen!“

Ganz so sieht es aus. Schließlich bleibt ja dann auch nur noch eine: Jamaika, ein Bündnis aus Schwarzen, Gelben und Grünen. Annegret Kramp-Karrenbauer hat das schon mal im Saarland versucht, die Koalition aber nach kurzer Zeit entnervt wieder gesprengt. Nun sind die Grünen an der Saar sehr speziell und die örtliche FDP kompliziert. „Ich weiß, dass es eine Herausforderung ist“, sagt Kramp-Karrenbauer jetzt, „aber es ist machbar“.

Der AfD-Chef kommt aus dem Grinsen gar nicht mehr raus

Ganz rechts auf der CDU-Bühne steht Daniel Günther. Er hat in Kiel gerade solch ein Vielfarben-Bündnis geschmiedet. Günther sagt auch, dass das geht, wenn man sich einigen will und wenn, das sei wichtig, die Personen miteinander können.

FDP-Lindner und der Grünen-Chef Cem Özdemir duzen sich, diese Bedingung ist also erfüllt. Die Grünen gehen zudem – zur eigenen Überraschung – ziemlich anständig aus dieser Wahl hervor und die FDP nicht derart großartig, dass Lindner in Gefahr gerät, sich vor lauter Erfolg selbst im Weg zur Regierung zu stehen.

Trotzdem – Jamaika? Nach so einer Wahl? Ausgerechnet jetzt? Bei einer 13-Prozent-AfD, dritter Kraft im Bundestag, Nummer Zwei nicht weit hinter der CDU in Ostdeutschland? Der Parteichef Jörg Meuthen kommt im Fernsehstudio aus dem Grinsen gar nicht mehr raus, wenn er hört, wie der SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann ihm schon mit der Geschäftsordnung droht, bevor der neue Bundestag überhaupt zusammengetreten ist, und der Unionsfraktionschef Volker Kauder den Befund der Wahlforscher mit anhören muss, dass Angst vor zu vielen Muslimen und Überdruss an der Kanzlerin Merkel sogar noch deutlich mehr Wähler umgetrieben hätten als nur die, die der AfD ihre Stimme gegeben haben.

Dabei sind die vielen, die es getan haben, schon bitter genug. Die CDU-Führenden wiegeln zwar ab. „Ich glaube nicht, dass wir klug beraten wären, alles was wir bis gestern für richtig gehalten haben, über Bord zu werfen“, sagt Volker Bouffier, aktuell schwarz-grüner Hessen-Chef. Merkel redet von „Ängsten und Sorgen“, die man aufnehmen, Wählern, die man zurückgewinnen wolle, ja sogar von einer „ausführlichen Analyse“ des Wahlergebnisses. Das wäre eine Premiere. Analysen hat die CDU-Chefin bisher sorgsam vermieden.

Das Wort "Obergrenze" wird noch fallen

Aber vielleicht geht es diesmal wirklich nicht anders. An den Parteirändern zeigen die ersten auf. „Das Votum der Wähler muss ernst genommen werden“, sagt Fraktionsvize Hans-Peter Friedrich von der CSU und fordert ein „grundlegendes Umdenken“ in der Flüchtlingspolitik. Wolfgang Bosbach – nicht mehr angetreten, aber weiter aktiv – wirft der eigenen Parteiführung Vogel-Strauß-Taktiken vor: „Die gesamte Parteiführung muss vier Jahre lang gespürt haben, dass die CDU mit ihrer Politik weite Teile der Wähler verloren hat.“

Und dann ist da noch Horst Seehofer. Bis zum September, sagt der CSU-Chef, hätten die Umfragen ja ganz gut ausgesehen. Aber dann habe es „eine offene Flanke auf der rechten Seite“ gegeben. Und jetzt komme es darauf an, „dass wir diese Flanke schließen, mit klarer Karte und klaren politischen Positionen“. Und zwar – das sagt er nicht, aber das denkt er: schnell.

Das Wort „Obergrenze“ fällt nicht, aber das kommt schon noch. Merkel will sie nicht, die FDP vielleicht, die Grünen ganz sicher nicht. Aber zu Jamaika gehören vier, die CSU auch. Gut möglich, dass der kunterbunte Bund gar nicht an Gelben und Grünen scheitert, sondern an den Schwarzen aus Bayern.

Es wäre der nächste Sieg für die Sieger dieses Abends. „Wir haben hier diese Wahl gewonnen“, sagt der AfD-Mann Meuthen. Rechtsradikale in seinen Reihen? „Eine Unverschämtheit!“

Regelverstöße? „Wir werden eine konstruktive bürgerlich-konservative Opposition sein.“ Er lächelt süffisant: „Wir sind eine Partei, die strikt auf Rechtsstaatlichkeit pocht.“ Und dann lädt Meuthen den FDP-Vize Wolfgang Kubicki dazu ein, gemeinsam einen Untersuchungsausschuss einzurichten im neuen Reichstag: einen „Untersuchungsausschuss Merkel“. Da bleibt sogar Kubicki kurz die Spucke weg. Diese 13 Prozent, faucht er dann, „die bedeuten, dass 87 Prozent der Wähler Sie nicht gewählt haben!“ Mathematisch stimmt das. Politisch nicht ganz. Die Republik hat sich verändert. Angela Merkels vierte Amtszeit könnte ziemlich bitter werden.

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